Politische Elefantenhochzeit in Tschechien? – Spekulationen über eine große Koalition

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Die Europawahlen sind kaum geschafft, da werfen in Tschechien die vorgezogenen Neuwahlen zum Abgeordnetenhaus ihre Schatten voraus. Sie sollen Anfang Oktober stattfinden. Über zwei Jahre lang gab es in der unteren Parlamentskammer ein Gezerre und Geschiebe um eine knappe Mehrheit. Immer wieder sorgten Überläufer aus beiden Lagern für Spekulationen über Bestechung. Die Menschen hatten zuletzt genug vom Polit-Theater. Ob sich die Pattsituation nach den Wahlen ändern könnte, darüber sprach Till Janzer mit Christian Rühmkorf.

Jiří Paroubek und Mirek Topolánek  (Foto: ČTK)
Christian, es sind schon jetzt Spekulationen an die Oberfläche gedrungen über die Mehrheitsverhältnisse nach den Oktoberwahlen. Wie sehen die aus?

„Kurz und knapp gesagt: Es scheint sich keine der beiden großen Volksparteien, also der Bürgerdemokraten und der Sozialdemokraten, zuzutrauen ausreichend Wähler auf ihre Seite zu ziehen, so dass eine Koalition mit einem kleinen Partner zustande käme und damit eine tragfähige Regierung. Das schreibt jedenfalls die Zeitung „Lidové noviny“ in ihrer aktuellen Ausgabe. Angeblich haben beide Parteichefs Topolánek und Paroubek bereits nach dem erfolgreichen Misstrauensvotum im März über eine mögliche Zusammenarbeit in der nächsten Regierung verhandelt. Das Blatt beruft sich auf vertrauenswürdige aber vertrauliche Quellen. Die ODS und die ČSSD haben diesen Spekulationen natürlich offiziell zurückgewiesen. Im Wahlkampf kann man solche Meldungen nicht gebrauchen. Da will man sich profilieren und zwar auf Kosten der Konkurrenz.“

Wie könnte denn laut „Lidové noviny“ diese Zusammenarbeit aussehen. Ist damit eindeutig eine große Koalition gemeint? Es gab ja in diesem Land auch schon andere Formen der Zusammenarbeit.

„Du spielst auf den verpönten Oppositionsvertrag von 1998 an. Heute aber es geht wohl um eine gemeinsame Regierung, eine große Koalition, wie wir sie ja auch zurzeit noch in Deutschland haben. Dass diese Variante etwas ist, was die beiden Großen schon jetzt in Erwägung ziehen, das liegt sicher auch an der Wirtschaftskrise. Jeder scheut sich wohl davor, den Buhmann zu spielen, die höchste Neuverschuldung aufzutischen und gleichzeitig womöglich die Steuern zu erhöhen. Auch das haben wir ja in dieser Woche aus Deutschland schon gehört. Tschechien ist eben genauso exportabhängig wie sein großer Nachbar.“

Welche anderen Koalitionen oder Konstellationen kämen denn überhaupt in Frage?

„Das Schreckgespenst bei allen taktischen Überlegungen, das sind die Kommunisten. Sie haben, obwohl - oder gerade weil - ihre Wähler im Durchschnitt schon recht alt sind, einen ziemlich stabilen Stimmenanteil von rund 15 Prozent. Die Sozialdemokraten haben doch noch Manschetten, mit den Kommunisten zu regieren. Auf Kreis- oder Kommunalebene geht das. Aber nicht auf der höchsten politischen Ebene. Da fürchtet man, sich beim Volk zu diskreditieren. Die Christdemokraten flirten seit kurzem mit den Sozialdemokraten. Aber für eine Mehrheitsregierung wird das wahrscheinlich nicht reichen. Den Christdemokraten laufen nämlich nach der eindeutigen Linksausrichtung Mitglieder weg. Die melden sich dann bei der konservativen, pro-europäischen Newcomer-Partei Top 09 an. Ex-Finanzminister Kalousek und der beliebte Ex-Außenminister Schwarzenberg haben damit ja doch einiges Interesse geweckt.“

Dann könnte doch vielleicht die ODS, also die bürgerdemokratische Partei von Topolánek, mit Top 09 eine Mehrheitsregierung zustande bringen?

„Klingt nach einem gangbaren Weg. Wenn nicht Top 09 mit ihrem Pro-Europa-Kurs in den Gewässern der Bürgerdemoraten fischen würde. Und das tut sie. Die Wähler der Bürgerdemokraten sind nämlich wesentlich euro-optimistischer als die verantwortlichen Politiker dieser Partei. Also, eine Mehrheitsregierung aus Groß und Klein, das könnte tatsächlich schwierig werden. Nicht zuletzt auch deshalb, weil ein anderer politischer Faktor geradezu weggebrochen ist - die Grünen. Sie stecken in einer tiefen Krise. Die zwei Prozent bei den Europawahlen waren ein kräftiger Schlag in den Nacken.“