Dem Schriftsteller ganz nah – Bohumil Hrabals „Chata“ in Kersko
Seit Mai ist Bohumil Hrabals Gartenhaus in Kersko für Besucher geöffnet. Das Elbtal-Museum hat es zu einem Haus-Museum umgestaltet. In geführten Kleingruppen kann man es besichtigen und dem Schriftsteller dabei gleichsam über die Schulter schauen – beim Sein und Schreiben.
Der Besucherraum im Erdgeschoss ist schon vor der Führung geöffnet. Darin macht Ladislava Černá Dienst. Sie ist eine der Führerinnen des Haus-Museums. Wer möchte, kann hier Bücher und Infos durchblättern, die in Regalen ausliegen – oder sich mit Frau Černá über Bohumil Hrabal und Kersko unterhalten.
„Hrabal ist in Nymburk aufgewachsen. Er verbrachte also seine Kindheit ganz in der Nähe und kannte Kersko sehr gut. Hrabal schwamm gerne in der Elbe, unternahm lange Spaziergänge, fuhr Rad. Als er hier noch mit dem Ofen heizte, hackte er selbst das Holz dafür. Auch im Garten betätigte er sich. Er baute Kartoffeln an und hat Rhododendron-Büsche und einige Bäume gepflanzt“, sagt die Fremdenführerin.
Los geht die Führung dann vor dem Haus, bei einer hölzernen Gartenbank, wie sie seinerzeit schon Bohumil Hrabal benutzte. Černás Kollege Karel Hanek wird diese Kleingruppe begleiten. Noch sind nicht alle sieben Teilnehmer eingetroffen, doch Hanek beginnt schon mal zu erzählen. Drei Jahre lang habe das Elbtal-Museum daran gearbeitet und sechs Millionen Kronen (238.000 Euro) investiert, um Hrabals Gartenhaus zu einem Haus-Museum zu machen. Errichtet worden sei das Gartenhaus 1940 von zwei Prager Lehrerinnen. Die Schwestern seien zur Erholung in ihre „chata“ gefahren – so heißen Häuschen im Grünen im Tschechischen.
„Der Bau war Teil der Entwicklung des Waldstädtchens Kersko. Diese begann 1934, als die Familie Jirouš aus Sadská beschloss, ihren Privatwald hier in Bauparzellen aufzuteilen. Die Familie entwarf einen Bebauungsplan: Eine Hauptstraße sollte entstehen – die heutige ‚Betonka‘ – und nummerierte ‚Alleen‘ als Nebenstraßen. Der Plan sah ein Schwimmbad und zwei Restaurants vor, die auch gebaut wurden. Man erschloss sogar Heilquellen und legte Tennisplätze an, die es noch heute gibt. Es war ein breites Gesamtkonzept, das im tschechischen Kontext einzigartig ist, zumal auch die Infrastruktur mit bedacht wurde“, so Hanek.
Aufwendige Umgestaltung zum Haus-Museum
Bohumil Hrabal erwarb 1965 das idyllische Gartenhaus im lichten Auwald von Kersko und behielt es bis zu seinem Tod 1997. Er vererbte es dem Sohn eines Freundes, Radek Eliáš. Der nutzte es mit seiner Familie nahezu ein Vierteljahrhundert lang, dann verkaufte er es. Die historisch getreue Renovierung habe viel Aufwand und auch gute Ideen erfordert, sagt Karel Hanek:
„Das Elbtal-Museum hatte schon seit Bohumil Hrabals Tod diverse originale Gegenstände aus der Chata im Depot. Diese Stücke wurden gemäß früherer Fotografien wieder an ihre angestammten Plätze gebracht. Doch viele Objekte, die auf Fotos abgebildet sind, waren inzwischen abhandengekommen. Daher veröffentlichte das Elbtal-Museum einen Aufruf: Wer passende Dinge habe, möge sie zur Ausstattung von Hrabals Chata bereitstellen.“
Der Aufruf löste ein enormes Echo aus. So konnte das Mobiliar mit einem zeittypischen Radio, Waschbecken, Geschirr und anderen Gegenständen aus den 1980er Jahren ergänzt werden. Eine hölzerne Außenstiege wurde nachgebaut, die Hrabal anbringen ließ und die später abgerissen wurde. Der ursprüngliche Rauputz wurde auf einigen Fassadenteilen aufgebracht, die Veranda, Türen und Fenster wurden in Hrabals Lieblingsfarbe gestrichen, dem „Waggongrün“.
