Einkommensarmut in Tschechien: Vor allem Familien mit Kindern betroffen
Fast eine Million Menschen in Tschechien sind von Einkommensarmut betroffen. Den Senioren geht es dabei verhältnismäßig gut, aber Familien mit Kindern kommen weniger gut mit ihrem Geld aus.
Nach zwei schwierigen Inflationsjahren ist der Durchschnittslohn in Tschechien 2024 wieder real angestiegen. Laut Statistikamt (ČSÚ) lag er bei monatlich 46.165 Kronen (1840 Euro) brutto. Auf diese Summe oder sogar mehr kommt aber nur eine Minderheit der Menschen im Land. Zwei Drittel der Arbeitnehmer verdienen hingegen weniger.
Und zu wenig verdienen ganze 9,5 Prozent der Einwohner Tschechiens. Sie haben im vergangenen Jahr unter der hiesigen Grenze für Einkommensarmut gelebt. Dies geht aus der neuesten Studie zu den Lebensbedingungen in Tschechien hervor, die das ČSÚ am Donnerstag vorgestellt hat. Der Bericht wird in jedem Frühjahr veröffentlicht, und 2024 sind dafür 11.300 Privathaushalte befragt worden. Die aktuellen Daten reflektieren den Stand vor etwa einem Jahr.
Bilanzierend heißt es, dass jeder Mensch in Tschechien im Gesamtjahr 2023 durchschnittlich 278.673 Kronen (11.131 Euro) zu Verfügung hatte. Obwohl die Summe seit dem Jahr davor um 7,2 Prozent zugelegt hatte, war das Geld inflationsbedingt weniger wert. Táňa Dvornáková von der Sektion für Demografie und Sozialstatistiken beim ČSÚ bricht die Angaben herunter:
„Die Senioren waren die einzige Bevölkerungsgruppe, für die die Bezüge real anstiegen. Bei allen anderen Privathaushalten gab es beim Realeinkommen einen Rückgang.“
Die deutlichsten Auswirkungen hatte die Inflation auf Familien mit Kindern. 40 Prozent von ihnen gaben an, dass sie mit ihren Finanzen nur schwer auskämen. Hingegen haben jene Befragten, die sich in die Gruppe der „Arbeitnehmer“ einordneten, damit nach eigener Einschätzung keine großen Probleme.
Sie gehören demnach nicht zu der knappen Million Menschen in Tschechien, die von Einkommensarmut betroffen sind. Dies bedeutet, dass jemand weniger als 60 Prozent des Mediannettolohns zur Verfügung hat. Laut ČSÚ lag die Grenze der Einkommensarmut für Einpersonenhaushalte hierzulande im vergangenen Jahr bei monatlich 18.163 Kronen (726 Euro). Für Eltern mit zwei Kindern bis zu 13 Jahren betrug diese Schwelle 38.142 Kronen (1524 Euro).
Unter diese Grenze fielen vor einem Jahr neun Prozent aller Familien mit zwei Elternteilen und 36,3 Prozent der Alleinerziehenden. Die Analysten betonen, dass Tschechien im EU-Vergleich immer noch relativ gut dastehe. Das Land bewege sich bei den Statistiken auf einer ähnlichen Ebene wie etwa Norwegen, Dänemark oder Irland. Allerdings muss dem hinzugefügt werden, dass die Lohnniveaus und damit auch die Armutsgrenze in den anderen Ländern wesentlich höher liegen. In Norwegen etwa lag das monatliche Durchschnittseikommen 2023 bei über 4900 Euro.
Das tschechische Statistikamt erhebt in seiner jährlichen Studie auch den Grad der sogenannten materiellen und sozialen Deprivation. Diese besagt, was sich die Menschen aus finanziellen Gründen nicht leisten können. Ein Haushalt liegt unter dem gewünschten Maß, wenn er bei mindestens fünf der insgesamt 13 abgefragten Parameter eine negative Antwort gibt. ČSÚ-Mitarbeiterin Simona Měřinská fasst zusammen:
„Am häufigsten können sich die Menschen nicht erlauben, alte Möbel durch neue zu ersetzen. Dies gaben mehr als ein Viertel der Befragten an. Dann geht es darum, unerwartete Ausgaben von bis zu 15.600 Kronen begleichen zu können. Dies kann ein knappes Fünftel nicht. An dritter Stelle folgt das Kriterium, allen Haushaltsmitgliedern einen einwöchigen Urlaub zu bezahlen.“
Insgesamt waren vor einem Jahr gut sechs Prozent aller Privathaushalte in Tschechien von materieller und sozialer Deprivation betroffen. Fast ein Drittel dieser Gruppe bildeten erneut Alleinerziehende. Aber auch Familien mit zwei Elternteilen seien in der Kategorie vertreten, so Měřinská:
„Am häufigsten wurde geäußert, den Kindern könnte die Teilnahme an Freizeitangeboten nicht ermöglicht werden. Dazu gehören Sportgruppen, das Erlernen von Musikinstrumenten oder Kunst- und Tanzkurse. Dies traf vergangenes Jahr auf 4,3 Prozent der Familien zu.“
Zudem gaben laut ČSÚ-Bericht zwei Prozent der Eltern an, sie könnten ihren Kindern aus finanziellen Gründen nicht jeden Tag ein Fleischgericht gewährleisten.