Der Wasserheiler Prießnitz und das Heilbad Lázně Jeseník

Das Heilbad Lázně Jeseník / Gräfenberg liegt am Nordrand des Altvatergebirges. Geprägt wurde es von einer der interessantesten Persönlichkeiten, die aus dem heutigen Kreis Olomouc / Olmütz stammte: Vincenz Prießnitz. Mehr zu dem Naturheiler erfahren Sie in einem weiteren Beitrag aus unserer Serie über die tschechischen Kreise.

Foto: Miroslav Kobza,  Tschechischer Rundfunk

Prießnitz-Heilbad – so heißen heute die Kuranlagen im Städtchen Jeseník / Freiwaldau. Man beruft sich mit dem Namen auf den legendären Naturheiler. Er gründete in dem Ort das erste Wasserheilbad der Welt – obwohl er keinerlei medizinische Ausbildung hatte, ja sogar Analphabet war.

Vincenz Prießnitz wurde 1799 in die Familie eines Landwirtes in Gräfenberg geboren. Weil sein älterer Bruder und damit der mögliche Erbe starb, sein Vater aber erblindete, leitete er schon im jugendlichen Alter den elterlichen Betrieb. Mit 16 Jahren jedoch erlitt er eine schwere Verletzung. Bei der Arbeit im Wald scheute eines der Kutschpferde, und der angehängte Wagen überrollte den jungen Mann. Dadurch brachen mehrere Rippen. Ein herbeigerufener Wundarzt prophezeite eine lebenslange Behinderung. Doch das Unfallopfer wurde selbst tätig. Květoslav Krowka ist ehemaliger Archivar der Stadt Jeseník und hat zu Prießnitz geforscht:

Foto: Petr Slinták,  Tschechischer Rundfunk

„Zu der Zeit sah die Behandlung so aus, dass man zum Beispiel Blutegel aufsetzte, heiße Bäder machte und der Patient sich nicht bewegen sollte. Prießnitz ging aber komplett anders vor – und zwar so, wie er es in der Natur beobachtet hatte.“

Seinen späteren Erzählungen zufolge hatte der junge Mann mitbekommen, wie Wildtiere zum Beispiel ein verletztes Bein in kaltes Wasser tauchen und später weiterlaufen konnten. Daran erinnerte sich Vincenz Prießnitz. Er renkte zunächst selbst seine Rippen ein und fixierte danach seinen Brustkorb mit einem in kaltes Wasser getauchten Umschlag. Die Tücher wechselte er regelmäßig aus. Das war die Geburt des Prießnitz-Umschlags. Wie dieser wirkt, hat vor einiger Zeit der Chefarzt des Kurbades in Jeseník, Jaroslav Novotný, in unseren Sendungen erläutert:

Foto: Tschechisches Fernsehen,  ČT24

Nicht die applizierte Kälte wirkt auf den menschlichen Organismus, sondern die nachfolgende Erwärmung. Dadurch wird die Durchblutung gefördert, Leukozyten werden weggeschwemmt, Entzündungen und Schmerzen gehen zurück. Wie die Kälte appliziert wird, ist eigentlich egal, frisches Quellwasser bietet sich jedoch an. Es hat eine optimale Temperatur zwischen sechs und zehn Grad Celsius und ist praktisch umsonst und in unbegrenzter Menge verfügbar. Eine langfristige Verwendung dieser Methode führt zur Stärkung des Immunsystems, volkstümlich zu einer Abhärtung. Der Organismus kommt dann mit negativen Reizen von außen deutlich besser zurecht.“

Foto: Tschechisches Fernsehen,  ČT24

Hexenwerk mit Schwamm

Foto: Tschechisches Fernsehen,  ČT24

In der Antike waren diese Prinzipien bereits bekannt gewesen, später gerieten sie jedoch in Vergessenheit. Vincenz Prießnitz entdeckte sie für die Menschen der Neuzeit wieder – zunächst aber nur im kleinen Rahmen.

„Die Leute um ihn herum, die alle gesagt hatten, er werde ein Krüppel sein und nicht mehr seinen Betrieb bestellen können, sahen mit an, wie er gesund wurde. Und dann begannen sie, zu ihm zu kommen“, so Květoslav Krowka.

Prießnitz begann, in seinem eigenen Haus die anderen Patienten zu heilen. Doch die örtlichen Ärzte sahen in ihm einen bedrohlichen Konkurrenten. Sie verklagten ihn sogar wegen Hexerei…

Foto: Tschechisches Fernsehen,  ČT24

„Das führte zu einer Situation, die für uns heute kurios erscheinen muss. Zunächst verwendete Prießnitz einen Schwamm, um seine Patienten mit kaltem Wasser zu behandeln. Doch die Kläger verstanden den Schwamm als Hexenwerk, und ein Gericht verbot ihm, diesen weiter zu nutzen. Deswegen ging er dazu über, seine Patienten mit bloßer Hand zu behandeln. Und das bedeutete noch einmal einen Fortschritt, weil Prießnitz dadurch besser wahrnehmen konnte, was im Körper des Patienten vor sich geht“, sagt der frühere Archivar.

Alle weiteren Gerichtsprozesse um seine therapeutische Tätigkeit gewann der Wasserheiler jedoch.

