Zusammenhalt und Einfluss schaffen: Tschechische Öko-Dachorganisation Zelený kruh wird 35 Jahre alt
An diesem Sonntag ist es genau 35 Jahre her, dass Zehntausende von Demonstranten in Prag und anderswo in der Tschechoslowakei das schnelle Ende der Alleinregierung der Kommunistischen Partei erkämpften. Aber nicht nur auf höchster staatlicher Ebene kamen die Dinge damals in Bewegung. Am 21. November 1989 gründete sich etwa der Grüne Kreis – ein Dachverband für die zahlreichen Umweltorganisationen, die es schon in der Vorwendezeit hierzulande gab.
Voll war es in der Radlicka-Kulturturnhalle, und laut. Überall standen Grüppchen, die sich angeregt unterhielten – ehemalige und aktive Umweltbewegte tauschten sich über aktuelle Projekte aus oder schwelgten in Erinnerungen. Eine echte Geburtstagsstimmung herrschte also an diesem Dienstag Anfang November, an dem das 35. Gründungsjubiläum des Umwelt-Dachverbandes Zelený kruh (Grüner Kreis) gefeiert wurde.
Welche Bedeutung der Zusammenschluss heute hat, schildert Anna Kárníková, Chefin der Umweltorganisation Hnutí duha (Bewegung Regenbogen), die Mitglied im Grünen Kreis ist:
„Wir selbst fokussieren uns bei Hnutí duha natürlich auf ein paar bestimmte Themen. Aber wir brauchen auch einen breiteren Überblick darüber, was in der Legislative läuft oder was die Regierung plant. Dabei ist der Grüne Kreis für uns sehr wichtig. Denn er bietet zusätzliche Kapazitäten und Informationen, die wir für unsere Arbeit nutzen können.“
Es ist also vor allem eine Servicefunktion, die der Grüne Kreis für seine mehr als 90 Mitgliedsorganisationen ausübt. Informationen liefern und Kontakte schaffen – mit genau dieser Absicht sei der Verband am 21. November 1989 auch gegründet worden, sagt Václav Vašků. Der Journalist und Fotograf saß bei der Feier als Zeitzeuge mit auf dem Podium. Schuld am Grünen Kreis habe der Stromovka-Park in Prag gehabt, fasste Vašků seine Erinnerungen zusammen. Im Interview mit Radio Prag International ging er noch einmal darauf ein:
„Das kommunistische Regime plante damals eine Autobahn, die unter dem Stromovka-Park durchführen sollte. Dies rief 1989 eine Menge Aktionen hervor. Eine davon – und das war nur zwei Tage vor der Samtenen Revolution – war eine Demonstration gegen diese Autobahnpläne. Es war der 15. November 1989, als vor dem Prager Magistrat etwa 5000 Menschen zusammenkamen. Zufällig habe ich dort Ivan Dejmal getroffen, der später Umweltminister werden sollte, außerdem den Architekten Ivan Plicka, der eine Art Antriebsmotor für die Rettung des Stromovka-Parks war, und auch den Dokumentarfilmer Tomáš Škrdlant. Nach der Demo gingen wir alle zusammen ein Bier trinken, und dort entstand die Idee zur Verbandsgründung.“
Hier muss angemerkt werden, dass die Angaben zur Teilnehmerzahl der genannten Demonstration je nach Quelle variieren. Offizielle Stellen sprechen von 1000 bis 3000 Protestierenden.
Ivan Dejmal sei zu der Zeit der wichtigste Akteur der tschechoslowakischen Umweltbewegung gewesen, erinnert Vašků an den bereits verstorbenen Mitstreiter. Er habe etwa die Zeitung „Ekologický bulletin“ (Ökologisches Bulletin) im Samisdat herausgegeben. Und weiter würdigt Vašků die Wegbereiter:
„Es war Ivan Plicka, der den Namen Zelený kruh vorschlug. Entstehen sollte also ein grüner Kreis an Organisationen. Dann kam der 17. November. Ich war mit Plicka auf der Národní-Straße. Er ist dort schrecklich geprügelt worden und zeigte mir danach seinen Rücken voller Blutergüsse. Kurz danach gab es bei Ivan Dejmal zu Hause dann die erste Sitzung, bei der die Organisation gegründet wurde.“
Dichte Smogwolke über der Tschechoslowakei
Derzeit wird der Grüne Kreis von Petra Kolínská geleitet. Wo war sie am 21. November 1989?
