Osterbräuche im Schönhengstgau – das kulturelle Erbe aus alten Zeiten
Einst war es die größte deutsche Sprachinsel in der Vorkriegstschechoslowakei. Heutzutage wüssten nur wenige Tschechen, wo sie die historische Region mit dem Namen Schönhengstgau (auf Tschechisch: Hřebečsko) suchen müssten. Sie lag beiderseits der böhmisch-mährischen Grenze und während ihrer Jahrhunderte dauernden Koexistenz haben sich die Tschechen und die Deutschen dort gegenseitig beeinflusst. Dazu gehörten ihre Brauchtümer, Volksfeste oder die in der Bevölkerung verankerten Rituale. Doch auch die eigenen kulturellen Besonderheiten blieben erhalten, unter anderem die Osterbräuche.
In der letztgenannten Stadt lebt Irena Kuncová. Sie ist Mitglied des regionalen Zweigs der Gesellschaft für Deutsch-Tschechische Verständigung. Sie entstammt einer Familie, die ihre Wurzeln noch im deutschsprachigen Schönhengstgau hatte. Gerade das hat Kuncová motiviert, sich mit den inzwischen in Vergessenheit geratenen Brauchtümern der Region zu befassen. Genau drei Wochen vor dem Ostersonntag war der 4. Fastensonntag des Kirchenkalenders mit dem folgenden regionsgebundenen Osterbrauch verknüpft:
„Kleine weiß gekleidete Mädchen mit bunten Kränzchen auf dem Kopf zogen von Haus zu Haus. Sie trugen kleine geschmückte Bäumchen, drehten sie in der Hand und sangen dabei Lieder. Damit begrüßten sie nach dem langen Winter den Frühling. Für den 5. Fastensonntag, im Volksmund auch Totensonntag oder Schwarzer Sonntag genannt, besorgte sich die Dorfjugend in Schönhengstgau Strohbündel, die auf einem Hügel anzündet wurden. Beim so genannten Osterfeuer hat man gesungen und getanzt. Wenn dann die Flammen nicht mehr hochschossen, sprang man über das Feuer und besang den kommenden Frühling.“Die beiden Bräuche erinnern eher an Feste heidnischer Völker, zum Beispiel an das der Sonnenwende, als dass sie in christlicher Religion und Kirchenliturgie der Osterzeit ihre Ursprünge hatten. Anders war es jedoch mit dem Palmsonntag: zu diesem Tag wurde an den umjubelten Einzug Jesu in Jerusalem gedacht. Stellvertretend für die Palmzweige, mit denen die Menschen Christus zuwinkten, wurden im Schönhengstgau Weidenkätzchen mit Weihwasser gesegnet. Man nagelte sie danach kreuzweise an Haus- sowie Stalltüren oder an Bilder in heimischen Stuben. Doch auch am Palmsonntag wurde ein Brauch praktiziert, über dessen Ursprung sich nur spekulieren lässt:
„Das war das Pflock(en)schlagen. In Schönhengstgau sind die Jungs in der Nacht zum Palmsonntag vor das Haus des geliebten Mädchens gegangen, um dort vor der Tür einen Pflock oder einen Ast in den Boden zu schlagen. Den mussten aber die Mädchen frühmorgens noch vor dem Kirchengang schnell rausziehen, damit es niemand sieht. Dieser Brauch galt als eine Art Liebeserklärung. Falls aber die Angebetete bereits einen anderen Mann im Auge hatte, musste der Pflock umso schneller weggeräumt werden.“Am Palmsonntag sollte man Kuncová zufolge auch keine Kuchen backen, um nicht alle Obst- und Getreideblüten symbolisch im Teig einzubacken. Nach dem Kirchenkalender galt der Palmsonntag als Auftakt der Karwoche und in der war wiederum der Gründonnerstag der strengste Fastentag:
„Man durfte kein Fleisch essen. Gerne aß man aber etwas Grünes wie Spinat oder Brennnesseln mit Spiegelei. Außerdem schrieb der traditionelle Speisezettel vor, was an diesem Tag unbedingt gegessen werden sollte. In meiner Heimatgegend von Landskron war es das Honigbrot. Der Honig schützte angeblich vor Schlangenbissen sowie Wespen- und Hornissenstichen. Am Gründonnerstag musste man frühmorgens das Gesicht und die Füße im fließenden Wasser waschen, um gesund zu bleiben. Dadurch sollten insbesondere die Augen vor Krankheiten geschützt werden. Junge Mädchen hofften allerdings eher auf die Bewahrung der Schönheit.“
Wie in vielen anderen ländlichen Regionen Böhmens und Mährens zogen an diesem Tag auch in Schönhengstgau die Jungen mit ihren Ratschen durch das Dorf. Diese sollten die verstummten Glocken bis zum Karsamstag ersetzen, die nach der christlichen Legende nach Rom geflogen waren. Hier ein Begleitspruch beim Ratschen:„Wir haben geratscht für das Heilige Grab, nun bitten wir um eine Ostergab´.“
Das hat sich mehr oder weniger auch am Karfreitag wiederholt, der an die Kreuzigung, den Tod und die Beisetzung Jesu erinnert. Die Gläubigen besuchten das geschmückte Heilige Grab in den Kirchen. Gleichzeitig habe man aber, so Kuncová, einen alten Aberglauben berücksichtigt. Diesem zufolge öffnete sich einmal im Jahr gerade an jenem Tag die Erde, um ihre Schätze freizugeben. Um aber die Gefahr zu vermeiden, davon geblendet und letztlich von der Erde verschlungen zu werden, sollte man am Karfreitag weder im Garten noch auf dem Feld arbeiten. Am Karfreitag, der an die Kreuzigung, den Tod und die Beisetzung Jesu erinnerte, war immer noch strenges Fasten vorgeschrieben.
