Ondrej Lenárd: Prager Rundfunkorchester ist wie meine Familie
Der slowakische Dirigent Ondrej Lenárd steht bereits in der zweiten Saison als Chefdirigent an der Spitze des Rundfunksymphonieorchesters in Prag. Bei diesem Engagement findet das ‚tschechische’ Kapitel seiner künstlerischen Laufbahn einen symbolischen Höhepunkt. Lenárd war bereits als Chefdirigent führender Orchester in Bratislava tätig, zum Beispiel in der Oper, im Slowakischen Rundfunkorchester und bei der Slowakischen Philharmonie. Immer aber hat er zugleich mit tschechischen Musikern zusammengearbeitet und regelmäßig an tschechischen Konzert- und Opernbühnen gastiert. Radio Prag hat mit Ondrej Lenárd über seine Arbeit in Tschechien und über sein Leben zwischen Prag und Bratislava gesprochen.
„Ich habe bereits vor mehreren Jahren angefangen, mit diesem Orchester zu arbeiten. Daher kenne ich seine Mentalität. Nach eineinhalb Jahren Arbeit ist unsere freundschaftliche und musikalische Beziehung sehr groß. Wenn die Musiker einen verstehen und man selbst das Orchester versteht, dann ist es kein Problem, schöne und gute Musik zu machen.“
Sie haben bereits in den 1970er und 1980er Jahren das Slowakische Rundfunkorchester als Chefdirigent geführt. Ist die Arbeit mit den beiden Orchestern ähnlich? Gibt es viele Gemeinsamkeiten oder gibt es einen Unterschied?
„Ich finde nicht. Die Spezialität des Rundfunkorchesters ist das Mikrofon. Am Mikrofon müssen sie sauber spielen. Keine ‚schmutzigen’ Noten. Man kann das Orchester aus Bratislava aber nicht mit dem Prager Orchester vergleichen. Jedes Rundfunkorchester hat seine Disziplin in Bezug auf Intonation und Präzision. Ich höre oft, dass die Arbeit im Rundfunk leichter ist, weil man während den Aufnahmen stoppen und Schnitte machen kann. Aber wo bleibt dann die Entspannung? Wenn die Musiker zu viele Wiederholungen machen müssen, dann geht die Konzentration zu schnell verloren. Im Prinzip geht alles um die Aufnahme am Mikrofon.“
Das Erlebnis, ein Orchester zu leiten, ist für Sie wahrscheinlich unterschiedlich, je nachdem, ob eine Aufnahme gemacht wird oder ob ein Konzert gespielt wird?
„Nein, das ist kein Unterschied. Wenn ich vor dem Orchester im Aufnahmestudio stehe, ist es eigentlich viel schwerer. Sie müssen dem Orchester eine Initiative vom Pult aus geben. Sie müssen die Stücke immer wiederholen und die Musiker motivieren. Das ist psychisch und physisch schwieriger. Wenn man ein Konzert vorbereitet und auf das Podium kommt, ist es etwas anderes.“
Es ist wahrscheinlich im Studio schwieriger, jene Emotionen mit reinzubringen, die im Konzert von sich selbst kommen.
„Das Konzert ist eine – im guten Sinne des Wortes – Show: nicht nur für die Ohren sondern auch für die Augen. Es ist eine festliche Atmosphäre. Die Inspiration kommt aber aus der Musik selbst. Dabei ist es egal, ob man im Studio oder bei einem Konzert zum Beispiel im Saal des Rudolfinum ist, die Inspiration kommt immer aus der Musik.“Sie haben schon am Anfang erwähnt, dass sie sich schon früher mit dem Prager Rundfunkorchester getroffen haben und der Posten des Chefdirigenten nicht die erste Begegnung mit den Musikern war. Können Sie sich an das erste Treffen erinnern?
„Das war 1974, also vor fast 40 Jahren. Meine Erinnerung daran ist, dass es immer ein freundliches und kein hochnäsiges Orchester war. Sehr freundliche Leute und sehr gute Musiker.“
Wie waren ihre anderen Kontakte mit tschechischen Orchestern und Theatern? Sie haben ja häufig in Prag und Tschechien dirigiert.
