Ostblock Reloaded

Foto: Europäische Kommission
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Als 1968 die Reformer in der Tschechoslowakei auf dem Höhepunkt ihrer Macht waren, da blickten die Journalisten der westeuropäischen Nachbarstaaten mit viel Aufmerksamkeit und Sympathie nach Prag. Nun, vierzig Jahre nach der Niederschlagung des Prager Frühlings, vermitteln viele Medien den Eindruck, dass Tschechen, Deutsche und Österreicher einander damals näher waren als heute. Das Zusammenleben in Freiheit, Demokratie und EU scheint selbstverständlich geworden zu sein – oder es wurde überhaupt nie richtig wahrgenommen.

Foto: Europäische Kommission
Eine tschechische Tageszeitung titelte diese Woche auf Seite eins: Neues Gesetz soll zehntausende ausländische Arbeiter ins Land bringen, wenn eine Stelle 30 Tage lang kein Tscheche möchte. Dieser Satz ist falsch. Gar nicht so sehr weil er irgendwie klingt, als müssten zehntausende Ausländer die Arbeitskraft eines einzigen Tschechen ersetzen. Falsch ist der Satz vielmehr deshalb, weil die EU darin nicht vorkommt. Denn das betreffende Gesetz bezieht sich natürlich nur auf Ausländer aus Nicht-EU-Staaten. Am Ende müsste es demnach heißen: …wenn eine Stelle 30 Tage lang kein Tscheche und auch kein anderer EU-Bürger möchte. Schließlich arbeiten in Tschechien längst tausende Menschen, die einen Pass der Europäischen Union haben und daher keinerlei Arbeitserlaubnis mehr brauchen.

Scheuklappen gibt es aber auch anderswo. Als etwa vor einigen Wochen der Tscheche Karel Brückner Teamchef der österreichischen Fußball-Nationalmannschaft wurde, da fragte ihn einer der ältesten Hasen unter den Wiener Sportreportern auf der Einstands-Pressekonferenz, ob er auch Leute aus der Tschechoslowakei in seinen Mitarbeiterstab aufnehmen werde. Die Tschechoslowakei gibt es seit über 15 Jahren nicht mehr! Sie teilte sich am 1. Januar 1993 in zwei selbstständige Staaten. Ist es vielleicht übertriebene political correctness, von einem Journalisten eines öffentlich-rechtlichen Mediums zu erwarten, dass er seine Nachbarländer kennt?

Und einen hab ich noch: Im deutschen Fernsehen analysierte eine Reporterin jüngst den Georgien-Konflikt und stellte dabei einen durchaus berechtigten Zusammenhang her zur Stationierung eines US-Raketenabwehrsystems in Tschechien und Polen. Doch gleich darauf kam der alles zusammenfassende Schlusssatz: Es gebe eben noch viel Gezänk „in der Region“. In was für einer Region denn? In der Region rund um Moskau, Tiflis und die beiden EU-Hauptstädte Prag und Warschau?

Seit Jahren debattieren Intellektuelle und Interessierte, von Jürgen Habermas bis zu Studenten des Deutsch-Tschechischen Jugendforums, über die Entstehung einer europäischen Öffentlichkeit. Der Eiserne Vorhang wird sich dazu allerdings noch ein gutes Stück heben müssen. Auch in manchen Redaktionsstuben.