Petr Pithart und der Senat. Von Fernrohren, Mikroskopen und verschlossenen Türen

Petr Pithart

Im Frühjahr hatte Petr Pithart, der scheidende Vorsitzende des tschechischen Senats, die bayrische Europa-Medaille abgelehnt, die ihm der Freistaat zuerkannt hatte. Grund: Die Abgeordneten der bayrischen CSU - und zwar alle - hatten zuvor im Europaparlament gegen die Aufnahme Tschechiens in die EU gestimmt. Hintergrund waren wieder einmal Fragen rund um die Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg. Er sei immer dafür gewesen, auch über die Wunden des Anderen zu sprechen, sagte Pithart damals. Durch verschlossene Türen sei das aber nicht möglich. Tatsächlich hat gerade Pithart einigen Anteil an der positiven Entwicklung der tschechisch-deutschen Beziehungen. Kurz vor Ende seiner Amtszeit nimmt er nun Stellung: Zum Nachbarschaftsverhältnis, zur Rolle des Senats, und zur Rolle des Politikers überhaupt. Hören Sie den folgenden Schauplatz von Gerald Schubert:

Petr Pithart ist kein Mann der lauten Worte. Und seine Partei, die christdemokratische KDU-CSL, ist keine Partei der spektakulären Erfolge oder Misserfolge. Ihr nicht gerade überwältigendes, aber seit langem stabiles Wählerpotential von etwa 10 Prozent pflegt sie regelmäßig auszuschöpfen, seit dem Jahr 2002 bildet sie mit Sozialdemokraten und Liberalen die Regierung. Als Koalitionspartner kommt sie, außer für die Kommunisten, eigentlich für alle Parlamentsparteien infrage, und fast schon programmatisch wirkt ihr Slogan: Klidná síla - Die stille Kraft.

Als stille Kraft, wenigstens im Vergleich zum Abgeordnetenhaus, gilt hierzulande auch der Senat, die Obere Kammer des tschechischen Parlaments. Ihr langjähriger Vorsitzender: Der Christdemokrat Pithart. Nach den Wahlen Anfang November haben sich dort die Mehrheitsverhältnisse geändert, die oppositionelle Demokratische Bürgerpartei ODS wird künftig wohl den Senatschef stellen. Pithart hat angekündigt, nicht mehr zu kandidieren. Also: Zeit für einen kritischen Rückblick. Immerhin stand Pithart dem Senat mit Unterbrechungen seit dem Jahr 1996 vor. Wo gibt es, was die Obere Kammer des Parlaments betrifft, noch Defizite? Was könnte in Zukunft besser gemacht werden? Petr Pithart:

Josef Lux und 'Klidná síla' - 'Die stille Kraft' der KDU-CSL  (Foto: CTK)
"Es ist uns noch immer nicht richtig gelungen, den Menschen zu erklären, wozu der Senat da ist. Manchmal unterliege ich da schon fast einem gewissen Fatalismus. Dann aber sage ich mir wieder: Vielleicht gelingt es in Zukunft irgendjemand Anderem besser. Der Fatalismus beruht aber vor allem darin, dass gerade das, was ich am Senat so schätze, nämlich die konzentrierte Arbeit, das ruhige Verhandeln, medial nicht attraktiv ist. Das Abgeordnetenhaus ist mehr ein Kampfplatz, ein Ort, auf dem manchmal auch scharfe Gefechte ausgetragen werden und wo hin und wieder auch rauere Töne zu hören sind. Das gehört auch zum Abgeordnetenhaus dazu, das soll jetzt gar nicht abschätzig klingen. Aber für die Medien ist so ein Verhalten natürlich attraktiver."

Der berühmte tschechische Schauspieler und Drehbuchautor Zdenek Sverák hat einst einen treffenden Vergleich gefunden, um die beiden Parlamentskammern zu charakterisieren, wie Petr Pithart erzählt:

"Das Abgeordnetenhaus ist wie eine Schulklasse während der Pause, und der Senat ist wie das Lehrerzimmer. Sie müssen zugeben: Im Lehrerzimmer ist es langweilig. Eine Schulklasse während der Pause ist viel interessanter."