„Die ehemalige Tschechoslowakei war eine schöne Kooperation zwischen den beiden Kulturen. Wir haben keinen Unterschied zwischen Tschechen und Slowaken gemacht. Daher war die Beziehung der beiden Länder sehr viel enger. Mein Privatleben in Bratislava war interessant, aber auch kompliziert. Ich musste alle Orchester verlassen, wegen der so genannten ‚Demokratie’. Deswegen bin ich froh, dass ich heute diese Position beim Rundfunk habe. Meine Meinung ist, dass es ein Spitzenorchester ist, eines der besten in Europa. Die Arbeit ist wie ein Feiertag – jeden Tag. Wenn ich die Gelegenheit habe, mit anderen Orchestern zu arbeiten, mache ich das gern. Opern oder Sinfonien, das ist ganz egal.“
Sie sprechen über die engen Kontakte, über die eigenen Beziehungen zwischen Tschechien und der Slowakei im gemeinsamen Staat. Damals war es üblich, dass tschechische Musiker, zum Beispiel Sänger, an der Hochschule in Bratislava studierten. In Tschechien haben dagegen slowakische Musiker gespielt. Hat dies sich in inzwischen verändert?
„Heute ist es ganz normal – ein Russe studiert in Holland, eine tschechische Studentin in Amerika. Das ist heute ganz anders. Früher war die Schule stolz, wenn sie ausländische Studenten hatte. Heute haben die Schulen so viele ausländische Schüler, dass man sagen könnte es seien internationale Universitäten. In meiner Jugend haben wir gelernt, dass Prag ein Konservatorium Europas ist, wir sind häufig hierher gefahren, um in Konzerte und in die Oper zu gehen. Dabei sollten wir unser Handwerk lernen. Jetzt ist es anders. Die Orchester sind international. So kann man in einem tschechischen Orchester eine Japanerin sehen. Was mich aber etwas traurig macht: Die alten Traditionen, wie etwa die Prager Violinenschule und die Bläserschule, fallen langsam weg. Die großen Talente gehen weg. Die Frage ist: Warum? Die Antwort ist ganz einfach: Man müsste die Kultur mehr unterstützen, aber es gibt kein Interesse daran.“
Sie haben in Tschechien und in der Slowakei mehrere Orchester und Theaterorchester geleitet. Sie waren aber auch weltweit unterwegs, zum Beispiel waren Sie Chefdirigent des Japan Shinsei Symphony Orchestra und sind Ehrendirigent der Philharmonie von Tokio. Ist die Arbeit der Orchester dort anders als hierzulande, als in unseren beiden Ländern, in Tschechien und der Slowakei?
„Die Erfahrungen, die ich mit meinem Orchester in Tschechien oder der Tschechoslowakei gemacht habe, bringe ich gerne in meine Arbeit im Ausland mit ein. Natürlich, die Erfahrungen die ich aus dem Ausland mitbringe, fließen auch hier mit ein. Ich versuche etwas zu verändern. Die Japaner haben eine sehr hohe Disziplin. Das ist für uns etwas schwierig. Die Musikalität der japanischen und tschechischen Künstler ist unterschiedlich. Der Dirigent muss die Musiker auf eine gemeinsame Ebene bringen und ihnen sagen, wie sie ein Stück spielen sollen. Zum Beispiel ist die Musik von Dvořák so herrlich, aber auch so natürlich. Wenn die Japaner hören, wie man eine Phrase singt, schreiben sie es immer in ihren Part. Ich verstehe es, denn nicht alles ist in den Noten aufgeschrieben. Es muss von Herzen kommen, das ist wichtig.“
Sie haben gesagt, sie stehen zwischen zwei Städten bzw. Ländern. Sie leben in Bratislava und haben ein festes Engagement in Prag. Haben Sie vielleicht erwogen nach Prag umzuziehen? Oder finden Sie es gut, wie es ist, und pendeln?
„Ich habe mein ganzes Leben lang neue Partituren studiert und bin dabei gependelt. Ich bin sehr froh, dass die Leitung des Prager Rundfunkorchesters mit unserer Methode einverstanden ist. Bis jetzt ist es so, dass ich immer für meine Projekte herkomme. Ich hoffe, dass im April das neue Aufnahmestudio geöffnet wird. Das ist dann etwas anderes. Aber wenn es möglich ist, möchte ich lieber pendeln. Mein Hobby ist mein Garten und ich kann und will meinen Garten nicht verlassen.“
Sie sprechen über Ihre eigenen Projekte mit dem Orchester. Was steht in der nächsten Zeit an? Was planen Sie mit dem Orchester?
„Also es wird ein ziemlicher Marathon. Ich freue mich schon jetzt auf sehr schöne Konzerte. Am 6. Mai spielen wir Verdis ‚Requiem’, das ist ein wunderschönes Werk, das keinen Kommentar braucht. Im Juni erwartet unser Orchester eine große Tour nach Japan. Sie wird 21 Tage dauern. Aber es macht Spaß, sowohl musikalisch als auch mit den Leuten, die so freundlich sind. Da ist das Orchester wie eine Familie.“