Prager Jesulein und Polyxena von Lobkovic

Prager Jesulein

Herzlich willkommen, liebe Hörerinnen und Hörer, zur heutigen Ausgabe des Spaziergangs durch Prag. Wie immer im jeweils letzten Spaziergang im Monat möchten wir ihnen auch heute eine berühmte Frauenpersönlichkeit vorstellen, die mit der tschechischen Metropole verbunden ist.

Prager Jesulein
Der namhafte französische Dichter Paul Claudel spricht in seinem Gedicht über das Prager Jesulein, das so lieb in seinem feierlichen Mantel herunter schaut, majestätsvoll unter dem großen goldenen Hut - zum Schutz der Kleinen, die ihm vertrauen... Claudel war nicht der einzige, der durch diese Jesuskindfigur bezaubert war. Das Prager Jesulein erinnert heute - wie Kunsthistoriker Jan Royt schrieb - an das magische Prag Rudolfs II., damals befand sich das Jesulein jedoch noch nicht in der Kirche Santa Maria de Victoria, wie jetzt. Denn diese Kirche entstand später, als das berühmte Jesulein nach Böhmen gebracht worden war.

Die Maria Victoria-Kirche war der erste Bau, mit dem sich der Barockstil in Prag durchzusetzen begann, und es ist ein Paradox, dass sie ursprünglich deutschen Lutheranern gehörte. Sie wurde in den Jahren 1611-1613 erbaut und hieß zur Heiligen Dreifaltikgkeit. Später sollte die Kirche eben dank dem Prager Jesulein zum Zentrum des katholischen Glaubens in Böhmen werden. Der Ursprung der kleinen Jesufigur ist nicht ganz klar. Sie stammt höchstwahrscheinlich aus einem Kloster zwischen Cordoba und Sevilla und ist eine Kopie der dortigen Jesusplastik. Diese ist mit der folgenden Legende verbunden:

Am Ende des 11. und am Anfang des 12. Jahrhunderts wüteten in Spanien Kämpfe zwischen den christlichen Herrschern und den Mauren. In ein von den Mauren ausgeplündertes Kloster am Fluss Guadalquivir sind vier Mönche zurückgekehrt, einer davon soll Josef geheißen haben. Dieser Mönch hat vor allem das Kind Jesu und die heilige Familie von Nazareth hoch geehrt. Ihm soll ein schönes Kind erschienen seien, das ihn zum Gebet aufforderte. Als er während des Gebets das Wort Jesus aussprach, soll das Kind gesagt haben: "Das bin ich!" Danach verschwand es. Der Mönch sehnte sich sehr danach, das Kind noch einmal zu sehen und versuchte, sein Antlitz aus Wachs zu formen. Mit seinem Werk war er jedoch nicht zufrieden. Erst als Mönch Josef sehr alt war, erschien das Kind noch einmal und soll ihm gesagt haben - es sei aus dem Grund erschienen, damit er die Plastik vollenden könnte. Mönch Josef beendete seine Arbeit an der Jesusplastik. Kurz danach starb er. Soweit die Legende.

Nach Meinung der Kunsthistoriker ist die Plastik jedoch erst viel später entstanden. Eine Kopie der erwähnten Jesusfigur bekam vom Kloster im 16. Jahrhundert dona Isabela Manrique de Lara y Mendoza. Unter der Regierung von Kaiser Maxmilian und Rudolf II.. haben viele tschechische katholische Adelige ihre Braut in Italien und in Spanien gesucht. So hat sich auch Vratislav von Pernstejn, der in Maxmilians Diensten durch Europa reiste, um die Tochter der erwähnten dona Isabela beworben. Die Tochter Maria bekam als Mitgift die Jesuleinfigur und brachte sie mit nach Böhmen.

Vratislav von Pernstejn hatte mit seiner spanischen Gattin Maria insgesamt zwanzig Kinder, von denen nur zwei Söhne und fünf Töchter das Erwachsenenalter erreichten. Am berühmtesten von ihnen ist die Tochter Polyxena geworden, die 1566 zur Welt kam und auf dem Schloss in Litomysl aufwuchs. Sie beherrschte mehrere Sprachen und interessierte sich schon früh für Kultur. Als sie 16 war, starb ihr Vater, die Mutter führte jedoch weiterhin ein glanzvolles Leben in Litomysl sowie in dem Pernstejn-Palais auf dem Hradschin in Prag. Haus Pernstejn wurde zum einem attraktiven Gesellschaftszentrum.

Mit 20 Jahren heiratete Polyxena den reichsten Herrn im Land, den viel älteren und damals schon kranken Vilem von Rozmberk, der ein Freund ihres verstorbenen Vaters war. Die junge Frau ist damit zur ersten Dame im Königtum geworden. Sie hielt sich meistens im Schloss in Roudnice, das ihr Gatte Vilem kurz davor vom König erhalten und für Polyxena besonders geschmackvoll eingerichtet hat. 1592 starb ihr Mann und Polyxena erbte seine Güter, sie liebte vor allem Roudnice, wo sie nun selbständig herrschen konnte. Die junge Witwe reiste jedoch oft auch nach Prag, und zu der Zeit ist das Palais Pernstejn zu einer Art gesellschaftlichen Salon geworden und spielte eine wichtige Rolle auch in der Politik. Es wurde dort über die Pläne des katholischen Adels, über die Frage von Rudolfs Nachfolger diskutiert. Bei Pernstejns trafen alle namhafte Persönlichkeiten vom Prager Hof zusammen.