Es gibt auch ein anderes Bild, mit dem Politiker hierzulande den Charakter der beiden Parlamentskammern manchmal beschreiben: Das Abgeordnetenhaus, heißt es dann, gleicht einem Mikroskop, der Senat hingegen einem Fernrohr. Das hat eine gewisse Logik: Denn die Abgeordneten werden nach dem Verhältniswahlrecht gewählt und bilden im Parlament sozusagen den Brennpunkt der politischen Interessen. Die Senatoren wiederum bestimmen die Bürger der einzelnen Wahlbezirke nach dem Mehrheitswahlrecht. Somit hat die Zusammensetzung des Senats einen eher von den Regionen geprägten Charakter, der in der Regel auch unabhängiger von den politischen Parteien ist. Genau das ist für Pithart ein großes Plus, das sich die Senatoren noch mehr bewusst machen sollten:

"Es stehen ihnen alle Türen offen, sie können frei sprechen und niemand kann sie zur Verantwortung ziehen. Sie können Dinge in Bewegung bringen. Ich habe das versucht. Natürlich nicht nur ich alleine, es gibt mehrere, die so denken. Aber es könnten noch mehr sein."

Eines der Felder, in denen gerade der Senat eine wichtige Aufgabe erfüllen kann, ist die Pflege der nachbarschaftlichen Beziehungen, sagte Pithart neulich in Prag, als ihm eine hohe staatliche Auszeichnung der Republik Österreich verliehen wurde:

"Ich glaube nach wie vor, dass wir noch mehr persönlichen Einsatz zeigen müssen - auch, wenn wir damit bestimmte Risiken eingehen. Das ist einfach unsere Rolle, unsere Verantwortung. Ich zum Beispiel bin heute unter diesem Dach einer der Wenigen, die nicht deutsch sprechen. Ich war immer eher anglophil. Aber das hat nie etwas ausgemacht. Die Menschen merken, wenn jemand etwas ernst meint, sich einsetzt und dabei auch etwas riskiert."

Im Laufe seiner langjährigen Tätigkeit als Politiker - vor der Teilung der tschechoslowakischen Föderation im Jahre 1993 war er etwa schon tschechischer Regierungschef - hat sich Pithart wiederholt für die tschechisch-deutsche respektive die tschechisch-österreichische Aussöhnung stark gemacht. Etwa als Mitbegründer der Initiative Smirení 95 (Versöhnung 95). Er rief auch zur Ratifizierung der so genannten Deutsch-tschechischen Erklärung des Jahres 1997 auf, und gab gegenüber der deutschen Presse zu verstehen, dass er keine Einwände gegen eine symbolische Entschädigung von Sudetendeutschen hätte, die sich einst gegen den Nationalsozialismus gestellt haben. Natürlich, so Pithart, verbirgt sich gerade hinter derlei Haltungen ein gewisses Risiko. Das Risiko, auf der heimischen Politbühne Unverständnis zu ernten. Aber:

"Das gehört zur Profession des Politikers dazu. Ich glaube, ein Politiker soll das Vertrauen der Menschen gewissermaßen ansammeln, akkumulieren. Später dann kann er dieses Vertrauen in Situationen zur Geltung bringen, in denen er es wieder aufs Spiel setzt, in denen er riskiert, dass er es möglicherweise wieder verliert. Er soll das erworbene Vertrauen für Dinge benutzen, die nicht banal sind, nicht selbstverständlich und auch nicht populär. Genau deshalb baut er sich das Vertrauen auf: Um es gut zur Anwendung zu bringen und es in diesem Spiel eventuell auch wieder einzubüßen."


Petr Pithart hat sich entschlossen, bei den Wahlen zum Vorsitzenden des Abgeordnetenhauses nun nicht mehr zu kandidieren:

"Ich habe mich da schon vor einem Jahr festgelegt. Denn ich bin davon überzeugt, dass ich auch andere Dinge kann als diese vielen, durchaus notwendigen Formalitäten, die zu den Pflichten des Senatspräsidenten gehören. Ich hoffe, ich kann ein bisschen schreiben oder Vorträge halten. Also diesen Dingen würde ich mich gerne viel mehr widmen. Gleichzeitig würde ich mich aber sehr freuen, wenn ich mich um die auswärtigen Kontakte kümmern könnte. Dieser Aufgabe würde ich mich gerne mit aller mir zur Verfügung stehenden Energie annehmen. Diesen Wunsch, den hege ich nun schon seit einem Jahr."

Derzeit sieht es aber ganz danach aus, als könnte Pithart Vizechef des Senats werden. Auch diese Funktion wurde ihm bereits einmal übertragen. Im Jahr 1998, bevor er dann 2002 abermals zum Chef wurde.