Polnische Mietpreisverhältnisse in Tschechien?/ Die Affäre Gross - ein Erfolg für die Medien?
"Seid Patrioten, geht nicht vor Gericht!", so hatte Jiri Paroubek, Minister für regionale Entwicklung an die tschechischen Hausbesitzer appelliert, nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Ende Februar der Klage von Marie Hutten-Czapska gegen die Mietpreispolitik des polnischen Staates stattgegeben hatte. Statt ebenso wie Hutten-Czapska vor Gericht zu gehen, sollen die tschechischen Hausbesitzer laut Paroubek lieber warten, bis die Regierung die Mietpreise von sich aus dereguliere. Eine törichte Aufforderung, meint Jan Machacek, Kommentator der Zeitung Hospodarske noviny:
"Seid Patrioten, geht nicht vor Gericht!", so hatte Jiri Paroubek, Minister für regionale Entwicklung an die tschechischen Hausbesitzer appelliert, nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Ende Februar der Klage von Marie Hutten-Czapska gegen die Mietpreispolitik des polnischen Staates stattgegeben hatte. Statt ebenso wie Hutten-Czapska vor Gericht zu gehen, sollen die tschechischen Hausbesitzer laut Paroubek lieber warten, bis die Regierung die Mietpreise von sich aus dereguliere. Eine törichte Aufforderung, meint Jan Machacek, Kommentator der Zeitung Hospodarske noviny:
"Paroubeks flammender Aufruf ist wohl ebenso schlau als wenn man den Minister aufrufen würde, aus Patriotismus auf sein Minister-Gehalt zu verzichten und künftig zu Fuß zur Arbeit zu gehen. Der Aufruf illustriert sehr anschaulich den Unterschied zwischen einer Demokratie und einer Demokratur. In einer Demokratur haben die Interessen von Hausbesitzern keine Chance. Als Wählergruppe sind und bleiben sie eine überschaubare Marginalie und ihre Interessen und Rechte sind und bleiben den Politikern daher Wurscht. In einer wirklichen Demokratie gibt es aber zum Glück auch Gerichte, die z.B. internationale Verträge respektieren und die Rechte von Minderheiten verteidigen müssen."
Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs hat in Tschechien eine breite öffentliche Diskussion ausgelöst: Mieter- und Vermietervereinigungen versammelten sich und gaben auf Pressekonferenzen ihre Standpuntke bekannt, die Regierung bereitete sich darauf vor, dass tschechische Hausbesitzer ähnlich wie die Polin Hutte-Czapska vor Gericht ziehen und die Medien spiegelten die öffentliche Debatte wider. Allerdings, so beklagt, die Internet-Zeitung Britske listy, auf sehr schlechtem Niveau Die Debatte zeichne sich durch äußerst einseitige Stellungnahmen aus, schreibt Jakub Tayari in seinem Kommentar vom 11. März:
"Hinter Artikeln, die sich für die Notwendigkeit von deregulierten Mietpreisen aussprechen, stehen zumeist diejenigen, denen eine Veränderung des status quo in die Hände spielen würde: Vermieter, Bankinstitute und Baufirmen. Gegen eine Deregulierung sprechen sich vor allem ältere und sensible Menschen aus, die um ihre Wohnungen fürchten. Wirkliche Reflexionen über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer Mietpreisderegulierung in der gegenwärtigen Gesellschaft fehlen. Hat es dann aber überhaupt Sinn, diese Beiträge zu lesen?"
Nachdem wir uns in den vergangenen Sendungen vorwiegend mit den politischen Aspekten der Regierungskrise beschäftigt haben, wollen wir im Folgenden ein wenig die Bedeutung der Affäre für Gesellschaft und Medien beleuchten.
