Prag blickt auf die deutsche EU-Präsidentschaft
Mit dem Jahreswechsel um Mitternacht hat Deutschland den Ratsvorsitz in der Europäischen Union übernommen. Während der nächsten sechs Monate gibt also nun Berlin in der EU den Takt an. Über die wichtigsten Punkte im Programm der deutschen Präsidentschaft und über ihre Bedeutung für die Tschechische Republik berichtet Gerald Schubert.
Bis zum ersten regulären EU-Gipfel Anfang März soll der Akzent auf sozial- und wirtschaftspolitischen Fragen liegen, mit einer starken Betonung auf Energiepolitik. Der zweite Schwerpunkt, so Elfenkämper, steht in unmittelbarem Zusammenhang mit einem runden Jubiläum, das Europa dieses Jahr begeht: Ende März wird in Berlin der fünfzigste Jahrestag der Römischen Verträge gefeiert - des Gründungsdokuments der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, die ihrerseits an der Wiege der heutigen EU stand.
"Aus diesem Anlass möchten wir eine Berliner Erklärung verabschieden, in der Europa sich nicht nur selbst feiert - denn die fünfzig Jahre sind natürlich eine Erfolgsgeschichte -, sondern sich auch darüber einig wird, wie es jetzt, im 21. Jahrhundert, mit Europa weitergehen soll. Als Drittes wollen wir dem Auftrag gerecht werden, den wir Ende Juni 2006 unter der österreichischen Präsidentschaft erhalten haben: nämlich einen Fahrplan vorzulegen, wie es mit dem Europäischen Verfassungsvertrag, dessen Ratifizierung ja im Moment gestoppt ist, weitergehen könnte", so Elfenkämper.
Tschechien gehört zu den Ländern, in denen der Verfassungsvertrag bis jetzt nicht ratifiziert ist. Obwohl das Papier bereits von mancher Seite für tot erklärt wurde, sind die Diskussionen darüber hierzulande nie wirklich verstummt, sagt Martina Lustigova, Politologin und Mitarbeiterin der tschechischen Redaktion von Radio Prag:
"Die EU-Verfassung ist für tschechische Politiker eine wichtige Frage. Wir wissen aber noch nicht, welche Regierung es hier bald geben wird, und wie ihr Programm aussehen wird. Was ich aber sagen kann: Die stärkste Partei, nämlich die Demokratische Bürgerpartei (ODS), will die Europäische Verfassung nicht. Für sie ist sie schlicht ein unnötiges Dokument."
Im Gegensatz zur bekannt EU-skeptischen Haltung der größten tschechischen Parlamentspartei zeigen die neuesten Eurobarometer-Umfragen hierzulande aber ein differenzierteres Meinungsbild: Eine knappe Mehrheit der Tschechen ist demzufolge für die Ratifizierung des Verfassungsvertrags. Und sogar zwei Drittel sind der Ansicht, dass Tschechien von der Mitgliedschaft in der Europäischen Union profitiert. Interessant ist außerdem, dass die Tschechinnen und Tschechen durchaus großes Vertrauen in die europäischen Institutionen zeigen: 59 Prozent vertrauen der Europäischen Kommission und sogar 62 Prozent dem Europäischen Parlament. Die Instanzen der heimischen Politik landen da weit abgeschlagen auf den hinteren Plätzen. Martina Lustigova:
"Dabei spielt sicher die politische Pattsituation in Tschechien eine Rolle. Seit mehr als einem halben Jahr gibt es keine stabile Regierung. Viele Leute fragen sich langsam, wofür sie die Abgeordneten eigentlich bezahlen, wenn sie ohnehin nichts zustande bringen. In dieser Situation vertrauen viele wahrscheinlich mehr den übernationalen Institutionen."Möglicherweise sind also die Tschechen weniger europaskeptisch, als man ihnen gemeinhin nachsagt - und auch weniger europaskeptisch als manche ihrer politischen Repräsentanten. Helmut Elfenkämper, deutscher Botschafter in Prag:
"Das heißt aber nicht, dass wir uns nicht weiter bemühen müssen, dem Bürger die Europäische Union wieder näher zu bringen. Der in ganz Europa um sich greifende Skeptizismus und eine gewisse Ermüdung haben sicherlich auch Tschechien nicht ganz unberührt gelassen. Vor diesem Hintergrund ist zum Beispiel die Entscheidung der europäischen Innenminister, die Schengenzone schon ab Ende 2007 auf die kontinentaleuropäischen neuen Mitglieder zu erweitern, eine gute Nachricht. Das ist die Art von Nachrichten, die die Leute brauchen."
In der Tat waren die Reaktionen auf den bevorstehenden Schengen-Beitritt äußerst positiv. Der freie Reiseverkehr über die Binnengrenzen der EU hat sowohl symbolischen als auch praktischen Wert. Bereits in einem Jahr müssen auch die Tschechen keinen Pass mehr vorweisen, wenn sie zum Beispiel nach Deutschland oder Österreich fahren. Das könnte die Sympathiewerte der EU hierzulande durchaus weiter erhöhen, meint Politologin Lustigova:
"Für die tschechische Politik ist das eine Frage des Ansehens. Viele Tschechen fühlen sich heute noch ein bisschen als zweitklassige EU-Bürger. Die tschechische Integration in den Schengen-Raum ist da sicher ein Etappensieg."
Laut Botschafter Elfenkämper zeigen die Tschechen auch großes Interesse daran, wie ein EU-Ratsvorsitz praktisch zu handhaben ist. Kein Wunder: Immerhin muss sich Tschechien langsam aber sicher auf seine eigene Präsidentschaft vorbereiten, die im ersten Halbjahr 2009 auf dem Programm steht. Deutschland bietet entsprechendes Know-how:"Wir haben eine ganze Reihe von Beamten des Außenministeriums aber auch anderer Fachministerien nach Berlin eingeladen, die bei uns hospitieren - zum Beispiel im Bereich Landwirtschaft. Ein weiterer Aspekt ist, dass das Goethe-Institut für tschechische Beamte Deutschkurse organisiert, die auf den speziellen Bedarf der Betreffenden zugeschnitten sind, damit diese ihre Fachsprache im jeweiligen Arbeitsbereich verbessern können", sagt Elfenkämper.
Ende Juni wird Deutschland den EU-Taktstock zunächst an Portugal weiterreichen. Danach sind laut Plan Slowenien und Frankreich an der Reihe. Und bereits nach Paris wird dann zum ersten Mal Prag die zweite inoffizielle Hauptstadt der Europäischen Union sein.