Politologe Schuster: „Nečas kann sich weiter auf die Loyalität der Koalitionspartner stützen“
Für Tschechiens Premierminister Petr Nečas schlägt in dieser Woche die Stunde der Wahrheit. Das Abgeordnetenhaus wird nämlich über die Erhöhung der Mehrwertsteuer entscheiden. In diesem Vorhaben sieht die Regierung eine Schlüsselmaßnahme, um die Einnahmen im Staatshaushalt zu erhöhen und die Verschuldung Tschechiens zu verringern. Doch nicht nur die sozialdemokratische und kommunistische Opposition läuft dagegen Sturm. Auch in Nečas´ eigener Partei ODS gibt es eine Gruppe von Gegnern, die schon seit Wochen mit dem Premier verhandelt, allerdings ohne bislang einen Kompromiss erreicht zu haben. Nečas wiederum hat angekündigt, im Falle eines Scheiterns des Steuergesetzes zurückzutreten. Zur Lage der Regierung und zur Tragweite von Nečas´ Drohung nun ein Gespräch mit unserem Mitarbeiter, dem Politikwissenschaftler Robert Schuster.
„Das ist tatsächlich sehr ungewiss. Ich würde sagen, dass die Chancen der Regierung, weitermachen zu können, 50:50 stehen. Das ist natürlich keine eindeutige Prognose, aber man darf nicht vergessen, dass es in den vergangenen Tagen zu Gesprächen gekommen ist zwischen Premierminister Nečas und den Abweichlern in seiner Partei. Die sechs so genannten ODS-Rebellen sind gegen eine Steuererhöhung. Nach ihren Gesprächen mit Nečas schienen die Fronten zwischen beiden Seiten eher verhärtet zu sein. Das heißt: Es ist keine Einigung in Sicht. Das kann indes auch taktisches Geplänkel sein, denn in dieser Woche findet nicht nur die wichtige Abstimmung im Parlament über die Höhe der Mehrwertsteuer statt, sondern auch am Wochenende der Parteitag der ODS. In den vergangenen Tagen haben dazu die ersten Kreisverbände der ODS ihre Empfehlung abgegeben, Nečas zu unterstützen. Es kann sein, dass sich in den kommenden Tagen noch weitere Kreisverbände dazugesellen, zum Beispiel die wichtige ODS-Organisation in Prag. Wenn die Mehrheit an der Basis Petr Nečas und seinen Kurs unterstützt, dann besteht auch Möglichkeit, dass die Rebellen klein beigeben.“
Was wären die Folgen im Falle eines Scheiterns der jetzigen Regierung? Wer würde davon am stärksten profitieren?„Wie es derzeit aussieht, wären wohl vorgezogene Neuwahlen die Konsequenz aus diesem Konflikt. Denn es ist vor allem niemand in Sicht, der anstelle von Petr Nečas die Regierungsgeschäfte übernehmen könnte. Das bezieht sich auf die Demokratische Bürgerpartei, also die ODS. Zudem hat Finanzminister Miroslav Kalousek, der mit der liberal-konservativen Top 09 die zweitgrößte Regierungspartei vertritt, am vergangenen Wochenende erklärt, seine Partei würde sich nicht an einer Regierung ohne Nečas beteiligen. Das ist ein sehr starkes Signal in Richtung ODS und eine direkte Unterstützung für den Regierungschef. Profitieren würden natürlich die Sozialdemokraten. Sie führen seit langem bereits die Wählerumfragen an und waren im Oktober bei den Regional- und Senatswahlen praktisch die Sieger. Sie könnten die Wählergunst aus den Regionalwahlen sicher auch bis zu möglichen vorgezogenen Neuwahlen im Frühling kommenden Jahres herüberretten. Wichtig ist aber auch zu erwähnen, dass im Januar Präsidentenwahlen stattfinden. Das heißt: Sollte es zu Neuwahlen kommen, würden diese – meiner Meinung nach - frühestens im März 2013 stattfinden.“
Das letzte Mal stand eine tschechische Regierung im Frühjahr 2009 vor dem Aus. Damals entzog das Abgeordnetenhaus dem Kabinett von Mirek Topolánek das Vertrauen, und es kam zu Neuwahlen. Lässt sich die jetzige Lage damit vergleichen?„Es gibt sicherlich Punkte, bei denen man sagen würde, dass die Situation sehr ähnlich ist. Bei anderen Punkten ist die jetzige Lage von Petr Nečas für den Fortbestand der Regierung etwas besser. Wichtig ist, dass Mirek Topolánek vor drei Jahren praktisch nie eine eigene Mehrheit hatte. Für jedes Gesetz musste er sich extra Unterstützung im Parlament suchen. Es war eine Frage der Zeit, dass es ihm nicht mehr gelingt, diese Unterstützung zu organisieren. Petr Nečas hat theoretisch immer noch eine Mehrheit auf seiner Seite. Diese sechs Abtrünnigen, Abgeordnete von Nečas’ Partei, sind prinzipiell noch bereit, die Regierungskoalition bei wichtigen Vorhaben zu unterstützen. Das würde dann zwar eine knappe, aber immerhin noch eine Mehrheit ergeben. Das heißt, es geht jetzt wirklich um das Mehrwertsteuergesetz. Das ist das Eine. Ein zweiter wichtiger Unterschied zu 2009 ist, dass Topolánek damals nicht mehr die Unterstützung seiner beiden Regierungspartner hatte. Die Grünen, die damals mitregierten, waren innerlich sehr zerstritten. Ein Flügel wollte so schnell wie möglich die Regierung verlassen, der andere wollte noch retten, was zu retten war. Auch die Christdemokraten waren damals innerlich stark zerstritten. Nečas kann sich auf die Loyalität seiner beiden Koalitionspartner verlassen. Sowohl die Top 09 steht zu Nečas, als auch die kleine Partei der Liberaldemokraten um Karolína Peake. Die Liberalen unterstützen das Regierungsprojekt noch, weil sie wissen, dass sie bei vorzeitigen Neuwahlen höchstwahrscheinlich nicht mehr ins Parlament gelangen würden.“