„Daran erinnere ich mich ganz genau. Ich war 14 und lag mit Grippe im Bett. Schon am 17. November hörte ich Voice of America und Radio Free Europe, das mochte ich sehr. Ich ging zu meinen Eltern in die Küche und teilte ihnen mit, dass es auf der Národní-Straße einen toten Studenten gibt. Sie sagten darauf nur, dass ich wohl sehr hohes Fieber haben müsse und mich wieder hinlegen solle. Ich war also bei den Ereignissen direkt dabei, nur eben über das Radio. Wenn man 14 ist, lässt einen auch niemand irgendwohin – meine Eltern erlaubten mir nicht, zu den Demonstrationen zu gehen. Am 21. November 1989 habe ich also Radio gehört, was ich liebe, und das revolutionäre Brodeln habe ich sehr intensiv durchlebt.“
Schon damals habe sie sich für das öffentliche Geschehen interessiert und politisch aktiv sein wollen, fährt Kolínská fort. Umweltthemen hätten dabei jedoch für sie noch keine Rolle gespielt.
Diese seien in den letzten Wochen und Monaten der Tschechoslowakei aber bereits präsent gewesen, betont Václav Vašků. Er selbst habe in der Vorwendezeit den kleinen Verein Zelený klub Praha (Grüner Klub Prag) gegründet…
„Die Situation wurde damals wirklich reif. Dies hing mit den Umweltverschmutzungen zusammen. Genau in diesem November überzog ganz Tschechien eine schreckliche Inversion, eine große Wolke lag über dem Land. Und in Nordböhmen, wo die Heizkraftwerke standen, hatten die Leute wirklich Atemnot. Ein Freund von mir lebte dort, und er erzählte, dass die Hand vor Augen nicht zu sehen war. Er lief zu Fuß auf der Straße und schaute immer auf den weißen Mittelstreifen, um in dem Nebel nicht verlorenzugehen. Damals haben alle verstanden, dass es so nicht weitergeht. Und die Umweltthemen brachten uns, die Gegner des kommunistischen Regimes, zusammen.“
Heute hingegen zielt der Grüne Kreis explizit auf die Zusammenarbeit mit der Regierung ab. Die Anliegen seiner Mitgliederorganisationen bringt der Verband vor allem beim Umweltministerium ein. Und wie selbstverständlich war der aktuelle Ressortleiter Petr Hladík (Christdemokraten) auch bei der Geburtstagsfeier zu Gast. Gegenüber Radio Prag International sagte er:
„Eine Zusammenarbeit besteht nicht nur mit dem Grünen Kreis, sondern mit allen Nichtregierungsorganisationen im Bereich des Umweltschutzes. Unser Ministerium hat dafür die Position eines Koordinators für den NGO-Bereich eingerichtet. Es gibt regelmäßige Treffen, bei denen die einzelnen Themen besprochen werden. Wir informieren uns gegenseitig im Voraus und geben Rückmeldungen weiter – das alles, um miteinander zu kommunizieren und uns nicht gegenseitig zu behindern.“
Dass die Kontakte bereits ein recht vertrauliches Niveau erreicht haben, illustrierte eine Äußerung Hladíks bei seiner Ansprache auf der Bühne. Obwohl ihn die NGOs manchmal ganz schön quälen würden, habe er sie alle doch sehr gern, scherzte der Minister.
So wie es mit dem Regierungsvertreter mitunter sicher auch harte Auseinandersetzungen gibt, dürfte die Zusammenarbeit innerhalb des Grünen Kreises ebenfalls nicht immer einfach sein. Seine Mitgliederbasis bestehe aus kleinen sowie großen Organisationen, die regional oder auch landesweit ausgerichtet seien und sowohl professionell als auch auf ehrenamtlicher Basis arbeiteten, fasst Petra Kolínská zusammen:
„Wir haben ein sehr breites Themenfeld, es geht also bei weitem nicht nur um den Klimawandel. Die Stärke des Dachverbandes ist seine Fähigkeit, an einem Strick zu ziehen. Und das nicht nur, wenn wir ein gemeinsames Ziel haben, sondern eben auch, wenn die einzelnen Anliegen auf den ersten Blick entgegengesetzt sind. Ein Beispiel ist der Landschaftsschutz versus dem Bau einer Windkraftanlage. Dies steht manchmal gegeneinander. Aber unser Netzwerk ermöglicht es, einen Zwischenweg zu finden, damit sowohl die freie Natur geschützt wird, aber auch ausreichend leistungsfähige Windräder oder Solarpaneele gebaut werden können.“
Auf diese Weise verstehe sie auch den geerbten Namen Grüner Kreis, ergänzt die Direktorin. Er verweise auf Gemeinschaft sowie Verbundenheit. Und wichtig sei, dass er grün ist, so Kolínská.
Ähnlich sieht es Štěpán Vizi. Er arbeitet als Experte für Klimapolitik beim Zentrum für Verkehr und Energie (CDE), das ebenfalls im Grünen Kreis organisiert ist.
