Affront, Bonmots und praktische Lösungen: Tschechische Präsidenten und ihre Reden in Straßburg
Im Europäischen Parlament werden nicht nur Gesetze verabschiedet, sondern es wird ebenso über die weitere Zukunft Europas diskutiert. Persönlichkeiten von Weltrang und Spitzenpolitiker aus den Mitgliedsstaaten sprechen immer wieder vor den Abgeordneten. Auch die tschechischen Staatspräsidenten erhielten die Möglichkeit, im Europaparlament zu reden. Doch die Reaktionen auf die Ansprachen waren sehr unterschiedlich. Im Folgenden schauen wir darauf zurück, wie sich die tschechischen Staatsoberhäupter in Straßburg und Brüssel bisher präsentiert haben. Der Beitrag ist in Form eines Gesprächs mit Viktor Daněk entstanden, dem stellvertretenden Direktor des Instituts für europäische Politik Europeum und ehemaligen Korrespondenten des Tschechischen Rundfunks in Brüssel.
In der vorangegangenen Folge unserer Europa-Serie haben wir darüber gesprochen, wie nachhaltig Václav Havel die Politik der Europäischen Union beeinflusst hat. Seine Gedanken klingen bis heute nach, und die Politiker in der EU berufen sich immer wieder auf diese. Auf Havels Amtsnachfolger in Tschechien trifft dies jedoch nicht zu.
Václav Klaus sprach 2009 vor den Europaabgeordneten, und seine Rede ist in die Geschichte eingegangen. Niemals zuvor und wohl auch niemals danach haben die Parlamentarier in Straßburg ein Staatsoberhaupt beinahe ausgepfiffen. Klaus nutzte die Einladung nämlich dazu, um die bisherige Ausrichtung der europäischen Integration zu kritisieren. Er zweifelte an, dass das Europäische Parlament ein Ort der Meinungsvielfalt sei. Und er warf den Abgeordneten vor, über Dinge zu entscheiden, die nicht in ihre Kompetenz gehören würden. Zudem distanzierte sich der tschechische Präsident vom Vertrag von Lissabon, der Anfang desselben Jahres in Kraft getreten war:
„Die Lösung ist weder, unter dem schmelzenden Kessel der bisherigen Weise der europäischen Integration einzuheizen, noch die Rolle der Mitgliedsstaaten mit dem Schlagwort der neuen multikulturellen und multinationalen europäischen Zivilgesellschaft zu unterdrücken.“
Eklat im Plenarsaal
Ein Teil der Europaabgeordneten stand während der Ansprache sogar auf und verließ den Saal aus Protest. Die EU-skeptischen Ansichten von Václav Klaus waren damals schon weitestgehend bekannt. Die Rede hatte aber eine tiefere politische Bedeutung, weil Tschechien zu der Zeit den Ratsvorsitz innehatte. Prag war damit verantwortlich für die weitere Entwicklung in der Union.
Für Václav Klaus blieb das der einzige Auftritt im Europaparlament. Eingeladen wurde aber auch Klaus Nachfolger Miloš Zeman. Er sprach dort 2014, also zu Beginn seiner Ära als tschechischer Staatspräsident.
Zeman begann seine Amtszeit als tschechischer Präsident damit, dass er sich selbst als Euroföderalisten bezeichnete. Er ließ sogar auf der Prager Burg zunächst auch die Flagge der EU hissen. Erst später schloss er sich den scharfen Kritikern der Europäischen Union an. Die Europaabgeordneten erwarteten daher 2014 eine europafreundliche Rede. Und diese bekamen sie auch, allerdings auf Zemans sehr eigene Art. Der tschechische Staatspräsident fragte zunächst nach einem Aschenbecher. Dann sprach er auf Englisch und ohne Papier. Und in die Rede streute er seine Bonmots ein und ebenso viel Kritik.
„Mein europäischer Traum schließt nicht die verrückten Reisen der Parlamentarier zwischen Straßburg und Brüssel ein. Mein europäischer Traum schließt auch nicht die sinnlosen Direktiven ein wie jene über die Energiesparlampen. Ich habe eine solche in meinem Wochenendhaus, und die Beleuchtung erinnert an einen Friedhof oder ein Leichenhaus. Ich spreche also aus eigener Erfahrung. Mein europäischer Traum schließt auch nicht Brüssels sogenannte europäische Architektur ein, die manchmal wie ein elektrisch verstärkter Schuhkarton aussieht. Und er schließt auch nicht das Steak im Zentrum der Europäischen Kommission ein, das aussieht und schmeckt wie Kaugummi“, so Zeman.
In seiner Rede bezeichnete er sich als einen Anhänger des Euro. Die EU beschrieb er als eine im Grunde gute Sache. Und Zeman sprach sich für eine weitere Integration aus, die ein Europa vieler Geschmäcker und Farben bewahre. Über seine Ansprache wurde jedoch hierzulande sehr gelacht, wegen Zemans starkem tschechischen Akzent im Englischen.
Hilfe für die Ukraine
Der aktuelle tschechische Präsident, Petr Pavel, hat bisher ebenfalls nur einmal im Europäischen Parlament gesprochen – zu Beginn seiner Amtszeit. Insgesamt beruft er sich auf Václav Havel. Im Gegensatz zum ersten tschechischen Präsidenten formulierte Pavel bisher aber keine zeitlose Vision für Europa. Bei seiner Rede konzentrierte sich das derzeitige Staatsoberhaupt eher auf die Suche nach praktischen Lösungen für die größten Probleme, vor denen die EU derzeit steht. Am meisten beschäftigte er sich mit dem Krieg in der Ukraine. Dabei sagte er dem von Russland angegriffenen Land die größtmögliche Unterstützung zu. Pavel sprach zudem über die anstehende Wahl zum Europäischen Parlament und die Bedrohung durch den Populismus:
„Wir sollten nicht nach simplen Lösungen suchen und leere Versprechungen machen. Die Versuchung, die Realität für kurzfristigen politischen Erfolg zu manipulieren, ist enorm. Aber wir haben alle eine große Verantwortung, die Probleme so zu benennen, wie sie sind.“
Petr Pavel redete hauptsächlich englisch, aber auch tschechisch und französisch. Er erhielt stehenden Applaus. Außer den Staatspräsidenten haben auch mehrmals die tschechischen Premiers die Möglichkeit gehabt, im Europäischen Parlament zu sprechen – und zwar während der beiden Ratspräsidentschaften unseres Landes. Zudem erhielt Andrej Babiš während seiner Zeit als Regierungschef eine Einladung, um seine Vision für Europa in Straßburg vorzustellen. Der Vorsitzende der Partei Ano entschied sich aber, diese Einladung nicht anzunehmen.
Verbunden
-
Tschechien mischt mit in der EU
Die Wahl zum Europäischen Parlament findet diesmal genau in dem Jahr statt, in dem Tschechien seine 20-jährige EU-Mitgliedschaft feiert.
-
Tschechische Kandidaten und die Wahlkampfthemen
Nach fünf Jahren wird ein neues Europäisches Parlament gewählt.