Palais Lucerna: Die erste Passage in der Geschichte Prags

Lucerna Palais

Lucerna ist das tschechische Wort für Laterne – und der Name für eines der bekanntesten Palais im Prager Zentrum. Die Passage in der Vodičková-Straße beherbergt einen Konzertsaal, ein Kino, einen Musikclub, Geschäfte und Restaurants, und auf die Dachterrasse führt ein Pater Noster. Es gehört zu den interessanten Details der Geschichte des Lucerna-Palais, dass anstelle des Saals ursprünglich ein Eishockeyfeld geplant war.

Vácslav Havel auf dem Dach des Lucerna-Palastes | Foto:  (c) Ivan M. Havel Archiv / Václav Havel Library

Das Lucerna-Palais ist das Werk des Ingenieurs und Baumeisters Vácslav Havel. Er war der Großvater des Nachwendepräsidenten Václav Havel. Viele Leute meinen, das Gebäude trage den Namen Lucerna dank eines gläsernen Anbaus in Richtung Wenzelsplatz. Aber Petr Hájek kennt die Geschichte anders. Der Architekt hatte die Leitung bei der Sanierung der Palais-Terrassen inne:

„Die Benennung ist von einem Geheimnis umgeben. Man erzählt sich, dass Vácslav Havel – der Großvater des späteren Präsidenten – gerade die Pläne zeichnete, als seine Frau Emilia einen Blick darauf warf und sagte, das Gebäude würde wie eine Laterne aussehen. So entstand der Name.“

Ein Familienmitglied bestätigt diese Version: Dagmar Havlová ist die Frau von Ivan Havel, dem Bruder des ehemaligen Präsidenten, und die derzeitige Besitzerin des Lucerna-Palais.

Palais Lucerna | Foto: Jolana Nováková,  Tschechischer Rundfunk

„Der Großvater sagte daraufhin, dies sei ein schöner Name. Er würde sich gut lesen, bleibe im Gedächtnis, und das gleiche Wort existiere in verschiedenen Sprachen. Es sei also passend, meinte er, dass das Palais so genannt werde.“

„Es ist ein ikonischer Bau“

Es ist gut 100 Jahre her, dass das Lucerna-Palais erbaut wurde. Havel hat das Haus im modernen Stil gehalten und mit Jugendstil-Elementen versehen. Weiter berichtet Petr Hájek:

Architekt Petr Hájek | Foto: Zdeňka Kuchyňová,  Radio Prague International

„Für mich als Architekten ist dies ein wirklich ikonischer Bau. Die Bauarbeiten begannen 1907, und der Großteil war 1921 fertig. Das Palais hat für mich das tolle Ambiente eines Ozeandampfers. Wenn man auf der Dachterrasse steht, wird man stark an diese Zeit erinnert. Und im Gebäudeinneren kann man die Atmosphäre der Neuen Welt aufsaugen.“

Das Gebäude sei sehr großzügig angelegt, urteilt der Architekt und erinnert an einen wichtigen Beteiligten:

Lucerna Palais - Dachterrasse  | Foto: Archiv von Petr Hájek

„Der Statiker Stanislav Bechyně hat daran mitgearbeitet und entwarf dafür eines der ersten Stahlbetonskelette in Europa. Aus Kostengründen benutzte man für die Hauptgrube aber auch Sand und Split. Ein interessanter Aspekt ist, dass an der Stelle des heutigen großen Saales ursprünglich ein Eishockeyfeld geplant war. Darum hat der Saal die Maße 50 mal 25 Meter und kann bis zu 2500 Besucher aufnehmen.“

Auftritte von Karel Gott, Louis Armstrong und Ella Fitzgerald

Lange Jahre war dieser Raum der größte Tanzsaal in ganz Prag. In ihm fand zudem die erste Aufführung eines Tonfilms statt. Später traten hier Karel Gott auf – und internationale Stars, wie Dagmar Havlová betont:

Tanzsaal im Lucerna Palais | Foto: Jiří Šeda,  Tschechischer Rundfunk

„Oft wird an Louis Armstrong oder Ella Fitzgerald erinnert. Ich mochte aber am liebsten die Auftritte unserer einheimischen Sänger. Miro Žbirka hatte hier schöne Konzerte und viele andere Künstler auch.“

Im großen Saal finden bis heute zahlreiche Bälle und Konzerte statt. Zu Zeiten der Ersten Tschechoslowakischen Republik traf man sich hier zudem zu Modeschauen oder Boxwettkämpfen. Und das Lucerna-Gebäude biete noch einen weiteren Superlativ, betont die Besitzerin:

„Der Großvater ist viel in der Welt herumgereist. Er hatte die Idee, in Prag eine Art großstädtisches Palais mit mehreren Geschäften zu erschaffen. Als dann weitere Gebäude errichtet wurden, gefiel den Bauherren wohl diese Idee, und sie verbanden die Häuser durch Passagen. Dadurch bildeten die Lucerna und ihre Nachbarbauten im Erdgeschoss das dichteste Passagennetz der Stadt.“

Lucerna Kino | Foto: Amelia  Mola-Schmidt,  Radio Prague International

Das Palais habe in vielerlei Hinsicht einen Vorbildcharakter gehabt, fährt die Besitzerin fort:

„Dem Großvater gelang es, dank seiner Auslandserfahrungen, verschiedene Elemente zu verbinden. Die Leute konnten in der Passage nicht nur einkaufen, sondern auch ihre Zeit verbringen – so etwa im Kino oder bei Musikveranstaltungen. Zudem gab es Restaurants und das sehr bekannte Lucerna-Bistro, das der erste Selbstbedienungsbetrieb hierzulande war. Hier gab es vieles zum ersten Mal.“

Was früher in der Passage als Kabarett diente, ist heute die Lucerna Music Bar. Vor Jahrzehnten traten dort Persönlichkeiten wie Vlasta Burian, Karel Hašler oder das Duo Jiří Voskovec und Jan Werich auf. Heute wechseln sich auf der halbrunden Bühne tschechische und internationale Indie-Künstler ab, es werden Slam Poetry geboten und vor allem die bei Expats beliebte 80er-Jahre-Disco.