„In den letzten fast zwei Jahren haben wir daran mitgearbeitet, die tschechischen Klima- und Energiestrategien zu aktualisieren. Das müssen alle europäischen Staaten machen. Dank des Grünen Kreises sind wir Mitglied der offiziellen Plattform, durch die wir im Dialog mit den Ministerien und anderen interessierten Akteuren stehen. Wenn es um erneuerbare Energie in Tschechien geht, dann sind wir nicht so gut dran im Vergleich mit anderen Staaten in Europa. Wichtig ist, Maßnahmen zu formulieren, wie man das ändern könnte, und Ziele zu setzen, die ambitioniert genug sind. Es ist ein Problem, dass die Strategien bisher nur Ziele enthalten, die nicht ausreichen.“
An einem Strick ziehen
Auch laut Anna Kárníková von Hnutí duha ist es wichtig, dass der Grüne Kreis nicht nur die aktuellen Themen verfolge, sondern die Perspektiven seiner Mitglieder aktiv in die Debatten einbringe. Allerdings stünden im Dachverband selbst in Zukunft neue Herausforderungen an, so die Aktivistin:
„Besonders in den letzten Jahren wird deutlich, dass zwei Gruppen entstehen. Eine wird gebildet von Organisationen, die sich mit Klimaschutz beschäftigen. Die andere Gruppe sind jene, die traditionellen Naturschutz betreiben. Wenn es nun um erneuerbare Energiequellen geht, kommen diese zwei Perspektiven oft in Konflikt.“
Da für alle schwierige Zeiten anstünden, müssten die Akteure innerhalb des Grünen Kreises auch weiterhin in der Lage sein, miteinander diskutieren und ihre Interessen ausbalancieren zu können, fügt Kárníková hinzu. Und Štěpán Vizi nimmt bezüglich dessen, was den Dachverband in den kommenden Jahren erwartet, erneut einen gesamtgesellschaftlichen Blick ein:
„Ich finde, eine große Herausforderung ist generell die Kommunikation nach außen. In der ganzen politischen Situation hat Ökologie heute nicht mehr so eine hohe Priorität, wie noch vor ein paar Jahren. Klima- und Umweltschutz ist ein bisschen in den Hintergrund getreten. Da müssen wir schauen, inwiefern wir das beeinflussen können, und dafür sorgen, dass es Priorität bleibt und nicht vergessen wird.“
Davor warnt auch Bedřich Moldan. Nach der Samtenen Revolution hatte er als erster das Amt des Umweltministers ausgeübt. Bei der Feier des Grünen Kreises konstatierte er, dass es in Tschechien derzeit keine ausreichende politische Unterstützung für ökologische Themen gebe. Angesprochen auf diesen Vorwurf, nahm Moldans Nachfolger Petr Hladík seine eigene Partei in Schutz:
„Die Christdemokraten sind mit Sicherheit die grünste Partei im tschechischen Parlament. Dies gilt schon seit langem. Wir betreiben eine Politik ohne Aktivismus und Alarmismus. Diese grüne konservative Ausrichtung ist überall in Europa eine wichtige politische Strömung. Ich wäre sehr froh, wenn gerade dieser Teil des politischen Spektrums weiter wächst. Denn wir müssen den Umwelt- und Landschaftsschutz auf ideologiefreie Weise durchsetzen und damit die Weitergabe unseres Erbes an die künftigen Generationen sichern.“
Und Petra Kolínská reagierte auf die Mahnung von Bedřich Moldan mit einem Blick in die Zukunft des Grünen Kreises:
„Ich schätze den aktuellen Umweltminister Hladík sehr. Gleichzeitig sehe und spüre ich, dass der Umweltschutz für die Parteien, Abgeordneten und anderen Regierungsmitglieder keine Priorität hat. Im 21. Jahrhundert ist das wirklich eigenartig. Außerdem bedauere ich, dass es einigen – nennen wir sie – dunklen Kräften gelingt, die Interessen beim Umweltschutz und die sozialen Rechte gegeneinander aufzubringen. Ich denke hingegen, dass diese Dinge im Einklang stehen und kein Gegensatz sind. Es ist nicht so, dass Umweltschutz nur das Privileg von Reichen ist und Haushalte mit niedrigem Einkommen nicht auch aufkommen sollen für die Transformation, die wir gerade durchlaufen. Es ist also eine der Aufgaben für den Grünen Kreis, die sozialen Aspekte zu unterstützen, also würdige Lebens- und Wirtschaftsbedingungen, auch wenn sie dem Umweltschutz erst einmal entgegenstehen.“