NS-Raubkunst im Protektorat

Ausstellung „Die Rückgabe der Identität“ (Foto: Archiv des Prager Kunstgewerbemuseums)
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„Navracení identity“, auf Deutsch „Die Rückgabe der Identität“, so nennt sich die aktuelle Ausstellung im Prager Kunstgewerbemuseum. Es geht um Raubkunst aus der NS-Zeit, nach der Forscher viele Jahre lang gefahndet haben. Im Folgenden mehr zur Enteignungen von böhmischen und mährischen Juden durch die Nationalsozialisten und zur Ausstellung.

Ausstellung „Die Rückgabe der Identität“  (Foto: Archiv des Prager Kunstgewerbemuseums)

Foto: Archiv des Prager Kunstgewerbemuseums
Am 15. März 1939 marschierte Hitler in Prag ein und rief das sogenannte „Protektorat Böhmen und Mähren“ aus. Sofort begann die Verfolgung von Juden und Andersdenkenden. Am 21. Juni führten die nationalsozialistischen Besatzer dann die Nürnberger Rassengesetzte auch hierzulande ein. Die aktuelle Ausstellung in Prag erinnert an ihre Opfer – die jüdischen Staatsbürger der zu dem Zeitpunkt nicht mehr existenten Tschechoslowakei. Gezeigt werden Sachen, die ihnen geraubt wurden, bevor die Menschen in die Konzentrations- und Vernichtungslager verschleppt wurden.

Ein Teller, eine Uhr, eine Zuckerdose mit Deckel, ein Napoleon-Relief, ein Flakon mit Stöpsel, ein Gemälde, das die Flucht aus dem biblischen Gomorrha zeigt, Schmuck oder Spielzeug – insgesamt 300 geraubte Gegenstände sind im Prager Kunstgewerbemuseum zu sehen. Sie sind symbolisch eingeschlossen in Drahtkäfigen. Dazu gibt es jeweils eine Informationstafel zum eigentlichen Besitzer, inklusive einem zeitgenössischen Foto. Die absolute Mehrheit der aus dem Protektorat Böhmen und Mähren verschleppten Juden wurde von den Nazis ermordet. Von fast 80.000 überlebten nur ungefähr 3000 den Holocaust.

Nachweise wurden verbrannt

Ausstellung „Die Rückgabe der Identität“  (Foto: Archiv des Prager Kunstgewerbemuseums)
In mühsamer Forschungsarbeit sind die Namen von 99 ehemaligen Besitzern der ausgestellten Gegenstände identifiziert worden. 15 Jahre lang forschten die Wissenschaftler dazu. Dahinter steht das „Zentrum für die Dokumentation zum Besitzwechsel der Kulturgüter von Opfern des Zweiten Weltkriegs“ mit Sitz in Prag (Centrum pro dokumentaci majetkových převodů kulturních statků obětí II. světové války“). Johana Prouzová vom Dokumentationszentrum erläuterte bei einer kommentierten Führung durch die Ausstellung:

„Unserem Dokumentationszentrum ist es bisher gelungen, rund 5000 Gegenstände als Raubkunst zu identifizieren. Allerdings ist uns nur ein Bruchteil der einstigen Eigentümer bekannt. Die NS-Besatzer haben kurz vor Kriegsende die meisten Dokumente zum konfiszierten und verkauften jüdischen Vermögen verbrannt. Wir organisieren auch internationale Konferenzen, die sich mit diesem Thema befassen. Zum Auftakt der Ausstellung fand Ende Juni im Kunstgewerbemuseum die bereits siebte Konferenz statt. Anlass war die Einführung der Nürnberger Gesetze im Protektorat.“

Michael Polák und Johana Prouzová  (Foto: Jitka Mládková)
Mit welchen Rechtsschritten das jüdische Vermögen hierzulande geraubt wurde, schildert Prouzovás Kollege Michael Polák:

„Im Juni 1939 erließ der von Hitler ernannte Reichsprotektor Konstantin von Neurath eine ‚Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden‘. Damit wurde schrittweise eine Registrierungs- und Kennzeichnungspflicht für immobilen und mobilen jüdischen Besitz eingeführt. Eine entscheidende Rolle spielte dabei die kurz zuvor in Prag gegründete ‚Zentralstelle für jüdische Auswanderung‘. Im Folgejahr 1940 wurde ein Auswanderungsfonds für Böhmen und Mähren angelegt. An diesen Fonds wurden die Vermögen von mehreren Hundert jüdischen Vereinen, Stiftungen und Organisationen unmittelbar nach ihrer Auflösung übertragen. Bis zu Kriegsbeginn gab es auf dem Gebiet des Protektorats insgesamt 136 jüdische Gemeinden. Ihre Zahl wurde nachfolgend aufgrund einer regional konzipierten Strategie auf 15 reduziert.“

Eigentumsraub im Sammellager

Ausstellung „Die Rückgabe der Identität“  (Foto: Archiv des Prager Kunstgewerbemuseums)
Am 16. Oktober 1941 verließ der erste Transport von Juden das Protektorat. Der Großteil der Opfer wurde vor der Deportation der sogenannten „Judenvermögensabgabe“ unterzogen. Dieser Eigentumsraub erfolgte im Sammellager. Dort mussten die Juden eine detaillierte Erklärung über die zurückgelassene Wohnungseinrichtung abgeben. Die Wohnungsschlüssel mussten ausgehändigt werden, sie wurden in eine Papiertüte gelegt, auf der der Nachname des jeweiligen Mieters oder Eigners notiert wurde. Das war das letzte Mal, dass die Opfer mit ihren eigenen Namen verbunden wurden. Von da an wurden die Juden nur noch durch die ihnen zugeteilte Transportnummer identifiziert.

Die konfiszierten Wohnungen wurden von Beamten kontrolliert, die Ausstattung bewertet und nachfolgend in Depots verbracht. In Prag entstanden bald 56 solche Lager für Raubgut. In einigen wurden ausschließlich Kunst- und Kulturgegenstände gesammelt. Im Juni 1942 zogen die nationalsozialistischen Beamten folgende Bilanz, wie Michael Polák weiß:

Ausstellung „Die Rückgabe der Identität“  (Foto: Archiv des Prager Kunstgewerbemuseums)
„Zu diesem Zeitpunkt waren bereits 7000 Gemälde verkauft. Weitere 13.000 lagerten noch in Depots. Von den Gegenständen mit künstlerischem Wert waren 1792 verkauft, weitere 3500 warteten auf neue Eigentümer. Von 125 Klavieren waren 24 verkauft, und von 275.000 Büchern insgesamt 25.000. Einem Bilanzbericht der zuständigen Treuhandstelle zufolge beliefen sich bis März 1943 die Einnahmen aus dem Verkauf der beschlagnahmten Gegenstände auf 24 Millionen Protektoratskronen. Die Gesamtfläche aller Depots entsprach damals der Größe des Prager Wenzelsplatzes. Kurzum, auch im Protektorat Böhmen und Mähren wurde NS-Raubgut in großem Stil veräußert. Aber trotz des akribischen Kontrollsystems konnten sich einige NS-Größen etliche Kunstgegenstände aneignen.“

Ausstellung „Die Rückgabe der Identität“  (Foto: Archiv des Prager Kunstgewerbemuseums)

Foto: Jitka Mládková
Nach dem Krieg war es für die wenigen Überlebenden äußerst schwierig, jene Gegenstände zurückzuerhalten, die ihrer Familie geraubt worden waren. Einige Juden hatten vorausahnend noch vor der Entstehung des Protektorats wertvolle Gegenstände in Museen oder Galerien deponiert. So zum Beispiel auch Josef Pollák, wie Johana Prouzová schildert:

„Es geht um Gegenstände, die Pollák 1939 im Kunstgewerbemuseum deponiert hatte. Er entstammte einer gut situierten jüdischen Familie. Sein Vater war als Zensor der Zentralbank tätig. Als Kurator des Prager Kunstgewerbemuseums baute er eine wertvolle Sammlung vor allem von Porzellan und Gemälden auf. In unserer Ausstellung im Kunstgewerbemuseum ist eine Kostprobe aus seiner Sammlung von Bildminiaturen zu sehen. Pollák Junior war dreimal verheiratet und hatte nur eine Tochter aus der letzten Ehe. Ende 1941 starb sie im Alter von einem Jahr. Zwei Monate später wurde ihr Vater Pollák Junior nach Theresienstadt verschleppt und nachfolgend nach Auschwitz, wo er ermordet wurde. Nach dem Krieg erhielt seine Mutter, die in Theresienstadt überlebt hatte, vom Kunstgewerbemuseum insgesamt 958 Gegenstände aus dem Vermögen der Familien zurück.“

Verkauft und nicht auffindbar

Ein Gemälde von Josef Pollák  (Foto: Jitka Mládková)
Pollák hatte auch 37 Kunstgegenstände in der damaligen Nationalgalerie deponiert. Darunter Ölgemälde flämischer, niederländischer, österreichischer und deutscher Meister, grafische Blätter tschechischer Künstler und zwei Skulpturen. Recherchen haben jedoch ergeben, dass 20 dieser Objekte kurz nach Polláks Deportation verkauft wurden. Nach dem Krieg konnte nur ein einziges Gemälde ausfindig gemacht werden.

Beim Streifzug durch die Ausstellung mag sich der Besucher vielleicht die Frage stellen, auf welchen weiteren Wegen zahlreiche Kunstgegenstände in die Depots von Museen und Galerien gelangt sind. In diesem Zusammenhang muss der Name Karl Maria Swoboda genannt werden. Ab 1944 bis ins Frühjahr 1945 richtete er im Kunstgewerbemuseum vier bedeutende Depots ein. Johana Prouzová:

„Der gebürtige Prager war von 1934 bis 1945 Professor an der Deutschen Universität in Prag. Während der NS-Zeit war er Beauftragter für die Verwaltung von – wie es hieß – „reichseigenen Kunstgütern bei den Prager Sammlungen“. Er konnte darüber entscheiden, ob diese Güter im Zentraldepot des Palais Sternberg, des Strahov-Klosters oder zum Beispiel hier im Kunstgewerbemuseum bleiben sollten. Kurz nach Kriegsende wurde Swoboda verhaftet, bald aber wieder freigelassen. Tschechische Universitätskollegen bescheinigten ihm, dass er sich für zum Tod verurteilte Menschen eingesetzt und um ihre Begnadigung verdient gemacht hat. Später arbeitete er mit den tschechoslowakischen Beamten zusammen, die die von ihm verwalteten Gegenstände übernommen hatten. 1946 wechselte Swoboda an die Universität in Wien.“

Foto: Archiv des Prager Kunstgewerbemuseums
In der Ausstellung ist allerdings nicht nur exquisite Kunst aus den Sammlungen reicher jüdischer Familien zu sehen. Gezeigt werden auch Gegenstände des täglichen Bedarfs aus den Haushalten gewöhnlicher Familien. Der Autor der Ausstellungsinstallation, Dušan Seidl, erläutert dies mit folgenden Worten, Zitat:

„Unser Vorhaben ist, an das tragische Schicksal unserer ehemaligen Mitbürger zu erinnern. Sie wurden während der NS-Besatzung ihres gesamten Eigentums sowie aller ihrer Rechte beraubt, gesellschaftlich zu Transportnummern degradiert und letztlich im Namen der fanatischen nationalsozialistischen Ideologie umgebracht.“

Die Ausstellung „Navracení identity“ im Prager Kunstgewerbemuseum ist noch bis 3. November zu sehen. Das Museum ist täglich außer Montag geöffnet, und zwar von 10 Uhr bis 18 Uhr und am Dienstag bis 20 Uhr.