„Man hat wirklich sehr wenig zu essen bekommen. Zu Mittag wurde meistens Krautsuppe mit hart gekochtem Ei oder Kümmelsuppe mit Brot gegessen, und am Abend Fisch, Kartoffeln oder Brot und Milch. Am Karsamstag war es schon etwas besser mit der Verpflegung. In der Früh ging man zur Kirche, wo auf dem Friedhof - wie es hieß - der Judas verbrannt wurde. Aus dem dort geweihten Holz haben die Männer zu Hause kleine Kreuze geschnitzt. Zu Mittag aß man eine Frittatensuppe und nachmittags ein Kugelhupf, einen Kuchen oder Krapfen. Abends wieder einen Kuchen oder Buchteln mit Kaffee, manchmal auch schon den Osterstriezel.“In Schönhengstgau wurde auch eine regionale Kuchen-Spezialität gebacken:
„Das war ein Vierkant, gewöhnlich aus Striezel- oder Kuchenteig, mit vier Füllungen: Birnenmuss, Pflaumenpowidl, Topfen, also Quark, und Marmelade. Die vier Teigecken werden in der Kuchenmitte wie ein Kopftuch verbunden.“
Am Ostersonntag musste man wieder früh aufstehen, denn man durfte den Sonnenaufgang nicht verpassen. Doch zuvor galt es, die Speisen für das Osterfest zu versammeln:„Vor dem Sonnenaufgang legte man verschiedene Lebensmittel in ein großes Tuch. Dann wurde alles symbolisch in der Kirche geweiht, um eine gute Ernte zu haben. Im Garten, aber auch in den Brunnen, hat man Brezelkrümmel gestreut, damit das Wasser rein blieb und im Garten viel Obst gedieh. Am Mittag gab es schon ein festliches Essen. Zum Beispiel ein Zickl (Zicklein) oder einen Lammbraten. Gebacken wurde in der Regel das Osterlamm.“
Am Ostersonntag hat man die schon zuvor geweihten Weidenkätzchen und die selbstgeschnitzten Judaskreuze aus geweihtem Holz auf die Felder getragen und in jeder Ecke des Feldes in den Boden gesteckt. Sie sollten das Feld vor Gewitterschäden schützen sowie eine gute Ernte herbeiführen. Auf den Ostermontag haben sich vor allem die Kinder und Jugendlichen gefreut. Besonders die Jungen, die die Dorfmädchen mit Osterrouten schlagen durften. In Tschechien hat dieser Brauch bis heute vor allem auf dem Land überlebt. In einer speziellen Hinsicht aber war es im Schönhengstgau anders:„Die Mädchen bekamen von den Jungs ein kleines Fläschchen mit rotem Osterschnaps. Es war in der Regel ein hausgemachtes Produkt. Wichtig war seine rote Farbe.“
Für die Region war noch ein anderer Osterbrauch typisch:„Am Ostermontag sattelten die jungen Männer ihre Pferde und versammelten sich vor der Kirche. Mit dem Kreuz, das sie vom Dorfpfarrer übernahmen, ritten sie durch das Dorf und um die Felder herum. Nach ihrer Rückkehr zur Kirche wurde dort eine Feldmesse zelebriert, die einen Schlusspunkt des Osterfestes darstellte. Schon am Nachmittag ertönte dann Musik aus dem Gasthaus.“
Nach der mehrwöchigen Fastenzeit ging es schließlich bei Tanz, Gesang und gutem Essen lustig zu.