Während Karel Hanek erzählt, schieben zwei Radfahrerinnen ihre E-Bikes in den Garten, hören neugierig zu. Er fragt sie, ob sie mitgehen wollen, zwei reservierte Plätze seien frei geblieben. Die Frauen können ausnahmsweise Tickets vor Ort erwerben. Dann streifen alle Teilnehmer Schutzhüllen über ihre Schuhe und erklimmen die paar Stufen zur Tür ins Erdgeschoss. Und unser Begleiter fährt fort:
„Ich begrüße Sie nunmehr im Inneren der Chata. Wir sind hier im zentralen Raum, in dem sich das Privatleben der Hrabals größtenteils abgespielt hat. Nebenan ist die Küche, also diente dieser Raum auch als Esszimmer. In der Ecke stand ein Fernseher, mit dem Hrabal vor allem Sportsendungen verfolgt haben dürfte, sonst interessierte ihn im Fernsehen nichts. Auch ein Stockbett steht da, darin schliefen die Hrabals in der kalten Jahreszeit, wenn es nötig war, ein wenig zu heizen. Dazu benutzten sie den Nachtspeicherofen dort.“
Auf dem Esstisch liegen drei großformatige Fotodrucke – darauf abgebildet sind Hrabals Frau Eliška, sein Freund Karel Marysko und sein Stiefbruder Břetislav Slávek, der ein Haus weiter in Kersko wohnte. Sie verstarben alle um 1987 – ein Schicksalsjahr im Leben Bohumil Hrabals. Von Karel Marysko, einem Dichter, bildenden Künstler und Musiker aus Nymburk, den Hrabal von Kindheit an kannte, hängt eine Collage an der Wand hinter dem Esstisch. Karel Hanek:
„Marysko nannte das Bild ‚Schöpfer der Schönheit‘. Er hat es Bohumil Hrabal gewidmet. Oben links ist Hrabals Konterfei zu sehen und rechts unten der Dichter Charles Beaudelaire, den sie beide sehr verehrten. Die Bilder an der Wand sind wirklich so gehangen wie jetzt, es gibt Fotografien, auf denen Bohumil Hrabal hier am Tisch sitzt, und hinter ihm sind diese Bilder.“
Schriftstellerlaufbahn mit Hürden
Nun wird der Lebenslauf Bohumil Hrabals in geraffter Form erzählt, gewürzt mit Episoden und Anekdoten, die eine plastische Vorstellung von seinem Charakter und seiner Lebensart geben. In Hrabals Laufbahn als Schriftsteller hätten sich kurze Höhenflüge mit langen Durststrecken abgewechselt, schildert Hanek.
„1963 erscheint Hrabals erster Prosaband ‚Die Perle am Grund‘. Da ist Hrabal schon 49 Jahre alt. Doch dann geht es Schlag auf Schlag: ‚Tanzstunden für Erwachsene und Fortgeschrittene‘, ‚Die Bafler‘ und vor allem das Buch ‚Reise nach Sondervorschrift, Zuglauf überwacht‘, das 1965 erscheint. Es wird bis 1970 mehrmals nachgedruckt mit einer Auflage von rund 250.000 Stück. Hrabal ist plötzlich ein viel gelesener Berufsschriftsteller. Die Erfolgssträhne kulminiert in der Verfilmung von ‚Reise nach Sondervorschrift, Zuglauf überwacht‘, die einen Oscar erhält“, so der Museumsführer.
