Ostblock Reloaded
Als 1968 die Reformer in der Tschechoslowakei auf dem Höhepunkt ihrer Macht waren, da blickten die Journalisten der westeuropäischen Nachbarstaaten mit viel Aufmerksamkeit und Sympathie nach Prag. Nun, vierzig Jahre nach der Niederschlagung des Prager Frühlings, vermitteln viele Medien den Eindruck, dass Tschechen, Deutsche und Österreicher einander damals näher waren als heute. Das Zusammenleben in Freiheit, Demokratie und EU scheint selbstverständlich geworden zu sein – oder es wurde überhaupt nie richtig wahrgenommen.
Scheuklappen gibt es aber auch anderswo. Als etwa vor einigen Wochen der Tscheche Karel Brückner Teamchef der österreichischen Fußball-Nationalmannschaft wurde, da fragte ihn einer der ältesten Hasen unter den Wiener Sportreportern auf der Einstands-Pressekonferenz, ob er auch Leute aus der Tschechoslowakei in seinen Mitarbeiterstab aufnehmen werde. Die Tschechoslowakei gibt es seit über 15 Jahren nicht mehr! Sie teilte sich am 1. Januar 1993 in zwei selbstständige Staaten. Ist es vielleicht übertriebene political correctness, von einem Journalisten eines öffentlich-rechtlichen Mediums zu erwarten, dass er seine Nachbarländer kennt?
Und einen hab ich noch: Im deutschen Fernsehen analysierte eine Reporterin jüngst den Georgien-Konflikt und stellte dabei einen durchaus berechtigten Zusammenhang her zur Stationierung eines US-Raketenabwehrsystems in Tschechien und Polen. Doch gleich darauf kam der alles zusammenfassende Schlusssatz: Es gebe eben noch viel Gezänk „in der Region“. In was für einer Region denn? In der Region rund um Moskau, Tiflis und die beiden EU-Hauptstädte Prag und Warschau?
Seit Jahren debattieren Intellektuelle und Interessierte, von Jürgen Habermas bis zu Studenten des Deutsch-Tschechischen Jugendforums, über die Entstehung einer europäischen Öffentlichkeit. Der Eiserne Vorhang wird sich dazu allerdings noch ein gutes Stück heben müssen. Auch in manchen Redaktionsstuben.