Oktober 1945: Tschechoslowakei an der Kreuzung der Geschichte

Edvard Beneš unterschreibt ein Dekret (Foto: ČTK)

An dieser Stelle, an der wir bisher immer „Aus dem Tonarchiv“ vorbereitet hatten, hören Sie mit Beginn der Winterzeit die Sendereihe „Anno dazumal“. In der neuen Sendereihe werden wir nun auch schriftliche Quellen nutzen, die über verschiedene Ereignisse „anno dazumal“ berichtet haben. Auf alte Rundfunkaufnahmen werden wir aber auch nicht verzichten, wie Sie jetzt gleich hören.

Edvard Beneš unterschreibt ein Dekret  (Foto: ČTK)
Versetzen wir uns zunächst in die letzten Oktobertage des Jahres 1945. Aus dem Vorzimmer des Büros von Präsident Beneš meldet sich ein Reporter des Tschechoslowakischen Rundfunks und teilt mit:

„Heute, den 24. Oktober, wird Herr Präsident Dr. Edvard Beneš Regierungsdekrete von ungewöhnlicher Bedeutung unterschreiben: Dekrete über die Verstaatlichung der Kohlegruben und einiger Industrieunternehmen, einiger Unternehmen der Lebensmittelindustrie und Dekrete über die Verstaatlichung der Bank-AGs und der privaten Versicherungsanstalten.“

Mit diesen Dekreten gehe die früher geheime und im Hintergrund agierende Herrschaft von Bank- und Industriebossen, Spekulanten und Erpressern für immer zu Ende. Die Formulierung „einige Unternehmen“ ist ziemlich irreführend, denn auf Grundlage dieses Rechtsakts wurde die absolute Mehrheit aller Betriebe im Lande an den Staat überführt. Dieser Prozess der Verstaatlichung, der ein Schritt auf dem Weg zum neuen totalitären Regime war, wurde bald nach der Machtübernahme durch die Kommunisten 1948 vollendet.

Mit einigen der über 140 im Sommer und Herbst 1945 verabschiedeten Dekrete gab die Tschechoslowakei der seit Monaten laufenden „wilden Vertreibung“ der Sudetendeutschen eine legale Grundlage gegeben. Die – wie es damals hieß - „Bereinigung der Gesellschaft“ von etwa 2,5 Millionen Tschechoslowaken deutscher Nationalität war bereits am 29. Oktober 1946 mit dem letzten Transport abgeschlossen worden. Der Tschechoslowakische Rundfunk sendete dazu eine Reportage:

„Für alle Zeiten ist die unheilvolle und von so vielen Generationen der tschechischen Nation verfluchte Gemeinschaft mit den Deutschen aufgehoben. Nach vielen Jahrhunderten ist die tschechische und slowakische Nation wieder Herr über ihr Land, dessen Reichtum und Schicksal.“

So frohlockte der kommunistische Innenminister Václav Nosek am Tag, an dem die Tschechoslowakei die letzte Gruppe von Sudetendeutschen über die Grenze transportieren ließ. Aus dem Prager Rundfunk gab es von ihm noch zu hören:

Vertreibung der Sudetendeutschen  (Foto: ČTK)
„Mit dem Transport der Deutschen, die wir gerade im Karlsbader Bahnhof abgefertigt haben, beenden wir die Gesamtabschiebung der Deutschen aus der Tschechoslowakischen Republik. Das, was noch übrig geblieben ist, ist nur ein geringer Rest. Das gesamte tschechoslowakische Volk, vor allem das Volk hier im Grenzgebiet, ist voller Gefühle der Freiheit und des größten Glücks. Nun wird nämlich zur greifbaren Tatsache, wovon viele Generationen unserer Nation nur träumen konnten.“

In dieser Hinsicht habe die Tschechoslowakei sich Nosek zufolge keinen Schaden zugefügt, dafür aber Ruhe, Frieden und Sicherheit im eigenen Hause gewonnen.