Ende vergangener Woche hatte sich Premierminister Stanislav Gross für die undurchsichtigen Äußerungen im Zusammenhang mit den Immobiliengeschäften seiner Frau entschuldigt und mit der Opposition eine Art Waffenstillstand bis zum Parteitag der Sozialdemokraten Ende März vereinbart. Der endgültige Ausgang und eventuelle Sturz der gegenwärtigen Regierung wurde somit auf die Zeit nach Ostern vertagt. Der Politologe Bohumil Dolezal nimmt die gegenwärtige Pause in der Regierungskrise zum Anlass für eine Art Zwischenbilanz. In einem Kommentar für die Montagsausgabe der Zeitung Mlada fronta dnes schreibt er:"Die Situation ist für die Demokratie unerträglich. Die Menschen hören auf, an sie zu glauben: es verändert sich ohnehin nichts, sich öffentlich zu engagieren, hat demnach keinen Sinn. Und das alles in einem Moment, wo über uns das Damokles-Schwert einer sozialistisch-kommunistischen Koalition hängt, in der die Sozialdemokraten am kürzeren Ende der Leine ziehen werden. Aber dass das die Menschen auf die Straßen treiben würde? Weit gefehlt: Die Politiker haben sie doch davon überzeugt, dass es um nichts geht."
Der Chefkommentator der investigativen Wochenschrift Respekt, Erik Tabery, hingegen betrachtet die Affäre Gross bereits zum jetzigen Zeitpunkt nicht als Versagen, sondern umgekehrt als Erfolg für die Bürgergesellschaft. Im Gespräch mit Radio Prag begründet er, warum:
"Ein Erfolg ist das für tschechische Verhältnisse vor allem deshalb, weil zum ersten Mal ein politischer Fehler zugegeben und zumindest eine minimale Verantwortung dafür übernommen wurde. Zweitens waren der Druck der Öffentlichkeit und die Arbeit der Medien ziemlich beispielhaft, Dass sich die gesamte politische und mediale Szene mit dem ernsthaften Verstoß eines einzigen Politikers beschäftigt, das hat es vorher nicht gegeben. Vorher wurden solche Dinge meistens mit Schweigen und Schulterzucken kommentiert. Insofern war das sicher ein Erfolg, wenn auch kein ganz vollständiger, denn ich hätte erwartet, dass der Premierminister zurücktritt."
Wie Sie sich vielleicht erinnern, hatte sich vergangene Woche im Medienspiegel der Chefkommentator der Zeitung Lidove noviny skeptisch hinsichtlich der Frage gezeigt, ob die tschechischen Medien gestärkt aus der Affäre Gross herausgegangen sind. Sein Argument war, dass die hiesigen Medien nicht über genügend Mittel verfügen - personelle wie finanzielle - um bei der Aufklärung von Affären am Ball zu bleiben. Der Chefkommentator der investigativen Zeitschrift Respekt, Erik Tabery, sieht dies anders. Er - zieht eine positive Zwischenbilanz für die Medien aus der jüngsten Regierungskrise:"Für die Medien ist sicherlich vor allem die Erfahrung lehrreich, dass wenn sie gründlich an einer Sache dran bleiben - wie im Fall der unternehmerischen Tätigkeiten von Grossens Ehefrau - und für alle Argumente auch Beweise liefern, dass das dann auch bei der Öffentlichkeit auf Interesse stößt und sich nicht so leicht unter den Tisch kehren lässt. Wenn die Medien so gründlich und ausdauernd arbeiten, dann hat das wirklich auch einen Sinn für die gesamte Gesellschaft. Natürlich sind die tschechischen Medien nicht so reich ausgestattet - und damit meine ich nicht nur die Finanzen, sondern sie haben auch nicht die Erfahrung der westlichen Medien. Aber das halte ich für nicht so dramatisch. Das hat sich auch schon verbessert. Ich denke, es geht hier heute in erster Linie um die Gründlichkeit der einzelnen Redakteure. Und das hängt natürlich nicht nur mit den Finanzen zusammen, sondern vor allem damit, wie viel Energie sie darein investieren."