Prag: Metro und Stadtteil Karlín sind Sorgenkinder nach Flutkatastrophe

Stadtteil Karlín

Rund anderthalb Monate nach den verheerenden Überschwemmungen der Moldau im August in Prag hat sich das Leben in den vom Hochwasser betroffenen Stadtvierteln der tschechischen Hauptstadt einigermaßen normalisiert. Mit zwei großen Ausnahmen: dem völlig zerrütteten Stadtteil Karlín im achten Stadtbezirk und der zu einem zweitrangigen Transportmittel degradierten Prager Metro. Über den aktuellen Stand der beiden "Prager Sorgenkinder" informiert Sie Lothar Martin.

Stadtteil Karlín
Die Flutkatastrophe hat in Prag immense Schäden hinterlassen. Allein am Eigentum der tschechischen Hauptstadt wurde bis dato eine Schadenshöhe von 12 Milliarden Kronen (ca. 400 Millionen Euro) registriert. Von dieser Summe entfällt mindestens die Hälfte, nach letzten Angaben rund sechs Milliarden Kronen, auf das zerstörte Streckennetz der Prager Metro. Ein Expertenteam, dass die Ursachen für die zahlreich überschwemmten Metrostationen untersucht, hat inzwischen festgestellt, dass mehrere bauliche Unzulänglichkeiten den derzeit katastrophalen Zustand maßgeblich hervorgerufen haben. So hat sich zum Beispiel herausgestellt, dass Deckel, die die Abwässerkanäle zwischen den einzelnen Stationen im Ernstfall verriegeln sollen, keine metallene Versteifung aufwiesen und damit den Wassermassen nicht standhalten konnten. Der Grund, warum das in die am tiefsten gelegenen Metroschächte der Trasse B eingedrungene Hochwasser auch die höher gelegene Trasse A zum Teil überflutete, war u.a. der, dass der Verbindungsgang zwischen beiden Trassen in der Umsteigestation Mustek nicht wie im Projekt vorgesehen aus Stahlbeton, sondern aus Ziegeln errichtet wurde. Polizei und Staatsanwaltschaft prüfen nun, ob die baulichen Verfehlungen durch eine Änderung des Projekts, eine unsachgemäße Umsetzung des Projekts oder durch spätere schlecht durchgeführte Baumaßnahmen verursacht wurden. Da die Metroanlagen im Prager Stadtzentrum vornehmlich in den 70er Jahren gebaut wurden, ist das sicher eine nicht ganz leichte Aufgabe.

Nicht minder arg hat es auch den Stadtteil Karlín erwischt. Mitsamt des angrenzenden Stadtviertels Liben wurden hier nicht weniger als 1100 Häuser überschwemmt. Unmittelbar nach der Flut waren hier drei Häuser eingestürzt und weitere drei stehen wegen ihrer statischen Instabilität kurz vor dem Abriss. Und die Angst geht weiter. Am Dienstag mussten die Bewohner der Häuser in der Thámova-Straße 17 und 19 bereits das zweite Mal evakuiert werden. Den Grund dafür nennt der Bürgermeister des achten Stadtbezirks, Josef Nosek: "In den Kellern diese Häuser sind Risse entdeckt worden. Ob ähnliche Feststellungen noch auf weitere Häuser zutreffen, kann ich im Moment nicht sagen, aber es besteht nicht die unmittelbare Gefahr, dass diese Häuser einstürzen könnten."

Angesichts dieser unsicheren Konstellation nimmt es nicht Wunder, dass viele Einwohner von Karlín bis heute noch nicht ihn ihre Wohnungen zurückgekehrt sind, obwohl der Strom im gesamten Viertel und die Gaszufuhr zumindest in einigen Straßenzügen den Haushalten schon wieder zur Verfügung stehen, wie Bürgermeister Nosek versichert. Zur Zeit besteht der Teufelskreis, dass sich Händler und Gewerbetreibende nicht wieder in Karlín ansiedeln wollen, weil die Kunden fehlen und die Einwohner nicht zurückkommen, weil es kaum Geschäfte gibt, die betrieben werden. Aus diesen Gründen hegt Bürgermeister Nosek zunehmend die Befürchtung, dass Karlín verwahrlosen und zu einem finsteren und von Kriminalität gezeichneten Stadtteil herunter kommen könnte. Daher fand am Mittwoch in Prag ein Konzert zur Unterstützung der Erneuerung des Stadtteils Karlín statt, bei dem zahlreiche populäre Künstler und Musiker auftraten. Das Konzert sollte den Einwohnern von Karlín wieder etwas Lebensmut einflößen, sagte Nosek. In dessen Vorfeld hatte der Bürgermeister bereits erklärt: "Das ist ein Konzert, das mithelfen soll, Karlín wieder dahin zu bringen, wo der Stadtteil einmal war. Der Stadtteil Karlín hat seine eigene Note, sein Flair, und wir alle wären sehr zufrieden, wenn er dies zurückerhalten könnte. Und ich wäre sehr unglücklich, wenn wir hier stattdessen ein neues Manhattan oder ein neues Bronx erhalten würden."