Open-Air-Bar über den Dächern Prags

Petr Hájek,  Ivan Havel,  Ondřej Kobza und Dagmar Havlová | Foto: Archiv von Petr Hájek

Für einen Feierabenddrink nutzen die Prager seit einiger Zeit die Dachterrasse des Lucerna-Palais, die heute eine Open-Air-Bar über den Dächern des Wenzelsplatzes ist. Es finden dort Ausstellungen, Konzerte oder gesellschaftliche Events statt. Im Herbst 2018 wurden die unterschiedlichen Terrassenebenen mit Kunstrasen versehen, auf dem sich zahlreiche Sitz- und Aussichtsmöglichkeiten bieten. Dabei ist es noch gar nicht so lange her, dass dies ein ungenutzter Raum war. Petr Hájek:

„Der ganze Gebäudekomplex sollte eigentlich noch um eine Etage höher sein. Darum können wir heute diese Terrassen nutzen, die auf der Ebene der vorletzten Etage liegen. Gerade stehen wir direkt über dem Glasdach aus Hohlsteinen, das auf seine Erneuerung wartet.“

Dachterrasse des Lucerna-Palais | Foto: Archiv von Petr Hájek

Der Architekt kennt die Terrassen noch aus der Zeit, bevor sie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden…

Foto: Archiv von Petr Hájek

„Dies war eine Idee des Cafébetreibers Ondřej Kobza. Eigentlich wollte er hier Gemeinschaftsgärten anlegen, und das war auch schon mit der Besitzerin Dagmar Havlová abgesprochen. Als sie mich zur Mithilfe hierher einluden, entstand aber spontan eine andere Idee. Uns inspirierte, dass es hier wie an Deck eines Ozeandampfers aussieht. Also haben wir die Terrassen mit Holz versehen. Und anstelle der Gemeinschaftsgärten haben wir nun einen Marktplatz über Prag.“

Abgesehen von seinen vielen reizvollen Details sei das Lucerna-Palais architektonisch vor allem als Ganzes interessant, fährt Hájek fort. Die Passage verleihe ihm Leben, und die Atmosphäre des Gebäudes habe eine Reihe Künstler inspiriert. Der Architekt verweist etwa auf den Film „Odpad město smrt“ (Müll Stadt Tod), den Regisseur Jan Hřebejk vor Ort drehte.

Reiterstatue von David Černý | Foto: Elena Horálková,  Radio Prague International

Wenn man in den Mittelteil des Palais Lucerna kommt, fällt der Blick sofort auf eine absurd scheinende Skulptur. Von der Decke hängt kopfüber ein Pferd, und darauf sitzt der heilige Wenzel. Dagmar Havlová erzählt:

„Dies ist eine Skulptur von David Černý. Er hat sie ursprünglich für den Wenzelsplatz angefertigt, an dessen unteren Ende sie auch eine Weile lang installiert war – als Gegenpol zur Reiterstatue des heiligen Wenzel am oberen Ende des Platzes. Als das Werk dann ins Depot gebracht wurde, hatten wir die Idee, sie in der Lucerna aufzuhängen. Seitdem ist sie tatsächlich zu einer echten Touristenattraktion geworden, und ich bin froh, dass wir sie hier haben.“

Aufwendige Sanierung im Gange

Das Palais Lucerna ist seit 1. Juli 2017 Nationales Kulturdenkmal. Damit es diesem Status auch vom Anblick her entspricht, finden schon seit längerem umfassende Sanierungsarbeiten am Haus statt. Diese seien komplizierter als gedacht, berichtet Dagmar Havlová. Die Fassade zur Vodičková-Straße ist inzwischen von dem Gerüst befreit, und die Büroräume in diesem Gebäudeteil werden vermietet. Von den Gebäudeteilen, die fertig saniert sind, findet die Besitzerin die neuen Dachterrassen besonders gelungen…

Café Lucerna | Foto: Elena Horálková,  Radio Prague International

„Sie sind das Phänomen der Lucerna. Früher gab es das Vorhaben, sie zu verglasen und dort ein Café einzurichten. Damit planen wir auch, sobald das Geld dafür vorhanden ist. Vor allem wird dann aber ein Fahrstuhl eingebaut, der bis zum großen Saal nach unten und auf das Dach nach oben fährt. Diesen Service wollen wir Rollstuhlfahrern anbieten, weil es ihn bisher nicht gibt.“

Lucerna Palais | Foto: Elena Horálková,  Radio Prague International

Derzeit ist die rückseitige Fassade zur Štěpánská-Straße mit einer Plane bedeckt. Und Architekt Petr Hájek verrät noch ein überraschendes Detail der weiteren Renovierungspläne:

„Es wird erwogen, dass das Palais einen Aufsatz bekommt. Es ist noch nicht entschieden, wie dieser aussehen soll. Aber vielleicht klappt es ja, und die Lucerna bekommt wirklich eine Laterne.“

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