Zeugin des Hamas-Massakers nimmt an Protest gegen Antisemitismus in Prag teil
In Prag wurde am Sonntag gegen Antisemitismus protestiert und an die Opfer des brutalen Terrorangriffs der Hamas vom Oktober letzten Jahres erinnert.
Begleitet von Schofartönen begaben sich am Sonntagnachmittag mehrere Hundert Menschen vom Altstädter Ring über die Josefstadt, an der Maisel- und der Pinkas-Synagoge vorbei Richtung Kleinseite. Viele hatten israelische und tschechische Flaggen mit, einige hielten in den Händen Fotos von Menschen, die vor mehr als einem halben Jahr von der Hamas verschleppt worden sind und als Geiseln gehalten werden. Auf dem Jan-Palach-Platz blieben die Teilnehmer des Umzugs stehen. Dort erklangen jüdische Lieder und Gebete. Danach begaben sich die Menschen weiter Richtung Wallenstein-Garten.
Der sogenannte „Marsch des guten Willens“ fand diesmal zum 20. Mal statt. In den vergangenen Jahren stand das Gedenken an die Holocaust-Opfer im Fokus sowie eine Warnung vor dem Antisemitismus. Diesmal aber konzentrierte sich die Aufmerksamkeit auf die Opfer der Angriffe der Hamas. Mojmír Kallus leitet die tschechische Zweigstelle der Internationalen Christlichen Botschaft Jerusalem (ICEJ), die die Aktion jedes Jahr initiiert.
„Der Sinn dieses Treffens ist es, den Widerstand gegen jedweden Hass, Rassismus und Antisemitismus zum Ausdruck zu bringen“, sagte Kallus einleitend.
Im Wallenstein-Garten warteten schon weitere Menschen auf den Umzug, unter ihnen waren mehrere Politiker sowie Persönlichkeiten des Kulturlebens. Der Vizevorsitzende des Senats Jiří Drahoš (parteilos) erinnerte in seiner Rede daran, dass er vor einem Jahr gesagt habe, der Antisemitismus gewinne in einigen Teilen Europas an Kraft.
„Damals hatte niemand geahnt, was sich ein halbes Jahr später im Süden Israels abspielen wird. Der präzedenzlose Angriff der Terroristen auf Israel vom 7. Oktober letzten Jahres hat eine Spirale der Gewalt entfesselt, aus der der Nahe Osten noch lange einen Weg suchen wird. In voller Blöße enthüllte der Angriff den in vielen Ländern Europas schwelenden Antisemitismus. Dieser ist nicht entschuldbar. Unter keinen Umständen darf man ihn rechtfertigen.“
Den Teilnehmern der Veranstaltung schilderte Jenny Sividya ihre grausamen Erlebnisse. Sie ist direkte Zeugin des Massakers beim Musikfestival Nova. Ihr jüngerer Bruder und dessen Partnerin wurden dabei ermordet. Jenny und ihr Freund überlebten, nachdem sie sich mehrere Stunden lang in einem Obstgarten versteckt hatten. Als die Terroristen die Bäume in Brand setzten, gelang es ihnen, davon zu rennen. Auf der Flucht seien sie auf israelische Polizisten gestoßen, die sie zur naheliegenden Polizeistation mitgenommen hätten, erzählte Jenny Sividya:
„Auf der Straße haben wir verbrannte Körper, ermordete Menschen, verbrannte Autos gesehen. Das einzige, woran ich gedacht habe, war, das mein Bruder Shlomi sich nicht mehr gemeldet hat.“
Der Körper von Jennys Bruder wurde eine Woche später identifiziert. Die Behörden empfahlen der Familie, ihn sich nicht anzuschauen.
Unter den Teilnehmern der Veranstaltung im Wallenstein-Garten war auch der renommierte tschechische Filmregisseur Václav Marhoul. Die Tatsache, dass der Antisemitismus in Tschechien im Vergleich mit anderen Ländern Europas bedeutend weniger verbreitet ist, hat laut Marhoul historische Gründe. Er erklärte gegenüber Radio Prag International:
„Präsident Masaryk hat die Fundamente für die Beziehungen mit Israel gelegt. Die Tschechoslowakei hat Israel später, Ende der 1940er Jahre, mit Waffenlieferungen bedeutend geholfen. Dies sind die Gründe dafür, warum die tschechische Gesellschaft viel mehr Verständnis für Israel zeigt.“
Trotzdem sind auch unter den tschechischen Künstlern in letzter Zeit Stimmen laut geworden, die eher israelfeindlich waren. Steckt dahinter Mangel an Kenntnissen oder auch das Bemühen, mit dem Strom zu schwimmen? Václav Marhoul sagt, er habe mit einem der Künstler gesprochen:
„Ich denke, es ist eine Mischung aus beidem. Vor allem geht es aber um einen Mangel an Kenntnissen. Die Menschen wissen nichts über die Geschichte des Konflikts. Sie wissen etwa nicht, wer im Krieg der Großmufti war (Mohammed Amin al-Husseini, Unterstützer des NS-Regimes, Anm. d. Red.) und wie das alles vor Jahrzehnten begonnen hat. Ich persönlich bin der Meinung, dass ein latenter Antisemitismus in Teilen der Gesellschaft immer noch vorhanden ist.“