Europäische Kulturhauptstadt: Tschechisch-deutsche Perspektiven in Chemnitz
Chemnitz ist Europäische Kulturhauptstadt 2025. Eröffnet wird das Programm am Samstag mit einem fulminanten Veranstaltungsreigen am Karl-Marx-Kopf. Vom südöstlichsten Punkt der sächsischen Stadt sind es keine 30 Kilometer Luftlinie bis Tschechien. Folgerichtig gibt es das ganze Jahr über auch zahlreiche tschechisch-deutsche Veranstaltungen – in Chemnitz sowie der gesamten Kulturhauptstadtregion, aber auch auf der anderen Seite der Grenze.
Über 500 Seiten lang ist das Programm zur Europäischen Kulturhauptstadt Chemnitz. Wer sich diese 500 Seiten durchliest, dem fällt auf, dass auch einige tschechisch-deutschen Veranstaltungen angeboten werden. Möglich macht dies unter anderem der Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds. Petra Ernstberger ist die deutsche Co-Geschäftsführerin der Institution und erläutert im Interview für Radio Prag International:
„Wir wurden 2023 von Chemnitz angesprochen, und unser Leben ist ja gerade die deutsch-tschechische Zusammenarbeit. Chemnitz liegt fast an der Grenze. Zudem umfasst die Kulturhauptstadtregion 38 Kommunen, nicht nur die Stadt allein. Und diese Gemeinden grenzen teils unmittelbar an Tschechien.“
Tomáš Jelínek ist der tschechische Co-Geschäftsführer des Zukunftsfonds. Er ergänzt:
„Es war von Anfang an ein großes Anliegen der Organisatoren, Partner in den Nachbarländern zu finden. Ich denke, das war eine große Chance, dieses riesige kulturelle Ereignis auch für deutsch-tschechischen kulturellen Austausch zu nutzen.“
Deshalb wurden Gespräche mit der Stadt und der Chemnitz 2025 gGmbH aufgenommen. Im Frühjahr vergangenen Jahres wurde dann ein Memorandum unterzeichnet, und der Zukunftsfonds wurde damit zum offiziellen Partner der Kulturhauptstadt. Schließlich hat man eine gemeinsame Ausschreibung zur Förderung bilateraler Projekte im Rahmen des Kulturhauptstadtjahres veröffentlicht. 250.000 Euro standen zur Verfügung. Und die Nachfrage sei sehr groß gewesen, auch von Seiten gänzlich neuer Akteure, so Jelínek.
„Einige Projekte wurden mehr durch Chemnitz initiiert, andere sind erst durch unsere Ausschreibung entstanden. Wir haben uns zweimal mit den Kollegen zusammengesetzt und uns über unsere Prioritäten ausgetauscht. Aufgrund dieses Gesprächs wurden dann alle Anträge unserem Verwaltungsrat vorgelegt, der das letzte Wort hatte und die Projekte bewilligen musste.“
Musik, Tanz, Theater – und Curling!
Insgesamt finden über 30 Projekte statt, die der Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds im Rahmen des Kulturhauptstadtjahres unterstützt. Im März werden sich im Rahmen des Programmpunktes „Leselust goes Europe“ Schriftsteller aus Deutschland, Polen, der Ukraine und eben auch Tschechien vorstellen, darunter Jaroslav Rudiš. Im Mai gibt es deinen deutsch-tschechisch-slowakischen Kongress zum Thema Inklusion im Theater. Chöre und Musiker von beiden Seiten der Grenze treten gemeinsam auf, tschechische Künstler werden beim Chemnitzer Hutfestival vertreten sein, es gibt Künstlerresidenzen oder eine deutsch-tschechisch-polnische Curling-Meisterschaft.
Die Projekte finden allerdings nicht nur in und um Chemnitz statt, sondern auch auf der tschechischen Seite der Grenze. Tomáš Jelínek nennt ein Beispiel:
„Ein interessantes Thema, das beide Seiten – Chemnitz und das Erzgebirge – verbindet, ist der Uranabbau. Es wird deshalb eine Wanderausstellung zu diesem Thema in der Region geben.“
Zu sehen sein wird die Ausstellung in Johanngeorgenstadt und Jáchymov / Sankt Joachimsthal. In Zwönitz und in Pernink / Bärringen wiederum stellen sich Kreative bei einer „Bergschau“ vor.
