Fall von Altersdiskriminierung? Warum die Bewohner eines mährischen Dorfes ein Seniorenheim ablehnen
Zeitgleich mit den Regionalwahlen vor gut einem Monat wurden in Tschechien auch einige örtliche Referenden abgehalten. Eines hat nun zu landesweiten Diskussionen geführt. Denn die Bewohner einer Gemeinde in Ostmähren haben den Bau eines Altersheimes in ihrem Ort abgelehnt.
Die Gemeinde Horní Lideč / Ober Litsch liegt malerisch am Rand der Weißen Karpaten. 1331 Einwohner leben hier laut offiziellen Angaben. In dem Ort wird seit zwei Jahren ein Altersheim gebaut, das 25 Plätze bieten soll. Soweit also nichts Besonderes. Doch die Mehrheit der Wähler hat sich in einem Referendum parallel zu den Kreiswahlen Ende September dagegen ausgesprochen, dass das Seniorenheim in Horní Lideč entstehen soll.
Seitdem wird im ganzen Land heftig diskutiert: über die rechtlichen Konsequenzen angesichts des bereits genehmigten Baus und über den Zustand der tschechischen Gesellschaft. Der Bürgermeister des Ortes, Josef Tkadlec (Christdemokraten), steckt in einer Zwickmühle. Das Ergebnis des Referendums zu übergehen, wäre ein politischer Präzedenzfall. Doch die ausführende Firma habe es abgelehnt, ihr Projekt des Altersheims zu beenden, sagt Tkadlec:
„Wir haben im Grunde kein rechtliches Mittel gefunden, um den Bau zu stoppen. Das liegt daran, dass weder der Vertrag einseitig gekündigt werden kann, noch ein Vertrag über ein Ende des ursprünglichen Vertrags geschlossen werden kann. Daher wird derzeit weitergebaut.“
Würde die Gemeinde dennoch die Arbeiten stoppen, drohten ihr sehr hohe Entschädigungszahlungen, betont der Bürgermeister.
Aber warum ist es überhaupt so weit gekommen? Initiiert wurde das Referendum von einer Familie, die in unmittelbarer Nachbarschaft des Baus wohnt. Direkt daneben steht auch die Grundschule, auf die ihre Töchter demnächst gehen werden. Die Journalistin Ivana Svobodová vom Wochenmagazin Respekt hat mehrere Tage lang vor Ort recherchiert und sich ausführlich mit den Bewohnern unterhalten.
„Die Mutter sagte mir wörtlich, dass ihre Töchter, wenn sie demnächst auf die Schule gehen, dann Menschen sehen müssen, die am Ende ihres Lebens stehen, und dass dies nicht gut sei. Das war das erste Argument. Erst danach suchte sie wie auch weitere Befürworter des Referendums, mit denen ich gesprochen habe, nach weiteren Aspekten, die sie stören könnten. So war zumindest mein Eindruck“, schilderte Svobodová in den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks.
Solche und weitere Äußerungen der Bewohner haben Horní Lideč zum landesweiten Gesprächsthema gemacht. Soziologen sprechen von einem Beispiel für Altersdiskriminierung und warnen vor den Folgen – so auch Lucie Vidovičová von der Brünner Masaryk-Universität:
„Das Referendum beruht auf einer negativen Ideologie gegenüber dem Alter und zugleich einem Verschließen der Augen vor der eigenen Zukunft. Denn anders als Sexismus und Rassismus hat die Altersdiskriminierung die Eigenschaft, dass sie sich später gegen diejenigen wendet, die diese verbreiten.“
Viele der Bewohner, die im Referendum gegen das Altersheim gestimmt haben, sind nun geschockt über die Reaktionen im Land. Ein Petitionsausschuss hat vergangene Woche ein Schreiben aufgesetzt, in dem auf die Vorwürfe reagiert wird. In dem Brief, der unter anderem an die Regionalzeitung Valašský deník (Walachische Tageszeitung) ging, heißt es unter anderem:
„In Horní Lideč haben wir bereits ein Seniorenheim, und bei diesem gab es nie Probleme mit der generationenübergreifenden Solidarität. Wir sind nicht gegen Senioren, sondern gegen die Art und Weise, wie das Projekt durchgesetzt wurde.“
Unter anderem wird Bürgermeister Tkadlec vorgeworfen, dass er zwei Wochen vor den Wahlen bereits den Vertrag mit dem Bauherrn unterzeichnet habe, obwohl das Referendum angekündigt war. Als Frage bleibt indes, wie sich die Mehrheit der Stimmberechtigten dazu verleiten lassen konnte, in dem Referendum ganz allgemein gegen den Bau eines Altersheimes zu stimmen – und nicht nur gegen dieses besondere Projekt. Dabei geht es dann vielleicht auch um Formen politischer Einflussnahme und Manipulation.