Pianist Ivo Kahánek lässt Dvořáks Klavierwerke aus dem Schatten treten
Ivo Kahánek ist einer der erfolgreichsten tschechischen Pianisten seiner Generation. Nach seiner vielbeachteten Aufnahme des Klavierkonzerts von Antonín Dvořák hat der 42-Jährige im vergangenen Jahr sämtliche Klavierwerke des Komponisten aufgenommen. Es entstanden vier CDs mit einer Spieldauer von fünf Stunden.
Die Klavierwerke von Antonín Dvořák sind im Vergleich zu seinen symphonischen Kompositionen, den Solokonzerten und der Kammermusik eher weniger bekannt, bestätigt Ivo Kahánek. Der Pianist hat im Jahr 2017 Dvořáks „Klavierkonzert g-Moll op. 33“ mit den Bamberger Symphonikern eingespielt und wurde für die CD mit dem prestigeträchtigen BBC Music Magazine Award geehrt. Im vergangenen Jahr knüpfte er mit einer Gesamteinspielung von Dvořáks Solokompositionen für Klavier an:
„Dvořáks Leistungen in der symphonischen Musik und Kammermusik werden als wertvoller angesehen. Die Klavierwerke verdienen es aber nicht, vernachlässigt zu werden.“
„Die Klavierwerke stehen etwas im Schatten und werden wohl auch in Zukunft dort bleiben. Denn Dvořáks Leistungen in der symphonischen Instrumentalmusik und Kammermusik werden als wertvoller angesehen. Aber die Klavierwerke verdienen es nicht, so vernachlässigt zu werden. Allerdings kann man dies nicht verallgemeinern, sind es doch fünf Stunden Musik: Viele der Stücke sind großartig. Einige sind eher beiläufig, andere wiederum, dienten als Skizzen für weitere Werke Dvořáks. Manche Kompositionen, die als Orchesterstücke berühmt sind, wurden ursprünglich für das Klavier geschrieben. Zum Beispiel die ‚Slawischen Tänze zu vier Händen‘ erlangten ihren größten Ruhm in der symphonischen Version, ebenso wie die ‚Suite in A-Dur‘. Mit der Einspielung aller Klavierwerke wollte ich darauf hinweisen, dass es einen großen Bereich in Dvořáks Musik gibt, der kaum gespielt wird. Ich wollte dazu beitragen, dass auch bei der Ausbildung junger Pianisten auf diese Stücke zurückgegriffen wird und dass sie auf den großen Konzertpodien zu hören sind."
Von Dvořáks Klavierwerken ist überliefert, dass sie für die Interpreten ziemlich schwierig sind:
„Das stimmt, vor allem diejenigen, die gar nicht den Eindruck machen. Für Dvořák ist typisch, dass selbst die Miniaturen, bei denen man denkt, man werde sie zweimal spielen und habe sie dann gemeistert, in der Regel unangenehm für die Hand sind. Man muss viel üben, was beim Hören eigentlich nicht zu erkennen ist. Er hat einige Stücke geschrieben, die durch ihre Virtuosität erstaunen, wie es zum Beispiel auch bei Franz Liszt der Fall ist. Aber man muss sie sehr viel üben. Vielleicht liegt es daran, dass Dvořák als Bratschist der Poetik der Streichinstrumente näher stand. Ich habe seine Nachkommen gefragt, ob er aus dem Kopf oder am Klavier komponierte. Ich war überrascht, dass Dvořák seine Musik am Klavier schrieb.“
„Selbst die Miniaturen, bei denen man denkt, man werde sie zweimal spielen und habe sie dann gemeistert, sind in der Regel unangenehm für die Hand.“
Die Gesamtaufnahme von Dvořáks Klavierwerken besteht aus vier CDs mit insgesamt fünf Stunden Spieldauer. Wie lange hat sich Kahánek auf das Projekt vorbereitet und die Kompositionen geübt?
