Prag als Kulisse für Musikvideos internationaler Bands: INXS machten in den 1980er Jahren den Anfang
INXS gelten bis heute als eine der bekanntesten Rock-Bands Australiens. Weltweit ließ das Interesse an ihnen nach dem plötzlichen Tod von Sänger Michael Hutchence 1997 deutlich nach, die Auflösung folgte aber erst 2012. Vor allem dem tschechischen Publikum bleibt die Band dank dreier Musikvideos im Gedächtnis, die in Prag gedreht wurden – und das noch zu kommunistischen Zeiten vor 1989. INXS waren damit die ersten internationalen Stars, die den Charme der Moldaustadt für ihre Clips nutzten.
„Never Tear Us Apart“ mag nicht die erfolgreichste Single von INXS gewesen sein. Ihr Videoclip hat wohl aber die damals noch recht grau wirkende Hauptstadt der Tschechoslowakei bei Musikfans im Westen besser bekannt gemacht. In dem Video, das im August 1988 veröffentlicht wurde, sind Karlsbrücke, Prager Orloj, Nationaltheater und Alter jüdischer Friedhof bestens in Szene gesetzt. Vor dieser Kulisse singt Michael Hutchence, begleitet von seinen Bandkollegen, seine traurig-romantische Geschichte.
Von allein wären die Musiker wohl nicht darauf gekommen, in den kommunistischen Ostblock zu fahren, sagt Richard Lowenstein. Der aus Melbourne stammende Filmemacher ist der Regisseur von „Never Tear Us Apart“. Er habe die Band mit Nachdruck überzeugen können, erinnert sich Lowenstein im Gespräch mit Radio Prag International:
„Es war nicht einfach nur eine Idee, sondern ich habe sie total erpresst. Ich war zuvor bereits in Prag gewesen und auch beim Karlsbader Filmfestival. Ich hatte den Ostblock also schon bereist. Mein Vater stammte aus Berlin, mit ihm war ich im Ostteil der Stadt und eben auch in Prag unterwegs gewesen. Zu jener Zeit hatte ich schon einige Videos für INXS gemacht, die gut liefen. Der Band lag viel daran, dass ich auch beim neuen Album dabei sein sollte. Ich fühlte mich daher in einer Art Machtposition, dass ich bei den Videos das Sagen hätte. Also verkündete ich, dass ich den Dreh nur übernehmen würde, wenn er in Prag stattfindet.“
Dieses neue Album war die Platte „Kick“, mit der INXS ihren internationalen Durchbruch feierten. Sein Debütalbum hatte das Sextett schon 1980 herausgegeben. Aber erst „Kick“ schaffte es 1987 auch in die Charts etwa von Deutschland. Im Herbst des gleichen Jahres hielten sich die Band und Lowenstein zehn Tage lang in Prag auf und drehten insgesamt drei Videoclips: „Never Tear Us Apart“, „Guns In The Sky“ und „New Sensation“.
Prag war wunderschön und gotisch
Im Video zu „New Sensation“ spielt die Band auf dem Balkon des Gemeindehauses. Es sei gerade diese Jugendstil-Ästhetik, die er an Prag so liebe, schwärmt Lowenstein. Und seinen ersten Besuch an der Moldau erinnert er so:
„Ich war ganz weggeblasen von der Schönheit der Stadt. Heute ist es anders, aber damals gab es in Prag absolut nichts Modernes oder Westliches. Es gab hier keine Coca-Cola-Werbung, und die Neonreklamen sahen aus wie aus den 1950er Jahren. Es war wunderschön und gotisch. Als ich 1985 das erste Mal nach Prag kam, war das wie eine Zeitreise. Ich konnte mir Amadeus dort wirklich vorstellen.“
Damit verweist der Australier auf den Mozart-Film von Miloš Forman, der 1984 unter anderem in der Moldaustadt gedreht wurde. Im Gegensatz zu dem Historienstreifen fing Lowenstein für seine INXS-Videos aber die gegenwärtige Atmosphäre von Prag Ende der 1980er Jahre ein: Volkspolizisten auf Streife sind überall in der Altstadt gegenwärtig, die Anzahl der Menschen auf der Karlsbrücke ist übersichtlich.