Wegen des Erfolgs seiner Methoden gab Prießnitz nach und nach den elterlichen Bauernhof auf und baute seinen Kurbetrieb aus. Krowka schildert die Entwicklung:

Foto: Tschechisches Fernsehen,  ČT24

„Nach dem Unfall probierte er seine Methoden ab 1817 an seinen Nachbarn aus. 1822 entstand das erste Kurhaus, denn er hatte bereits genügend Geld, um die Holzhütte seiner Eltern abzureißen und ein Steinhaus zu bauen. In diesem befand sich auch ein Raum mit zwei Wannen. 1826 kaufte er das Grundstück gegenüber und baute dort ein weiteres Haus. Alles gipfelte in den Jahren 1838 und 1839, als er das große Kurhaus mit dem Kongresssaal errichten ließ, das wir heute Burg nennen. So entstand das Kurzentrum.“

Sanatorium Priessnitz | Foto: Libor Kukal,  Radio Prague International

Doch zuvor hatte Prießnitz seine vielleicht wichtigste Schlacht geschlagen. 1837 lud der Arzt am Habsburger Kaiserhof den Wunderheiler nach Wien ein. In der Folge überprüfte eine Kommission die Methoden vor Ort – und erklärte sie für wirkungsvoll und empfehlenswert.

Foto: Tschechisches Fernsehen,  ČT24

Dies machte das damalige Gräfenberg in kurzer Zeit zu einem Reiseziel des Adels aus allen Teilen der Habsburger Monarchie und aus dem Ausland. Die Zahl der Kurpatienten schnellte auf 1500 im Jahr empor. Der Tagesablauf war streng geregelt, und dazu gehörte auch die körperliche Ertüchtigung. Lukáš Němčík hat sich eingehend mit der Geschichte des Kurwesens im Altvatergebirge beschäftigt und schilderte vor einigen Jahren in einem Beitrag in unseren Sendungen:

„Die Patienten mussten vorgeschriebene Routen abgehen, von den Quellen an der Strecke trinken, turnen und auch körperlich arbeiten. Darauf legte Prießnitz großen Wert. Er zwang die Adeligen, Holz zu sägen und zu spalten, Gras zu mähen und im Winter Schnee zu räumen. Selbst ging er mit Vorbild voran. Alle mussten auch den Zapfenstreich streng einhalten. Der Legende nach soll einmal Baron Rothschild, einer der reichsten Männer Europas damals, spät aus der Stadt zurückgekehrt sein, wo er eine Theatervorstellung besucht hatte. Der Chef wartete dann auf ihn, um ihn nachdrücklich zu ermahnen. Als sich der Fall wiederholte, sollen nur noch die Angestellten vor der Tür gestanden haben, um das Gepäck zu überreichen. Der Baron soll sofort nach Hause geschickt worden sein. Das spricht dafür, dass sich Vincenz Prießnitz niemandem anbiederte. Er bestand darauf, dass jeder Patient die Heilordnung einhielt, andernfalls brauchte sich dieser gar nicht erst zu zeigen.“

Foto: Tschechisches Fernsehen,  ČT24

Nachfolger gesucht

Foto: Ľubomír Smatana,  Tschechischer Rundfunk

Prießnitz starb 1851, nachdem er bereits drei Jahre zuvor einen Schlaganfall überstanden hatte. Aber die Wassertherapie hatte er zu dem Zeitpunkt schon längst populär gemacht. Und so fand sich recht schnell auch jemand, der das Werk des Wunderdoktors im Ort selbst fortsetzte. Květoslav Krowka:

„Prießnitz hatte eine gute Idee: Er wählte selbst die Leute aus, die nach Gräfenberg kamen, und eruierte, welches Interesse sie trieb. Manchen ging es nur ums Geld, sie wollten die Behandlungen kopieren und eine eigene Anstalt aufbauen. Es gab aber auch solche, die wirklich an der Wassertherapie als solcher interessiert waren. Einer war der ausgebildete Wundarzt Josef Schindler aus Tiefenbach im Isergebirge. Er hatte dort auch ein kleines Wasserheilbad aufgebaut und stand mit Prießnitz in Kontakt. Als dieser starb, kam Schindler hierher, und Prießnitz‘ Witwe Sophie stellte ihn der Öffentlichkeit als Nachfolger des Kurbetriebs vor.“

Foto: Aleš Spurný,  Tschechischer Rundfunk

Allein schon der Sprache wegen wirkte Prießnitz besonders auch in Deutschland nach. Einer seiner Schüler wurde später zum Beispiel zum Lehrer von Sebastian Kneipp. Und auf das Erbe des Wasserdoktors beruft sich heute etwa der „Deutsche Naturheilbund e.V.“, dessen Vorgängerorganisation schon 1889 gegründet wurde.

Der Kurbetrieb in Gräfenberg florierte aber ebenfalls. Vor dem Ersten Weltkrieg kamen im Schnitt rund viereinhalb Tausend Gäste im Jahr in den Ort im Altvatergebirge. Und der Erfolg setzte sich zu tschechoslowakischen Zeiten fort…

Foto: Libor Kukal,  Radio Prague International

„Auch die Premierminister fuhren hierher, ebenso der spätere Außenminister Jan Masaryk und seine Schwester Alice Masaryková sowie viele Unternehmer. Sie wählten eher einen Termin im Frühjahr, wenn noch nicht die Kassenpatienten den Ort füllten, wie das im Sommer meist der Fall war. Das Kurbad war also sehr offen. Und obwohl es im deutschsprachigen Teil des Staates lag, wurde es von Menschen aus ganz Europa angesteuert“, so Krowka.

Der Bruch kam erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Zum einen wurde das Kurbad verstaatlicht, zum anderen war die Hydrotherapie zu kommunistischen Zeiten als Pseudowissenschaft verpönt. Erst seit 1989 wird in Lázně Jeseník wieder an die Tradition von Vincenz Prießnitz angeknüpft.

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