„Die Vorbereitung eines so großen Projekts ist schwierig, und es wäre nicht ideal, ganz bei Null anzufangen. Ich hatte das Glück, dass ich schon in der Vergangenheit viel mit Dvořák zu tun gehabt habe. Vor etwa zehn Jahren spielte ich die kompletten Humoresken und die Suite in A-Dur bei einem Festival in Schottland. Als ich mich nun für das Gesamtwerk-Projekt entschieden habe, hatte ich also schon die kleinere Hälfte der Werke in meinem Repertoire. Ich hatte auch den Vorteil, dass ich sechs Monate vor der Aufnahme zwei Konzerte beim Prager Dvořák-Festival gespielt habe. Dort habe ich ein Recital im Rudolfinum gegeben und beim Klaviermarathon mitgewirkt. Ich hatte also kein leeres Feld zu beackern. Etwa die Hälfte der Kompositionen habe ich zuvor auf dem Podium aufgeführt, was ein großer Vorteil für die Aufnahme ist.“
„Etwa die Hälfte der Kompositionen habe ich zuvor auf dem Podium aufgeführt, was ein großer Vorteil für die Aufnahme ist.“
Für die unmittelbare Vorbereitung auf die CD habe Kahánek etwa vier Monate gebraucht:
„Bei Dvořák ist es etwas einfacher, ein Stück einzustudieren, da es sich meist um Miniaturen handelt. Sein längstes Klavierstück, das ‚Thema mit Variationen‘, ist etwa fünfzehn Minuten lang. Ein Satz aus den ‚Poetischen Stimmungsbildern‘ ist sechs Minuten lang. Alle anderen Stücke sind kürzer. Es lässt sich sagen, dass man die meisten Werke ohne Probleme in einer Woche erlernen kann. Aber es ist auch wichtig, einen gewissen Kontext herzustellen. Die Interpretation der kleinen ‚Albumblätter‘ ist anders als die der ‚Poetischen Stimmungsbilder‘. Es geht nicht darum, die Stücke von Null auf Hundert Prozent zu erlernen und aufzuzeichnen. Man muss auch einen gewissen Abstand haben.“
Wenn er jemandem sein 4-CDs-Set schenke, tue er dies gerne mit der Aufforderung, dieses von Anfang bis Ende in einem Zug durchzuhören, sagt Kahánek. Natürlich im Scherz, räumt er ein:
„Ich würde eher empfehlen, die Aufnahmen als eine musikalische Bonbonniere zu verstehen und Kostproben auszuwählen. Diese Musik kann für eine sehr angenehme Stimmung sorgen. Dvořák war ein natürlicher und spontaner Komponist. Die Stücke enthalten wenig Kontraste und dramatische Wendungen, und bis auf ein paar Ausnahmen wird darin sozusagen kein Kampf ums Leben geführt. Sie sind lyrisch, melancholisch, inbrünstig. Ich empfehle, sie als musikalischen Leckerbissen zu hören – etwas auszuprobieren, etwas wiederholt zu hören, etwas Neues zu entdecken. Sie rufen angenehme Gefühle hervor und versetzen einen in eine ruhigere, schöne Welt.“
„Die Stücke versetzen einen in eine ruhigere, schöne Welt.“
Ivo Kahánek nennt einige seiner Lieblingsstücke aus dem Klavierschaffen von Antonín Dvořák:
„Es gibt sicherlich mehrere. Dvořák hat die Klavierstücke mit Qualitäten ausgestattet, die denen seiner symphonischen Werken entsprechen. Zum Beispiel die Suite in A-Dur und von den späteren und häufiger aufgeführten Werken dann etwa die ‚Silhouetten‘. Dies ist ein Zyklus von Miniaturen, aber der emotionale Feinsinn, den Dvořák erreicht, ist Weltklasse. Wir alle kennen die Humoresque Nummer 7 und den ganzen Humoresques-Zyklus, der sehr schön ist. Ich möchte auch das Impromptu in d-Moll erwähnen, das praktisch nicht öffentlich gespielt wird. Die Stimmung des mittleren Satzes erinnert deutlich an Josef Suk. Die Harmonien und die Art des Komponierens sind aus der Epoche des tschechischen Impressionismus bekannt, diesbezüglich ist es sehr schön und interessant.“
Auch ein weiterer tschechischer Komponist, Bedřich Smetana, hat Werke für das Klavier komponiert. Ivo Kahánek zieht einen Vergleich:
„Dvořák und Smetana unterscheiden sich grundlegend, denn Bedřich Smetana war ein professioneller Pianist, und sein Interesse galt in erster Linie dem Klavier. Ihm diente das Instrument nicht als Skizzenbuch oder Hausfreund, wie bei Dvořák, sondern es war seine Hauptdisziplin. Smetana hatte in Franz Liszt und dessen virtuosen Klavierkompositionen sein Vorbild. Seine Art des Komponierens ist viel virtuoser und viel pianistischer als Dvořáks, die Musik ist voller Kontraste. Andererseits war Smetana auch ein großer Klavierintellektueller, und einige seiner Kompositionen sind sehr gut durchdacht und kombinatorisch auf der Höhe seiner Zeit. Dvořák komponierte auf einer intuitiveren, natürlicheren Weise. Wir dürfen nicht vergessen, dass er auf Fundamenten der tschechischen Musik bauen konnte, die von Smetana geschaffen wurden. Smetana schuf die romantische Musik quasi aus dem Nichts. Er hatte die Funktion eines Gründers, während Dvořák daran anknüpfen konnte.“
„Das Klavier war zwar nicht sein Hauptgebiet, aber es war fünfzig Jahre lang sein treuer Begleiter.“
Ivo Kahánek plant in nächster Zeit eine Serie von Konzerten mit den Klavierstücken von Antonín Dvořák. Dabei will er die Musik mit Dvořáks Lebensgeschichte verflechten:
„Sein Schicksal ist ganz fabelhaft. Er war Sohn eines Metzgers, erhielt später die Ehrendoktorwürde britischer Universitäten und wurde Direktor eines Konservatoriums in New York. Sehr naiv ausgedrückt sieht man in seiner Biografie die Reise eines armen Jungen in die Welt. Dies ist auch ein sehr eingängiges Thema. Zudem betone ich immer, dass Dvořák ein Komponist war, bei dem man kaum ungesunde oder extravagante Manieren und Eigenschaften eines Stars findet. Im Unterschied zu anderen Komponisten, die sehr eigenartige Persönlichkeiten gewesen sein müssen, erscheint Dvořák als ein netter Mensch, als Vater und als tief religiöser Mensch. Darin ist sein Lebensweg interessant. Und ebenso durch das gewaltige Werk, das er geschaffen hat. Ich möchte ein Konzert mit seinen Werken geben, das mit Episoden aus seinem Leben gespickt ist. Ich werde nicht nur seine Hits vorstellen, sondern auch weitere Klavierstücke aus verschiedenen Blickwinkeln und aus verschiedenen Epochen seines Lebens. Das Klavier war zwar nicht sein Hauptgebiet, aber es war fünfzig Jahre lang sein treuer Begleiter.“
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