Präsidentenwahlen und Präsidenten

In unserem Programm geht es weiter mit dem ersten Geschichtskapitel im neuen Jahr. Da die Wahl eines neuen tschechischen Präsidenten vor der Tür steht, stellt Ihnen Katrin Bock diesmal die bisherigen tschechoslowakischen bzw. tschechischen Staatsoberhäupter vor.

Bald ist es soweit, ein neuer tschechischer Präsident soll gewählt werden. Erst der zweite in der 10jährigen Geschichte der Tschechischen Republik, denn der scheidende Präsident Vaclav Havel war auch der erste Präsident des jungen Staates. Eine 10jährige Ära geht damit zuende, ja sogar 13jährige, rechnet man die Zeit Havels als Präsident der Tschechoslowakei hinzu. Doch einen Rekord stellt Havel mit seinen Amtsjahren unter den tschechoslowakischen Präsidenten nicht auf. Ganze 17 Jahre, von 1918 bis 1935, amtierte der erste tschechoslowakische Präsident Tomas Garrigue Masaryk, 14 Jahre residierte Havels Vorgänger, Gustav Husak, auf der Prager Burg. Weitere Informationen über die insgesamt neun tschechoslowakischen bzw. tschechischen Präsidenten erfahren Sie nach den Klängen der Fanfare, die heute das tschechische Staatsoberhaupt bei feierlichen Anlässen ankündigt:

Der erste tschechoslowakische Präsident war wie gesagt Tomas Garrigue Masaryk. Gewählt wurde dieser am 14. November 1918 von der damals in Prag tagenden revolutionären Nationalversammlung. Der Staat, dessen Oberhaupt er wurde, war gerade drei Wochen alt. Masaryk selbst befand sich zu jener Zeit noch in den USA, wo er sich während des Ersten Weltkriegs für die Entstehung eines selbständigen Staates der Tschechen und Slowaken eingesetzt hatte. In einer Rundfunkansprache zum 10. Geburtstag der Republik im Oktober 1928 umriss Masaryk seine Vorstellung eines demokratischen Staates:

"Unsere Aufgabe ist es, eine demokratische Republik aufzubauen. Die Demokratie ist allerdings nicht nur eine Staatsform, sondern betrifft das gesamte öffentliche und private Leben. Sie ist eine Weltanschauung. Das Wesen der Demokratie beruht auf dem Einvernehmen des Volkes, der Liebe und der Menschlichkeit, auf einer erfolgreichen Innen- und Aussenpolitik. Der Staat ist kein blosser Mechanismus, die Politik nicht nur eine geschickte politische und diplomatische Technik. Der Staat ist eine Vereinigung aller Bürger auf einer vernünftigen und moralischen Basis."

Drei Mal wurde Masaryk wiedergewählt: Damit hält er gemeinsam mit Vaclav Havel einen weiteren Rekord inne. Nach 17jähriger Amtstätigkeit entschied sich der 85jährige Masaryk Ende 1935 zurückzutreten. Sein Nachfolger wurde der damalige Aussenminister Edvard Benes. Mit 51 Jahren ist Benes der jüngste Präsident der Tschechoslowakei bei Amtsbeginn, ein Jahr älter war der erste kommunistische Präsident Klement Gottwald bei seiner Wahl 1948. 53 Jahre alt war Vaclav Havel, als er im Dezember 1989 zum tschechoslowakischen Präsidenten gewählt wurde.

Leicht hatte es Benes während seiner Präsidentschaft nicht. Zweimal trat er zurück. Das erste Mal im Oktober 1938 aus Protest gegen das Münchner Abkommen. Während des Zweiten Weltkriegs setzte sich Benes als tschechoslowakischer Exilpräsident für die Wiedererrichtung seines Heimatsstaates ein. Am 16. Mai 1945 konnte Benes im befreiten Prag seine erste Rede auf Heimatboden nach über sechs Jahren Exil halten:

"Ich und die Regierung kehren nach einem der schrecklichsten Kriege in der Geschichte nun in die Heimat zurück. Die allierten Nationen sind voll des Ruhmes und des Triumpfes. Mit vollem Recht kehren wir in ihre Reihen als siegreiches Volk und siegreicher Staat zurück. Wir waren in grossen Massen Träger, Symbol und Opfer dieses schrecklichen Kriges. In Prag begann der Krieg, in Prag endete er auch."

