Plötzlich Minderheit: Slowaken in Tschechien
Nach dem Zerfall der Tschechoslowakei änderte sich viel für die slowakischen Mitbürger in Tschechien.
„Am 1. Januar 1993 sind die Slowaken in Tschechien über Nacht zur nationalen Minderheit geworden. Da wir nun aber die größte Minorität waren, hat der Tschechische Rundfunk entschieden, dass wir ein eigenes Programm in den Sendungen bekommen. So wurde Stretnutie geboren.“
Derzeit leben hierzulande über 100.000 Menschen mit slowakischem Pass, sie sind somit nach den Ukrainern die zweitgrößte Gruppe von Ausländern in Tschechien. Viele haben mittlerweile aber die tschechische Staatsangehörigkeit oder stammen aus Mischehen. Ľubica Svarovská meint, dass die Slowaken eigentlich die Lieblings-Ausländer der Tschechen sind:
„Die Tschechen haben die Slowaken gern. Es reicht, sich dazu die zahlreichen Umfragen zu dem Thema anzuschauen: daraus geht nämlich stets hervor, dass die Tschechen am liebsten einen Slowaken als Nachbar oder Freund haben wollen.“Vom Ratgeber zum Informations- und Unterhaltungsprogramm
Am Anfang sei die Arbeit schwer gewesen, es sei hauptsächlich um rechtliche Fragen gegangen, erinnert sich Svarovská. Man wollte darüber informieren, wie es mit der Staatsbürgerschaft aussieht, oder wie man seine Immobilien in der Slowakei verwalten sollte. Die befanden sich nun ja im Ausland. Heute sei alles etwas entspannter:
„Im ersten Teil unseres einstündigen Programms geht es hauptsächlich um das Tagesgeschehen in der Slowakei, also hauptsächlich um Politik und Sport. Das ist wichtig, damit die Slowaken hier nicht den Kontakt zu ihrem Heimatland und ihrer Sprache verlieren. Im zweiten Teil stellen wir dann beispielsweise bekannte Slowaken in Tschechien vor und informieren, was sie genau machen. Wir berichten natürlich auch über slowakische Veranstaltungen in Tschechien.“
Mittlerweile hören auch viele Tschechen gerne das Programm Stretnutie, vor allem die älteren Semester. Sie vermissen es, Slowakisch im Fernsehen und Radio zu hören, und freuen sich deshalb immer auf das Programm von Ľubica Svarovská.Wie aber ist die Journalistin selbst nach Prag gekommen? Und: Wie fühlt sie sich heute in der Hauptstadt Tschechiens?
„Ich bin der Liebe wegen hierhergekommen. Natürlich haben mein Mann und ich immer gesagt, manchmal auch nur zum Scherz, dass wir im Alter in die Slowakei zurückkehren. Da sind ja unsere Berge, wo wir so gern Ski fahren. Wenn man jedoch Kinder hat, ist alles anders. Meine sind hier eigentlich als Tschechen aufgewachsen. Sie wissen zwar, dass sie slowakische Wurzeln haben und mögen die Slowakei auch gern. Trotzdem fühlen sie sich aber eher hier zu Hause. Da wäre es unverantwortlich von mir gewesen, die ganze Familie des eigenen Interesses wegen in die Slowakei umzusiedeln. Deshalb bleiben wir lieber hier.“
25 Jahre nach der Trennung der Tschechoslowakei gibt es auch weiterhin ein buntes slowakisches Leben in Prag und ganz Tschechien:„Wenn man in die tschechischen Zeitungen oder ins tschechische Fernseh- und Radioprogramm schaut, dann gibt es da nicht mehr viel Slowakisch. Eine ganze Reihe von Slowaken hat deshalb beschlossen, eigene Vereine und Zeitschriften zu gründen, um ihre Muttersprache irgendwie zu erhalten. Insbesondere aber war es das Ziel, dass die schon hier geborenen Generationen auch weiterhin zweisprachig aufwachsen. Vor allem in den Klubs und Vereinen unterhält man sich auf Slowakisch über die eigenen Themen und erinnert sich an das Leben in der alten Heimat. Dadurch erhalten die Slowaken hier ihre Gemeinschaft, aber auch ihre alten Bräuche.“
Mit Gesang und Tanz zur eigenen Identität
Einer dieser slowakischen Vereine in der tschechischen Hauptstadt ist der Folkloreklub Šarvanci. Immer montags und mittwochs werden in einer Sporthalle im Prager Stadtteil Karlín slowakische Volksweisen gesungen und traditionelle Tänze geübt. Lenka Schimmerová ist zuständig für die Abteilung Tanz:
„Bei uns Šarvanci steht die slowakische Folklore an erster Stelle. Und zwar mit allem, was dazugehört, also Gesang, Tanz, Trachten und dergleichen mehr. Wir konzentrieren uns dabei nicht auf eine bestimmte Region der Slowakei.“Warum ist es für die Slowaken in Prag aber so wichtig, sich in Klubs wie den Šarvanci zu organisieren? Lenka Schimmerová hat eine Antwort:
„Wahrscheinlich ist es so, dass vielen Slowaken hier bewusst wird, wie sehr ihnen der Kontakt mit der alten Heimat und ihrer Sprache fehlt. Folklore ist da einer der Wege, wie sie mit anderen Slowaken zusammen sein können.“
Für Slowaken sei es andererseits relativ einfach, sich in Tschechien zurechtzufinden, meint Simoneta Soukopová. Sie leitet die Abteilung Gesang bei den Šarvnaci und merkt das auch bei sich selbst:
„Ich habe eigentlich nie bewusst den Kontakt zu anderen Slowaken gesucht. In einer slowakischen Community bin ich vor allem über unseren Folkloreklub. Für mich ist es nicht so wichtig, eine feste Gruppe von slowakischen Freunden hier in Tschechien zu haben, da sich Kultur und Sprache so ähnlich sind.“Mittlerweile treffen sich aber nicht nur Slowaken bei den Šarvanci, es tanzen und singen auch einige Tschechen mit.
Dass die Šarvanci klar etwas mit Identität zu tun haben, meint auch Michal Zajac. Der Tänzer kommt selbst aus einer gemischten Familie und will über die slowakische Folklore den Kontakt zu seinen elterlichen Wurzeln nicht verlieren:
„Wir sprechen daheim mittlerweile fast ausschließlich Tschechisch. Auch mit meiner slowakischen Mutter, die das Slowakische im Alltag ein bisschen zu vergessen droht. Sie mischt die beiden Sprachen jetzt immer stärker. Ich bemühe mich deshalb, unter anderem hier bei den Šarvnaci das Slowakische zu pflegen. Ich fände es nämlich schade, wenn unsere Sprache in der Familie verschwinden würde.“Der Gesangslehrerin Simoneta Soukopová macht besonders eines Freude: Und zwar die Tatsache, dass sich vor allem junge Leute für die slowakische Folklore interessieren:
„Als wir die Šarvanci vor 15 Jahren gegründet haben, waren wir noch ganz junge Studenten. Jetzt sind wir natürlich schon ganz woanders. Aber auch heute ist es so, dass junge Slowaken zu uns kommen, die beispielsweise in Prag studieren. Es kommen aber auch Leute zu uns, die schon länger hier leben.“
Einer von den ganz Jungen bei den Šarvanci ist der Gymnasiast Viktor. Er ist das „Küken“ der Truppe und spielt die Ziehharmonika:„Ich wurde zwar in Prag geboren, bin aber in der Slowakei aufgewachsen. Die Folklore begleitet mich schon seit meiner Kindheit, ich bin über meine Eltern darauf gekommen. Ich würde sogar sagen, dass sie mein Leben ist.“
Keine Angst vor Kontaktverlust
Wenn man so lange schon in Tschechien lebt, verliert man da nicht seine slowakischen Wurzeln? Die Rundfunkredakteurin Ľubica Svarovska meint ganz klar: Nein:
„Natürlich bin ich beruflich immer mit der Slowakei in Kontakt. Aber auch so habe ich keine Angst, die Verbindung zur alten Heimat zu verlieren. Zwar leben meine Eltern nicht mehr, meine Geschwister wohnen jedoch weiterhin in der Slowakei. Wir haben ein sehr schönes Verhältnis zueinander und besuchen uns oft. Und auch meine Kinder lieben die Slowakei und fahren häufig dort hin, ob nun in die Berge zum Ski fahren oder zum Wandern, oder ganz einfach nur zu Familienbesuchen. Ich habe deshalb überhaupt keine Angst, den Kontakt zu meiner alten Heimat zu verlieren.“Nur ärgere sie sich über ihre mittlerweile erwachsenen Kinder ab und zu, meint Svarovská mit einem Lachen. Die seien manchmal doch ganz schön tschechisch:
„Wenn sie mal Zeit zum Lesen haben, dann greifen sie eher zur tschechischen Ausgabe eines Buches, auch wenn die slowakische direkt daneben steht. Sie sagen immer, dass das Lesen auf Slowakisch immer so lange dauert und sie dabei viel mehr nachdenken müssen. Vielleicht läuft das Leben heutzutage einfach viel schneller, oder meine Kinder sind zu bequem geworden und lesen lieber auf Tschechisch.“