Den tschechischen Co-Geschäftsführer des Fonds freut zudem, dass viele Projekte nicht nur ein Echo im unmittelbaren Grenzgebiet haben, sondern auch tief hinein nach Tschechien – sogar bis nach Mähren:
„Das Projekt ‚Climbing over Chemnitz‘ wird etwa auch in Žďár nad Sázavou stattfinden. Und ein weiteres Theaterprojekt entsteht dank einer Zusammenarbeit mit dem Divadlo Feste in Brünn.“
Mit der mährischen Metropole wird es zudem eine weitere Verbindung geben: Im Rahmen einer künstlerischen Erkundung werden die Kleingartenanlagen in Chemnitz und Brno / Brünn besucht.
Der Zukunftsfonds unterstützt jedoch ebenso Veranstaltungen über Theater, Musik, Fotografie und Performance hinaus. Tomáš Jelínek sagt:
„Uns freut sehr, dass wir nicht nur rein künstlerische Projekte gewonnen und angesprochen haben. Stattdessen ist der Kulturbegriff bei uns recht breit, ebenso wie beim Kulturhauptstadtjahr. Das heißt, wir fördern auch interessante Schulprojekte sowie Vorhaben, die thematisch an der Grenze zu Gesellschaft und Geschichte liegen.“
Kooperation so eng wie noch nie
Eröffnet wird das Kulturhauptstadtjahr in Chemnitz am Samstag mit einer fulminanten Show am Karl-Marx-Denkmal im Zentrum der Stadt. Fast auf den Tag genau ist es dann auch zehn Jahre her, dass im westböhmischen Plzeň / Pilsen das Gleiche gefeiert wurde. Bestand damals auch schon eine Kooperation mit dem Nachbarland?
„Es gab eine deutsch-tschechische Zusammenarbeit im Rahmen von Pilsen 2015, vor allem orientierte sie sich aber Richtung Bayern beziehungsweise Oberpfalz. Ich erinnere mich etwa an Sonderzüge und spezielle Busse. Der Zukunftsfonds war damals selbstverständlich ebenfalls einbezogen. Aber die Art und Weise, wie wir unsere Förderpolitik weiterentwickelt haben, hat dazu geführt, dass wir nun bei Chemnitz zum ersten Mal probiert haben, auch eine Art gemeinsame Ausschreibung zu machen.“
Und generell sei bisher keine Kooperation so eng gewesen wie die mit der Kulturhauptstadt Chemnitz, sagt Jelínek.
Von Chemnitz nach Budweis
Bleibt die Frage: Wie geht es weiter, wenn 2025 vorbei ist? Den Organisatoren sei es wichtig gewesen, dass Projekte mit einer Zukunftsperspektive entstehen, sagt Petra Ernstberger:
„Chemnitz spricht in seinem Programm davon, dass Ende 2025 eben nicht alles zusammenbrechen soll. Stattdessen redet man von einer sogenannten ‚legacy‘. Man will sich mit der Frage beschäftigen, wie die Erfahrungen und Projekte in die nächsten Jahre mitgenommen werden.“
Und auch der Zukunftsfonds hofft, dass die neuen bilateralen Partnerschaften weiterhin Früchte im Grenzgebiet und darüber hinaus tragen. Zudem eröffnet sich noch eine andere Perspektive: Denn 2028 wird das südböhmische České Budějovice / Budweis Europäische Kulturhauptstadt sein.
Tomáš Jelínek verrät im Interview, dass es bei den Chemnitzern bereits die Idee gebe, mit den Kollegen in Budweis in einen Erfahrungsaustausch zu treten. Und Petra Ernstberger ergänzt:
„Wir haben jetzt wirklich sehr gute Erfahrungen mit Chemnitz gemacht. Dadurch haben wir schon eine Art Blaupause, wie so etwas funktionieren kann, etwa eben mit der Ausschreibung und dem Memorandum. Ich könnte mir deshalb gut vorstellen, dass wir vielleicht im nächsten Jahr mit Budweis die entsprechenden Kontakte aufnehmen.“
Wie groß das Interesse an derartigen Gesprächen sei, werde sich allerdings erst noch zeigen, sagt Ernstberger.
Alle tschechisch-deutschen Veranstaltungen im Rahmen des Kulturhauptstadtjahres finden sich übersichtlich auf der Website des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds: www.zukunftsfonds.cz/chemnitz-2025-wir-sind-programmpartner. Das komplette Programm gibt es unter www.chemnitz2025.de.