Vom Chaos-Vorsitz zum vielgelobten Engagement für die EU: Tschechien und seine Ratspräsidentschaften
Tschechien hatte bisher zweimal Gelegenheit, in der Europäischen Union in besonderer Form den Ton anzugeben. 2009 hatte das Land zum ersten Mal die EU-Ratspräsidentschaft inne. Der damalige Vorsitz ging vor allem deshalb in die Geschichte ein, weil während dieser Zeit die Regierung zerfiel und das Land und die Ratspräsidentschaft von einem geschäftsführenden Interimskabinett geführt wurde. Die zweite Auflage 2022 lief deutlich glimpflicher ab. Die Spitzen der Union überhäuften Tschechien zum Ende der Ratspräsidentschaft geradezu mit Lob. Wie hat sich das Land das verdient? Darum geht es in der letzten Folge unserer Serie „Tschechien mischt mit in der EU“. Der Beitrag ist in Form eines Gesprächs mit Viktor Daněk entstanden, dem stellvertretenden Direktor des Instituts für europäische Politik Europeum und ehemaligen Korrespondenten des Tschechischen Rundfunks in Brüssel.
Tschechien hat seine letzte Ratspräsidentschaft in der zweiten Hälfte des Jahres 2022 in einer schwierigen Zeit übernommen. Denn in Europa war seit dem Februar, als Russland in die Ukraine einmarschierte, wieder Krieg. Die Länder der EU begannen gerade, dem angegriffenen Staat zu helfen. Sie mussten aber auch selbst mit dem Zustrom Geflüchteter und den in die Höhe schnellenden Energiekosten zurechtkommen. Die tschechischen Politiker, Diplomaten und Beamten hatten sich zwar schon lange vorher auf die Ratspräsidentschaft vorbereitet. Die russische Aggression brachte aber einen Wendepunkt. Mit den ersten Auswirkungen musste sich noch die französische Ratspräsidentschaft auseinandersetzen. Die Tschechen übernahmen die Führung in der EU jedoch in einer komplett neuen Situation. Manche Diplomaten sagten damals, dass sie einen Großteil ihrer politischen Vorbereitungen über Bord werfen mussten. Das Land begann also von Neuem. Bei der Eröffnung der Ratspräsidentschaft in Litomyšl zeigte sich Premier Petr Fiala allerdings überzeugt. Er sagte, dass die Tschechische Republik im Stande sei, diese schwierige Lage zu meistern:
„Wir übernehmen das Zepter der Präsidentschaft mit Ehrfurcht und voller Entschlossenheit, Kontinuität zu gewährleisten. Ich bin davon überzeugt, dass die Tschechische Republik an die Erfolge Frankreichs anknüpft und ihrer Verpflichtung zum Wohle Europas und seiner Bürger nachkommen wird. Wir befinden uns in einem der schwersten Momente der letzten Jahrzehnte. Aber ich bin mir sicher, dass wir diese Krise meistern, so wie wir das bereits in der Vergangenheit getan haben.“
Die grundlegende Aufgabe für Tschechien bestand darin, die europäische Einheit zu erhalten. Das mag banal klingen, aber in der Praxis war es nicht so einfach. Ungarn war wiederholt gegen mögliche Sanktionen gegen Russland. Und die Ungarn blockierten auch Finanzhilfen für die Ukraine. Tschechien musste sich zudem mit der Energiekrise auseinandersetzen. Viele der Lösungen stießen in einigen Ländern auf starken Widerstand. So wehrte sich etwa Deutschland lange gegen Obergrenzen für die Gaspreise an der Börse. Hinzu kam, dass Tschechien eine ganze Menge von Gesetzen erbte, die zuvor ausgehandelt worden waren. Sie waren sehr sensibel und mussten nun verabschiedet werden. Dazu gehörte auch fast das gesamte Klimapaket zur Senkung der Emissionen.
Erfolge und Misserfolge der Ratspräsidentschaft 2022
Rückblickend wurde die tschechische EU-Ratspräsidentschaft von vielen als positiv bewertet. Denn es gelang Tschechien, die Unterstützung für eine dreifache Ausweitung der Sanktionen gegen Russland auszuhandeln. Außerdem setzte das Land drei Pakete mit Maßnahmen im Bereich Energie durch. Das trug dazu bei, dass die Energiepreise auf den niedrigsten Stand seit Kriegsbeginn sanken. Ein Streit mit Ungarn über blockierte Subventionen wurde beigelegt. Und es wurden weitere Kredite für die Ukraine gesichert. Nicht zuletzt handelte Tschechien die endgültige Fassung von mehr als 30 Gesetzesentwürfen aus. Darunter war auch der Großteil der Klimagesetzgebung. Was die Misserfolge betrifft, so scheiterte der tschechische Versuch, den Schengenraum um Rumänien und Bulgarien zu erweitern. Die beiden Staaten traten ihm erst in diesem Jahr bei. Von manchen wird auch die Kommunikation mit der tschechischen Öffentlichkeit als Misserfolg bezeichnen. Denn die Regierung hat laut einigen das Potenzial der Ratspräsidentschaft nicht ausreichend genutzt. Die Reaktionen der anderen Mitgliedstaaten und der Staats- und Regierungschefs waren aber positiv. Von der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wurde die Tschechische Republik wie folgt gelobt:
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„Wir waren schon immer davon überzeugt, dass Tschechien ein wunderbares Land ist, und die vergangenen sechs Monate haben das in jeder Hinsicht bestätigt. Und Ihr Land ist sogar wunderbar, wenn Sie nicht die EU-Ratspräsidentschaft innehaben. Es hat noch viel mehr Vorzüge.“
Auch der Vizepräsident der Kommission, Frans Timmermans, zeigte sich zufrieden. Er sagte über Tschechien, das Land habe bewiesen, dass Ost und West nur noch leere Begriffe seien – genauso wie sich das Václav Havel einst gewünscht hat.
Gründungstreffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft
Im Hinblick auf die erste tschechische Ratspräsidentschaft, die einer Tragödie glich, stellt sich die Frage, wie sich die Europäer an den zweiten Vorsitz erinnern werden. Allerdings gibt es in der Europäischen Union so viele Mitgliedsstaaten, dass die meisten Erfolge und Misserfolge mit der Zeit vergessen werden. Nur die wirklich einzigartigen Momente bleiben in Erinnerung. Zu diesen Momenten könnte das erste Gipfeltreffen fast aller europäischen Länder außer Russland und Belarus zählen. Auf Initiative des französischen Präsidenten Emmanuel Macron fand es auf der Prager Burg statt. Es begründete eine Tradition ähnlicher Treffen, die bis heute anhält.
Aber auch die erste tschechische Ratspräsidentschaft 2009 ging nicht nur negativ in die Geschichte ein. Zum Beispiel funktioniert bis heute die Plattform der Östlichen Partnerschaft. Sie wurde damals auf Bestreben Tschechiens ins Leben gerufen und hat sich als zeitlos erwiesen. Nicht zuletzt zeigt jede Ratspräsidentschaft, wie stark ein Land die Richtung der gesamten EU beeinflussen kann – und zwar nicht nur während seiner Ratspräsidentschaft.
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