Mit dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen im August 1968, durch den die Reformbewegung „Prager Frühling“ niedergeschlagen wird, wendet sich das Blatt. Ab 1970 ist Hrabal mit einem Publikationsverbot belegt. Kersko sei für ihn ab da zu einem wichtigen Refugium geworden, weiß Ladislava Černá zu berichten:
„In den 1970er Jahren war Herr Hrabal eine unerwünschte Person. Er war dem Regime nicht genehm und hielt sich daher die meiste Zeit in Kersko auf. Eigentlich hat er hier gelebt.“
Nur noch in Samisdat-Editionen sind Hrabals Werke damals zu bekommen, nur im Untergrund kursieren sie noch. Einige Bücher erscheinen in westlichen Exilverlagen. Hrabal aber will nicht ganz totgeschwiegen werden, er übt sich in Selbstzensur, zeigt sich kompromissbereit. Die Handlanger der Staatsmacht lässt das unbeeindruckt, sie legen ihm weiter Steine in den Weg. Hrabal schreibt für die Schublade, doch er schreibt viel, sehr viel. Museumsführerin Černá:
„Er hat ‘Ich habe den englischen König bedient‘ geschrieben, dann ‚Die Schur‘, ‚Schneeglöckchenfeste‘, und ‚Das Städtchen, in dem die Zeit stehenblieb‘. ‚Ich habe den englischen König bedient‘ schrieb Hrabal in einem Zug. Er ging eines Tages ins Hotel ‚Blauer Stern‘ und ließ sich dort vom Kellner, dem das Hotel früher gehört hatte, dessen Geschichte erzählen. Er war so angetan davon, dass er eigene Erinnerungen und Erlebnisse aus Gaststätten hinzufügte und diese noch durch die Erlebnisse von Eliška ergänzte, die im Hotel Paris gearbeitet hatte. Und als er sich die ganze Geschichte zurechtgelegt hatte, setzte er sich hier in Kersko an die Schreibmaschine und schrieb sie in nur 18 Tagen nieder.“
Eine schmale Stiege führt vom Wohn-Schlafzimmer in den oberen Stock. Vom Flurfenster öffnet sich ein herrlicher Blick auf den alten Baumbestand des Waldgartens. Die Stiege mündet oben in den größten Raum des Hauses. Karel Hanek:
„Wir nennen diesen Raum ‚Galerie‘. Das soll die äußerst enge Beziehung Bohumil Hrabals zur bildenden Kunst und zu Malern ausdrücken. Hrabal kannte viele Maler, sie schenkten ihm Bilder, und er hielt Reden bei ihren Vernissagen. Von den Gemälden, die ursprünglich hier hingen, ist fast nichts mehr vorhanden, bis auf das Porträt Hrabals, das sein Freund Josef Jíra gemalt hat.“
Familiäre Wurzeln in Südmähren
Die Bilder, mit denen die Wände bestückt sind, erinnern an Künstler wie Jiří Anderle oder Vladimír Boudník, mit denen Hrabal befreundet war. In anderen Bildern klingen Motive aus literarischen Texten oder die Vorliebe Hrabals für Katzen an. Karel Hanek deutet auf ein großes Porträt in der Mitte, es zeigt Hrabals Mutter Maria Kiliánová. Dann erzählt er über die Vorfahren des Schriftstellers und die seiner Frau Eliška, geborene Plevová. Im südmährischen Břeclav / Lundenburg sei Eliška aufgewachsen, ihre Mutter sei Österreicherin gewesen, der Vater Tscheche. Drei Geschwister habe Eliška gehabt, daheim habe man wahrscheinlich Deutsch geredet. Nach dem Zweiten Weltkrieg sei die Familie vertrieben worden, allein Eliška sei in der Tschechoslowakei geblieben.
„Sie arbeitet in Restaurants und Hotels. Sie bringt sich durch, so gut es geht. Dann verschlägt es sie nach Prag. Sie sucht Bekannte auf, die ihr helfen sollen, eine Unterkunft zu finden. Und diese Bekannten wohnen im 8. Prager Bezirk, im Stadtteil Libeň, in der Straße Na hrázi 24. In demselben Haus hat auch Bohumil Hrabal gewohnt. Eliška schlendert damals also im Hof des Pawlatschen-Hauses umher, und Hrabal nimmt sich ihrer an. Er verliebt sich in sie, und es dauert kein Jahr, da feiern sie im Schloss Libeň Hochzeit. Das war 1956“, so Hanek.
31 Jahre lang währte die Ehe mit der zwölf Jahre jüngeren Pipsi, wie Hrabal seine Frau zärtlich nannte, bis zu deren Tod.
„Eliška kam anfangs nur mittwochs und an den Wochenenden nach Kersko. Aber als sie in Rente war, hielt sie sich auch länger hier auf“, ergänzt Ladislava Černá und fügt hinzu, dass Eliška den Garten bestellt und darauf geachtet habe, dass Hrabal über seiner leidenschaftlichen Liebe zur Kunst seine Gesundheit nicht vernachlässigte.