Unter den zahlreichen Bewerbern um Polyxenas Hand war der um zwei Jahre jüngere oberste böhmische Kanzler, Zdenek Vojtech von Lobkovic, am erfolgreichsten. Sie heirateten auf der Prager Burg am 23. November 1603. Sie waren beide überzeugte Katholiken und bemühten sich den katholischen Glauben in Böhmen zu fördern. Lobkovic setzte sich dafür direkt in der böhmischen Kanzlei ein, und seine Polyxena soll ihn in allen ernsthaften Angelegenheiten beraten haben. Aus den Fenstern der Kanzlei auf der Prager Burg konnte man direkt in Frau Polyxenas Zimmer im gegenüberstehenden Lobkovic-Palais sehen.

Frau Lobkovic besuchte auch weiterhin Litomysl, wo sie den minderjährigen Neffen Vratislav vertrat. Es ist bewundernswert, wie sie den Geschmack einer Renaissance-Dame mit der Weisheit einer böhmischen Hausfrau verbinden konnte. Sie kannte sich gut in ökonomischen Angelegenheiten aus, sodass sie trotz erheblicher Repräsentationskosten und unzähliger Spenden für kirchliche Zwecke, noch Geld sparte, um neue Güter kaufen zu können. Zu den besten Freunden der Lobkovic gehörten z.B. Martinic, Slavata und andere führende Vertreter der katholischen Kreise in Böhmen. Erst 1609 kam Polyxenas ersehntes Kind - der Sohn Vaclav Eusebius - zur Welt.

Als es am 23. Mai 1618 zu dem zweiten Prager Fenstersturz kam, griff Polyxena in Abwesenheit ihres Mannes in die Ereignisse als eine entschiedene Gegnerin der aufständischen böhmischen Stände ein. Sie sah den Fenstersturz, bei dem die königlichen Statthalter und ihr Sekretär aus dem Fenster der Kanzlei rausgeworfen wurden, aus dem Fenster ihres Palastes und nahm sich ihrer Freunde Martinic und Slavata ein. Martinic flüchtete selbst in ihr Haus und versteckte sich dort, um den verletzten Slavata ließ Polyxena in ihren Palast bringen. Vor den Aufständischen hat sie geleugnet, dass sie die beiden Statthalter in ihrem Haus versteckte. Es gelang ihr bald, zu ihrem Mann nach Wien zu flüchten.

Nach dem Sieg der Habsburger erreichte Polyxenas Ruhm den Höhepunkt. Ihr Mann wurde u.a. mit Goldenen Fliesorden ausgezeichnet, er nutzte jedoch nicht - wie viele andere die Gelegenheit aus, dank den nach den nichtkatholischen Aufständischen konfiszierten Gütern reicher zu werden. Seiner Frau gelang es, die Macht sowie den Ruhm ihrer Pernstejn-Vorfahren wieder zu beleben. Sehr großzügig förderte sie die Kirche - in Roudnice stiftete sie z. B. ein Kapuzinerkloster und errichtete dort auch eine Druckerei. Das berühmteste von allen ihren Geschenken und Spenden ist jedoch die Figur des Jesuskindes aus Wachs, die sie 1628, als ihr Mann starb den Unbeschuhten Karmelitern für die Maria Victoria-Kirche schenkte.

Frau Polyxena gehörte zu denjenigen adeligen Damen, die sich für die damals verfolgten Familien einsetzten. Im Archiv in Roudnice gibt es viele Bittschreiben, die vor allem von Frauen an Polyxena adressiert wurden. Dank ihrem Einfluss sind einige zum Tode Verurteilte - wie z. B. Vaclav Stastny Petipesky - gerettet worden. Andere - wie Pavel von Ricany oder Jan Ostrovec wurden freigelassen und mussten nicht so hohe Geldstrafen erstatten, wie ursprünglich gefordert wurde. Polyxena von Lobkovic starb 1642 in Prag.

Dank dem Jesulein, das sie den Karmelitern schenkte, ist deren Kirche bald zum Wallfahrtsort geworden. Der Ruhm der Figur ist schon einige Jahre nach dem Tod deren Spenderin Polyxena von Lobkovic - am Ende des dreißigjährigen Krieges gestiegen. Das Jesulein soll der Stadt eine Pestepidemie erspart haben sowie die Zerstörung im Siebenjährigen Krieg. Kaiserin Maria Theresia soll für das Prager Jesulein ein Gewand aus grünem Samt genäht haben. Die Figur bekam Votivgaben von großer Kostbarkeit. Die silberne Vitrine um das Kind schuf 1741 der Kleinseitner Goldschmied Jan Pakeni.