Präsident Havel: Präzedenzlose Sicherheitsvorkehrungen sind begründet
Zur Haltung der tschechischen Öffentlichkeit sowie anderen Aspekten der aktuellen Lage nach dem Beginn der Militärschläge gegen die Stützpunkte der Terroristen in Afghanistan haben sich namhafte Politiker sowie Publizisten geäußert. Einige der Meinungen fasst im folgenden Martina Schneibergova zusammen.
In einem Gespräch für den Tschechischen Rundfunk sprach sich der tschechische Staatspräsident Vaclav Havel zum Beweismaterial über Bin Ladens Verantwortung für die Terroranschläge gegen die USA aus. Der Präsident stellte fest, die Beweise würden zum richtigen Zeitpunkt veröffentlicht werden. Das Beweismaterial sei in einer ca. 30 Seiten umfassenden Broschüre zusammengetragen worden.
Wodurch ist nach Meinung des Staatspräsidenten die Haltung der tschechischen Öffentlichkeit zu erklären, deren Mehrheit die Militäroperationen gegen die Terroristen befürwortet, aber sich sehr verlegen zum eventuellen Einsatz tschechischer Truppen ausspricht?
"Ich habe den Eindruck, dass es ein Fehler war, ständig zu wiederholen, dass es ein Angriff gegen die USA oder dass es ein Konflikt mit den USA war. Ich würde es als einen Konflikt zwischen dem Recht der Menschen auf das Leben, auf die Menschenwürde, auf eine sinnvolle Koexistenz, auf eine gerechte Welt mit den Feinden, den Kräften des Bösen, dem Fanatismus, der Frustration und vollständiger Missachtung des Lebens der anderen Menschen. Es ist ein allgemeiner Zivilisationskonflikt, der sowohl uns, als auch die Vereinigten Staaten, Japan und jeden anderen betrifft. Dies sollte meiner Meinung nach unseren Mitbürgern erläutert werden. Der Widerspruch besteht darin, dass sie ein Einschreiten gegen die Terroristen unterstützen und gleichzeitig der Meinung sind, dass wir daran nicht teilzunehmen brauchen."
Vaclav Havel fügte hinzu, er selbst sowie der Premier hätten sich in diesem Sinne bereits geäußert, es sei jedoch - so Havel - notwendig, dies immer wieder zu betonen. Die Ursache der mangelnden Bereitschaft der tschechischen Bevölkerung, sich am Militäreinsatz gegen die Terroristen zu beteiligen, sieht der Präsident nicht im Mangel an Beweisen gegen Bin Laden:
"Die Ursache dieser Haltung ist eher in den historisch entstandenen sozialen Verhaltensmodellen zu suchen. Bei uns herrscht immer noch das Gefühl, dass wir zwar das Recht haben, uns über unsere Freiheit zu freuen, dass wir aber nicht verpflichtet sind, die Freiheit zu schützen und dafür etwas zu opfern, da es andere Mächtige gibt, die diese Pflicht haben. Dies meine ich nicht als Ausdruck meiner moralischen Empörung, sondern als Feststellung. Es ist das Resultat einer jahrhundertlangen Geschichte."
Während der vergangenen Wochen wurden in ganz Tschechien besondere Sicherheitsvorkehrungen getroffen, die manchmal auch als übertrieben angesehen wurden. Vaclav Havel dazu:
"Ich freue mich darüber, dass das Kabinett einen festen Standpunkt bezogen hat, dass der Premier sagte, der Regierung schlotterten nicht die Knie. Dies ist eine gute Nachricht. Die präzedenzlosen Sicherheitsmaßnahmen sind - meines Erachtens - der Lage angemessen. Ich besuchte soeben das Gebäude des Senders Radio Free Europe/Radio Liberty und machte mich mit den dortigen Sicherheitsmaßnahmen bekannt, die an eine Belagerung erinnern. Sie sind jedoch begründet."
Der Präsident stellte des weiteren u.a. fest, es scheine, dass jetzt in Tschechien alle an einem Strang ziehen würden. Ein so einheitliches Auftreten der politischen Kräfte habe es nie gegeben, meinte Vaclav Havel.
Der Chef der oppositionellen Viererkoalition, Karel Kühnl, sprach sich in einer Fernsehdebatte zu den Militärschlägen gegen die Terroristen aus:
"Ich meine, dass die Welt jetzt aufgewacht ist und die Lehre aus den verschiedenen Aggressionen des 20. Jahrhunderts bereits gezogen hat. Diesmal ist sich die Welt - und ich betone: die"Welt" - darüber bewusst geworden, dass die Teilung der Welt in Ost und West vorbei ist und dass wir alle dieselbe Verantwortung dafür tragen, dass hochentwickelte Waffen nicht in Hände solcher Gruppierung wie der Al Quaida - geraten."
Die bisher für das Völkerrecht präzedenzlose Lage nach den Terroranschlägen in den USA wurde in einem Rundfunkinterview von der Kommentatorin der Tageszeitung Lidove noviny, Petruska Sustrova, erwähnt Sie erklärte, dies sei eine Situation, mit der das Völkerrecht, die Diplomatie sowie die UNO nicht gerechnet hätten. Sie erklärte, sie könne sich nicht vorstellen, wie das Völkerecht mit einem so grausamen Terroranschlag, dessen Opfer die USA waren, umgehen sollte. Zu den Risiken der Militärschläge gegen die Terroristen bemerkte sie:
"Das größte Risiko der Schläge besteht darin, dass sie auch unschuldige Menschen treffen könne. Dies ist sehr traurig. Ich kann mir jedoch nicht vorstellen, wie nicht nur eine Weltmacht - wie die USA, sondern jeder souveräner Staat einen solchen Angriff - wie den vom 11. September - ohne einen sichtbaren Versuch der Bestrafung oder Einschüchterung der Angreifer übergeht. Dies kann ich mir nicht vorstellen. Große Risiken birgt eine eventuelle Operation der Bodentruppen in sich."