Von der Diele geht eine Tür auf die Veranda hinaus. Hrabal hatte die verglaste Holzkonstruktion erst nach dem Kauf der Chata anbauen lassen. Er gab ihr den vielsagenden Namen „vechtrovna“. Ladislava Černá:
„Das Wort ‚vechtrovna‘ stammt aus dem Eisenbahnjargon und bedeutet so viel wie ‚Stellwerk‘. Hrabal kannte es aus der Zeit, als die Hochschulen geschlossen waren und er in Kostomlaty nad Labem (Groß Kostomlat, Anm. d. Red.) bei der Bahn arbeitete. Er mochte den Dienst bei der Bahn sehr. Erlebnisse davon sind in die Prosa ‚Reise nach Sondervorschrift, Zuglauf überwacht“ eingeflossen. Das Stellwerk ist ein Raum, von dem man auf die Gleisanlagen sieht und den Bahnbetrieb regelt. Es liegt erhöht und ist verglast, damit man einen Ausblick nach allen Seiten hat.“
Kersko – Rückzugsort fürs Schreiben
Hrabal konnte von seiner „vechtrovna“ den Zugangsweg zur Chata überblicken. Nahte ein ungebetener Gast, schlich er sich laut Zeitzeugen klammheimlich davon und verbarg sich im Waldgarten, bis der Besucher wieder ging.
„Die Veranda ist vor allem dadurch bedeutend, dass Hrabal hier viel schrieb. Wenn er in Kersko war, schrieb er entweder im Garten, dort standen große Birken, oder hier…“, so Hanek.
Und seine Kollegin Černá ergänzt:
„An heißen Tagen, wenn es hier nicht auszuhalten war, nahm er einen kleinen Klapptisch, stellte ihn draußen auf und arbeitete auf der Terrasse.“
In der „vechtrovna“ wird Hrabals schriftstellerischer Habitus begreifbar. Seine Consul-Schreibmaschine und Typoskripte weisen auf die Arbeitsweise hin. Karel Hanek:
„Anfangs ging Hrabal so vor, dass er die Texte zerschnitt und die Teile dann neu zusammensetzte. So schuf er eine zweite, eine dritte Version. Doch während der Jahre in Kersko hielt er sich bereits mehr an die Methode, ein Werk zuerst in sich auszuformen, bevor er es niederzuschreiben begann. Hrabal pflegte zu sagen: ‚Am meisten schreibe ich, wenn ich nicht schreibe‘.“
In den 1990er Jahren, nach dem nie verwundenen Tod seiner Frau, ließ Hrabals Schaffenskraft nach – paradoxerweise in der neu gewonnenen Freiheit. Ladislava Černá:
„Im Alter, als Hrabal Eliška verloren hatte, blieb er noch einige Zeit allein hier. Später kam er täglich aus Prag, kümmerte sich um seine Katzen und schrieb kurze Texte, die er nach Prag mitnahm und seinen Freunden übergab, die sie sammelten. In Kersko hatte er auch im Winter den Unfall, der ihn ins Krankenhaus Na Bulovce brachte. Von dort ist er nicht mehr zurückgekehrt.“
Am 3. Februar 1997 schied Bohumil Hrabal – allen Anzeichen nach freiwillig – durch einen Sturz aus dem Fenster im fünften Stock des Krankenhauses aus dem Leben.
Viele Fans kennen heute die Verfilmungen seiner Werke besser als Hrabals Texte selbst. So auch die beiden Radfahrerinnen, die zufällig zu der Führung gestoßen waren. Eine von ihnen sagt:
„Ich kenne die Filme ‚Das Wildschwein ist los‘ und ‚Die Schur‘ von Jiří Menzel. Sie sind Herzstücke des Kinos.“
Und die zweite Radfahrerin fügt hinzu:
„Ich bin froh, dass ich heute hierhergekommen bin. Ich kenne nur ein paar Hrabal-Verfilmungen. Und hier habe ich mehr über sein Leben erfahren, das hat mir richtig gut gefallen.“
Die Führung durch das Haus-Museum in Kersko dürfte mit ihrer ausgewogenen Mischung aus Information und Unterhaltung jedenfalls die Teilnehmer anregen, auch mal ein Buch von Bohumil Hrabal zur Hand zu nehmen und darin zu schmökern.
Führungen durch das Haus-Museum Bohumil Hrabals in Kersko – die Hrabalova chata – finden mehrmals täglich in Kleingruppen statt. Anmelden muss man sich dazu im Voraus online. Die Führungen sind in Tschechisch.
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