Zum zweiten Mal trat Benes im Juni 1948 aus Protest gegen die kommunistische Regierung zurück. Seine Rolle bei der Machtübernahme der Kommunisten im Februar 1948 ist bis heute Thema heftiger Diskussionen. Drei Monate nach seinem Rücktritt, am 3. September 1948 verstarb der zweite tschechoslowakische Präsident im Alter von 64 Jahren.

Nach Beness Rücktritt im September 1938 wollte niemand das Amt des Präsidenten übernehmen. Schliesslich liess sich der Präsident des obersten Verwaltungsgerichts, Emil Hacha, von konservativen Politikern überreden. Damit übernahm der 66jährige Jurist eine schwere Aufgabe. Nur vier Monate nach seiner Wahl hörte die Tschechoslowakei auf zu existieren. In der Nacht zum 15. März 1939 verhandelte Hacha in Berlin mit Hitler über die Zukunft seines Landes. Am folgenden Tag teilte er der Bevölkerung das Ergebnis mit:

"Nach längerem Gespräch mit dem Reichskanzler und nach Klärung der Situation habe ich mich entschlossen, zu erklären, dass ich das Schicksal des tschechischen Volkes und Staates in vollem Vertrauen in die Hände des Führers des deutschen Volkes lege."

Sechs Jahre lang war Hacha Präsident des Protektorats Böhmen und Mähren. Nach der Befreiung der Tschechoslowakei im Mai 1945 wurde er verhaftet. Ende Juni 1945 verstarb Hacha in einem Prager Gefängnis. Damit ist er der einzige ehemalige Präsident, der in einem Gefängnis verstarb. Allerdings ist Hacha nicht der einzige Präsident, der im Gefängnis sass. Gustav Husak verbrachte als angeblicher slowakischer Nationalist in den 50er Jahren einige Jahre im Gefängnis - während Husaks Präsidentschaft wiederum sass Vaclav Havel über vier Jahre im Gefängnis ab - das letzte Mal im Frühjahr 1989. Zwei weitere Präsidenten, die Kommunisten Antonin Zapotocky und Antonin Novotny, waren während des Zweiten Weltkriegs in KZs inhaftiert.

Am 14. Juni 1948 wurde der erste Kommunist tschechoslowakischer Präsident: Klement Gottwald eröffnete die Reihe der drei sog. Arbeiterpräsidenten. Am 25. Februar 1948 konnte Gottwald in seiner damaligen Funktion als Regierungschef die Machtübernahme seiner Partei auf dem Prager Altstädterring verkünden:

"Bürger, Bürgerinnen, Genossen, Genossinnen, gerade kehre ich von der Burg, vom Präsidenten der Republik zurück. Heute Morgen habe ich dem Präsidenten meinen Vorschlag zur Lösung der Krise vorgelegt. ... Ich kann Ihnen nun mitteilen, dass der Präsident alle von mir gemachten Vorschläge in der Form, in der sie vorgelegt wurden, akzeptiert hat."

Antonin Zapotocky
Fünf Jahre nach seiner Wahl verstarb Klement Gottwald im März 1953 kurz nach seiner Rückkehr von Stalins Beisetzung in Moskau. Ihm folgten vier weitere kommunistische Präsidenten. Antonin Zapotocky residierte von 1953 bis 1957 auf der Prager Burg. Wie sein Vorgänger Gottwald verstarb auch er während seiner Funktionszeit. Diese zählt ebenso wie die Gottwalds zu den düsteren Kapiteln der tschechoslowakischen Nachkriegsgeschichte. 184 politische Gefangene wurden unter Gottwald hingerichtet, 45 unter Zapotocky. Damals wurde dem sowjetischen Beispiel um jeden Preis nachgeeifert, wie eine Weihnachtsansprache von Zapotocky aus den 50er Jahren Jahre zeigt:

"Die Zeiten haben sich aber geändert. Das Christkind ist gewachsen und alt geworden. Ein Bart ist ihm gewachsen und so wurde aus ihm Väterchen Frost. Längst ist es nicht mehr nackt, sondern trägt einen schönen Pelz. Väterchen Frost kommt aus dem Osten zu uns. Seinen Weg beleuchtet nicht nur ein Stern von Betlehem, sondern viele rote Sterne, die auf unseren Bergwerken, Stahlwerken und Fabriken leuchten."