Lowenstein erinnert sich, dass der Manager der Band Angst davor gehabt habe, eine Stadt unter kommunistischer Führung zu besuchen. Sie hätten aber immerhin eine offizielle Dreherlaubnis gehabt…
„Wir arbeiteten mit einer ansässigen Produktionsfirma für Dokumentarfilme zusammen, die eine staatliche Lizenz hatte. Dabei lief alles glatt. Es gab nur eine Menge technischer Probleme. Ich brauchte eine Menge Aufnahmen und auch bestimmte Motive, und dafür war sowohl eine Steadicam als auch ein riesiger Kran nötig. Diese Ausstattung war in Prag nicht zu haben, also schafften wir sie aus München an – einschließlich desjenigen, der die Steadicam bediente.“
Und weil auch keine guten Materialien im Osten zu haben waren, brachte die Crew ihre eigenen Kodak-Filmrollen mit. Lowenstein erzählt, dass sie das übrig gebliebene Material nach Abschluss der Dreharbeiten einem örtlichen Kameramann überlassen hätten und dieser darüber irre glücklich gewesen sei.
Blick auf den Ostblock durch MTV
Richard Lowenstein, der zum Beispiel auch schon Videoclips für U2 erdachte, kehrte seit seiner Zusammenarbeit mit INXS mehrmals nach Prag zurück. Zu Beginn der Nuller Jahre lebt er sogar für ein halbes Jahr hier und drehte TV-Werbespots. Es ist aber das Stadtbild der 1980er Jahre, das er dauerhaft verinnerlicht hat. Damals habe er einen besonderen Lieblingsort gehabt, so der Filmemacher:
„Er ist vielleicht etwas ungewöhnlich, aber es war das Foyer des Grandhotel Europa. Dort waren wir eine Weile untergebracht. Wahrscheinlich ist heute alles anders, aber das Café war zu kommunistischen Zeiten immer leer. Die Kellner wollten uns nicht bedienen – warum auch, sie bekamen ja sowieso ihren Lohn vom Staat. Und bei der Zimmerbuchung war klar, dass sie einen dort nicht haben wollten – obwohl alles leer stand. Aber innen war überall diese Jugendstil-Dekadenz, eine heruntergekommene Art-Nouveau-Atmosphäre.“
Das Hotel auf dem Wenzelsplatz steht nach wie vor, ist aber derzeit geschlossen und wird saniert.
1987 waren INXS allein für die Dreharbeiten in Prag. Ein Konzert gaben sie hier erst im Juni 1997, kurz bevor Sänger Hutchence mit nur 37 Jahren unerwartet starb. Über dessen Leben hat Richard Lowenstein unlängst einen Dokumentarfilm gedreht, was zum Anlass eines erneuten Besuchs in Tschechien wurde…
„Mit meinem aktuellsten Film ‚Mystify: Michael Hutchence‘ bin ich vor vier Jahren wieder zum Karlsbader Filmfestival eingeladen worden. Das war das erste Mal, seitdem ich 1984 mit meinem allerersten Film dort gewesen war. In Karlsbad wurde mir dieses Mal gesagt, dass ich der erste gewesen wäre, der in Prag Musikvideos gedreht hat. Ich hätte also den Blick der Welt auf die Stadt gerichtet, als dort noch der Kommunismus herrschte, nämlich durch Fernsehen und MTV. Für die Leute in Tschechien ist das eine große Sache. Aber ich habe das einfach gemacht, weil ich die Stadt so liebe.“
Der Regisseur schildert, dass der Tod von Michael Hutchence für ihn ein schlimmer Schock gewesen sei, den er erst nach langer Zeit habe akzeptieren können. Umso mehr sind die Prag-Videos von INXS heute ein wertvolles Zeitdokument – sowohl aus architektonischer als auch musikhistorischer Sicht. Lowenstein ist stolz darauf, Qualität abgeliefert zu haben:
„Ich bin sehr froh darüber, dass die Videos nicht nach billiger Eigenproduktion aussehen. Es war gut, dass wir sie auf 35-Milimeter-Film aufgenommen haben, so dass Prag groß und wunderbar aussieht. Ich habe noch alle Originalnegative. Momentan diskutieren wir mit den INXS-Mitgliedern, ob wir sie in 4K restaurieren lassen, um sie als Minifilm im Kino zu zeigen.“
Vielleicht gibt es also auf großer Leinwand schon bald ein Wiedersehen mit INXS aus jenen Jahren, als die Band gerade am Aufblühen war, Prag aber noch im Dornröschenschlaf lag.
Seit der Eiserne Vorhang verschwunden ist, nutzen viele Musikerinnen und Musiker aus dem Ausland die Moldaustadt als Videokulisse. In der Liste finden sich mittlerweile namhafte Bands und Künstler aller Genres, wie etwa R.E.M. und Patty Smith, The Prodigy, Sarah Connor, Linkin Park, Editors, Rihanna, Ozzy Osbourne oder auch Gwen Stefani.