Zu unkritisch gegenüber Fake News: Digitale Kompetenz der Tschechen soll noch besser werden
Messaging-Apps, Online-Terminabsprache oder Informationssuche im Internet: Mehr als die Hälfte der Menschen in Tschechien kommen mit den alltäglichen digitalen Herausforderungen klar. Beim Umgang mit Fake News gibt es aber noch deutlichen Nachholbedarf.
60 Prozent der Menschen in Tschechien haben mindestens digitale Grundkenntnisse. Das sind sechs Prozentpunkte mehr als der EU-Durchschnitt, und in Mittel-Ost-Europa steht Tschechien damit am besten da. Diese Daten präsentierte der stellvertretende Regierungsvorsitzende für Digitalisierung, Ivan Bartoš (Piraten), Ende letzter Woche.
Mit Blick auf den sich verändernden Arbeitsmarkt sprach Bartoš zudem davon, den Prozentsatz bis 2030 auf 80 Prozent anheben zu wollen. Dabei müssten allerdings auch andere Bereiche als nur die berufliche Qualifikation berücksichtigt werden, mahnt Michal Černý an. Der Digitalisierungsexperte von der Philosophischen Fakultät der Masaryk-Universität in Brno / Brünn sagte in den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks.
„Die Tschechen sind traditionell ziemlich gut in den praktischen Anwendungen. Aber bei der Unterscheidung von Informationen mit hoher oder mit niedriger Qualität, also der Trennung von Desinformationen und ernstzunehmenden Nachrichten, da schneiden wir gar nicht gut ab.“
Besagte praktische Fähigkeiten seien etwa die Nutzung von Apps, das Schreiben von E-Mails oder auch das Anlegen eines Word-Dokuments, erläutert Černý. Im Gegensatz dazu würden junge Menschen in Tschechien nicht lernen, mit unterschiedlichen Informationen auch kritisch umzugehen:
„Ich denke, das sind langfristige Schulden, die durch das tschechische Bildungssystem und den Charakter des Informatikunterrichts entstanden sind. Hinzu kommt, dass wir das Thema im öffentlichen Raum nicht besonders ernst nehmen.“
Der EU-Vergleich zeige nämlich, dass das Thema Fake News in den anderen Mitgliedsländern öffentlich anders diskutiert werde als hierzulande, fährt Černý fort. Darum stünden Staaten wie Finnland, Schweden oder Dänemark in der Studie auch besser da als Tschechien…
„In den baltischen Ländern oder eben in den nordeuropäischen Staaten gibt es keine Diskussion mehr darüber, ob es Desinformationen wirklich gibt und ob sie reguliert werden sollten. Es gehört dort ganz natürlich zum öffentlichen Diskurs, dass die fehlende Fähigkeit, Fake News zu erkennen, ein Problem ist. Das zweifelt niemand mehr an, und dadurch erfahren dies auch ganz einfach die Kinder in den Schulen.“
In jedem Unterrichtsfach werde also erläutert, wie man Desinformationen erkennt. In Tschechien gebe es dazu in letzter Zeit zwar einige Fortschritte, räumt Černý ein. Das Thema entwickelt sich allerdings rasant fort. Digitale Kompetenz würde heute schon wieder etwas ganz anderes bedeuten als noch vor ein paar Jahren, so der Wissenschaftler:
„Heute können Videos produziert werden, in denen eine Person etwas ganz anderes sagt als in Wirklichkeit. Es können viel bessere Fotomontagen hergestellt werden. Was wir mit eigenen Augen sehen, muss also nicht der Wahrheit entsprechen. Dieses Phänomen gab es vor fünf Jahren noch nicht.“
Steigende digitale Kompetenzen seien für die Menschen in Tschechien außerdem wichtig, um ihre Rechte als Staatsbürger wahrnehmen zu können, betont Černý. Schon jetzt würden viele Experten ein erhebliches Problem darin erkennen, dass Wahlkämpfe immer undurchsichtiger würden und die Wahlberechtigten sich nicht zwischen Informationen und Desinformationen zurechtfänden. Das erschwere die Teilhabe an der Gesellschaft. Und weiter beschreibt Černý:
„Viel wird über die Digitalisierung der Staatsverwaltung und aller möglichen Dienstleistungen gesprochen. Sie ist toll, sofern die Menschen in der Lage sind, die digitalen Instrumente auch zu nutzen. Wenn das nicht gelingt, bedeutet dies einen großen gesellschaftlichen Schlamassel.“
Zeitgemäße digitale Kompetenzen würden also eine Ausübung der Bürgerrechte im guten und traditionell europäischen Sinne des Wortes bedeuten, fügt Michal Černý noch hinzu.