1957 wurde Antonin Novotny Präsident. Dieser trat aufgrund des Druckes der Bevölkerung während des Prager Frühlings 1968 von seinem Amt zurück. Seine konservativen Ansichten waren mit der Reformbewegung nicht in Einklang zu bringen. Sein Nachfolger wurde General Ludvik Svoboda, zunächst eines der Symbole des Prager Frühlings. Doch der General, der während des Ersten und Zweiten Weltkriegs in Russland bzw. der Sowjetunion gekämpft hatte, enttäuschte nach dem Einmarsch der Warschauer Pakt-Truppen in die Tschechoslowakei im August 1968 viele seiner Fans, denn er beugte sich ohne Widerstand dem Moskauer Diktat. 1975 wurde Svoboda aufgefordert, aus gesundheitlichen Gründen zurückzutreten. Im Amt folgte ihm Gustav Husak. Unter den neun tschechoslowakischen Präsidenten ist er der einzige Slowake. Sein Namen ist ein Synonym für die Zeit der Normalisierung in der Tschechoslowakei, der "langweiligen" 14 Jahre von 1975 bis 1989. Dem bereits schwerkranken Gustav Husak fiel es dann im Dezember 1989 zu, eine neue Regierung zu ernennen, in der Nichtkommunisten die Mehrheit hatten. Kurz darauf trat Husak zurück, um den Platz für einen neuen Präsidenten zu räumen. Am 29. Dezember 1989 wurde Vaclav Havel zum Präsidenten der Sozialistischen tschechoslowakischen Republik gewählt. In seiner ersten Neujahrsansprache erklärte Havel drei Tage später unter anderem:

"Liebe Mitbürger. 40 Jahre lang haben Sie an diesem Tag aus dem Munde meiner Vorgänger in verschiedenen Variationen das Gleiche gehört: dass unser Land blüht, wie viele weitere Millionen Tonnen Stahl wir produziert haben, wie glücklich wir sind, dass wir unserer Regierung vertrauen und welche schönen Perspektiven sich uns eröffnen. Ich nehme an, Sie haben mich nicht für dieses Amt vorgeschlagen, damit auch ich Sie belüge. Unser Land blüht nicht."

Zum Abschluss sei anzumerken, dass alle neun tschechoslowakischen Präsidenten, ob nun Kommunist oder nicht, auf der Prager Burg residierten. Gewählt wurden alle indirekt, d.h. nicht vom Volk sondern vom Parlament. Die Amtszeit betrug in der ersten Republik sieben Jahre, danach fünf Jahre, was die tschechische Verfassung von 1992 übernommen hat. Bis 1935 fand die Wahl des Präsidenten im Parlamentsgebäude statt, dann entschied man sich für die feierlichen Räumlichkeiten des Vladislav-Saals auf der Prager Burg.

Vaclav Havel im 90. Jahren  (Foto: CTK)
Von den neun tschechoslowakischen Präsidenten verstarben zwei während ihrer Amtszeit, drei traten aus verschiedenen Gründen zurück, dreien wurde ein Rücktritt nahegelegt, einer wurde kurz nach Ende seiner Präsidentschaft verhaftet. Betrachtet man Vaclav Havel als Nachfolger der tschechoslowakischen Präsidenten und lässt beiseite, dass er selbst im Sommer 1992 aus Protest gegen die Teilung der Tschechoslowakei zurückgetreten ist, so ist Havel der erste Präsident des Landes, der aus seinem Amte deswegen scheidet, weil die gesetzlich vorgesehene Amtszeit zuende ist. Seine acht Vorgänger haben dies aus verschiedensten Gründen nicht erreicht.