Dutzende Quellen sprudeln aus dem Hang über der Stadt Jeseník / Freiwaldau im Altvatergebirge. Dort gründete Vincenz Prießnitz in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts das erste Wasserheilbad der Welt.
„Vor 200 Jahren gab es hier noch keinen Kurort. Damals ist in der Familie eines hiesigen Bauern der Sohn Vincenz zur Welt gekommen. Als junger Mann war er später sehr begabt und verfügte über Intuition, Beobachtungstalent und einen gesunden Bauernverstand. Er heilte zunächst Tiere und behandelte Vieh. Einmal hat er sich selbst genesen und begann daraufhin, andere Menschen zu heilen. Darin war er sehr gut: Als Vincenz 1851 starb, hat er hier ein weltbekanntes Wasserheilbad hinterlassen.“
Soweit Jiří Glabazňa. Er bietet Führungen für Touristen an in Lázně Jeseník, auf Deutsch Gräfenberg. Vincenz Prießnitz, der später als der sogenannte „Wasserdoktor“ berühmt wurde, ist 1799 in Gräfenberg oberhalb der Stadt Freiwaldau geboren. Nur wenige Bauernhäuser standen dort damals. Jiří Glabazňa:
„Vincenz erlitt im Alter von 16 Jahren einen schweren Unfall und beschloss, eine Wassertherapie auszuprobieren. Durch Schweißumschläge und Kaltwasserkur gelang es ihm, sich derart zu genesen, dass er zur Arbeit im Wald und auf dem Feld zurückkehren konnte.“
Mit Tüchern, die er in kaltes Wasser getaucht hatte, fixierte Prießnitz seine gebrochenen Beine und wegen einiger gebrochener Rippen auch die Brust. Diese Tücher wechselte er regelmäßig aus. Nach einer gewissen Zeit verheilten seine Verletzungen komplett. Die Nachbarn von Prießnitz waren erstaunt über dessen Genesung und baten ihn, seine Methode zunächst bei ihrem Vieh und später dann auch bei ihnen selbst anzuwenden. 1822 hat Prießnitz die erste Wasserheileinrichtung in Gräfenberg gegründet. In seinem Haus platzierte er Badewannen für die Therapien. Es sollte aber noch lange dauern, bis sein Heilbad offiziell anerkannt wurde. Erst 1837 hat er dafür die Zulassung von der österreichischen Regierung erhalten. Jiří Glabazňa:
„In der österreichischen Monarchie galt ein Gesetz, durch welches es verboten war, Geld für eine Tätigkeit zu kassieren, für die man nicht die entsprechende medizinische Ausbildung hatte. Prießnitz wurde schnell zu einem Dorn im Auge der örtlichen Ärzte und Heilpraktiker, die über eine solche Ausbildung verfügten. Es dauerte fast 20 Jahre lang, bis die österreichische Regierung einen Beschluss erlassen und den Betrieb seines Wasserheilbads erlaubt hat.“
Das verschlafene Städtchen im Altvatergebirge erlebte plötzlich einen Aufschwung ohnegleichen. Bald strömten die reichsten Menschen aus vielen Ländern Europas dorthin und blieben sogar das ganze Jahr über. Dabei mussten sie auf Vergnügungen verzichten und bekamen ein hartes Regime verordnet. Weil das Heilbad im Gebirge lag, gab es keinen solchen Komfort, wie er damals schon in anderen Kurhäusern geboten wurde. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden aber dann auch hier zahlreiche prächtige Kurhäuser, Hotels und Promenaden. Bis in die 1930er Jahre kamen jährlich 1500 Gäste nach Gräfenberg, um dort ihre Gesundheit zu stärken. Und Ärzte aus ganz Europa besuchten das Kurbad, um die Heilmethoden von Prießnitz zu lernen. Die Blütezeit dauerte bis zum Zweiten Weltkrieg.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Ort in Lázně Jeseník umbenannt. Doch die Quellen wurden zerstört, die Gebäude verfielen. Die Hydrotherapie war im Kommunismus als Pseudowissenschaft verpönt. Erst nach der politischen Wende von 1989 konnte man an Prießnitz wieder anknüpfen. Heute ist die Stadt Jeseník einer der beliebtesten Kurorte in Tschechien.
Vincenz Prießnitz nutzte bei seiner Behandlung die Naturquellen, vor allem das Kaltwasser aus den dortigen Quellen. Er glaubte, dass es in jedem Organismus eine Naturkraft gäbe, die bei günstigen natürlichen Bedingungen von sich aus den Organismus genesen könne, beschreibt Jiří Glabazňa. Und die Methoden von Prießnitz werden auch von heutigen Ärzten angewandt. Kateřina Tomášková ist Handelsdirektorin der Kureinrichtung Priessnitzovy lázně:
„Unser Ziel ist genau das, wofür Vincenz Prießnitz den Grundstein gelegt hat: nämlich den Menschen zurück zur Natur zu bringen. Wir nutzen die saubere Bergluft sowie das Trinkwasser, das es hier in ausreichender Menge gibt. Unser Fachpersonal verwendet spezielle Behandlungs- und Diagnostikgeräte. Dank dem hiesigen Klima werden hier vor allem Atemwegserkrankungen behandelt, und zwar sowohl bei Kindern, als auch bei Erwachsenen. Dank der Ruhe, die die Natur um uns herum bietet, gibt es auch Kuren für psychiatrische Störungen. Wir bieten auch Nachpflege bei Krebserkrankungen an, zudem beschäftigen wir uns mit Hauterkrankungen und Kreislaufproblemen. Für Kunden, die sich hier als Selbstzähler aufhalten wollen, bieten wir Dienstleistungen im Bereich des Bewegungsapparats und weiterer Krankheiten, die von der gesetzlichen Krankenversicherung nicht gedeckt sind.“
Soweit Kateřina Tomášková. Neben den Therapien bietet der Ort Jeseník auch viele Möglichkeiten für Spaziergänge und Wanderungen in den umliegenden Bergen. Jiří Glabazňa:
„Im Ortszentrum starten die sogenannten Kurwanderwege. Das sind 12 Rundwege von unterschiedlicher Schwierigkeitsstufe. Der kürzeste ist einen Kilometer lang, der längste zwölf Kilometer. Die Wege führen zu den Quellen und anderen Sehenswürdigkeiten, die hauptsächlich aus dem 19. Jahrhundert stammen.“
Fast 100 Prießnitz-Denkmäler erinnern an den Gründer des Kurbads. Teilweise wurden sie von dankbaren Patienten aufgestellt. An den meisten dieser Erinnerungsstätten sprudelt auch eine kleine Quelle.