Anna Lauermannová und ihr literarischer Salon
Von Martina Schneibergova.
Das nicht besonders auffällige Haus auf dem Jungmann-Platz im Prager Stadtzentrum ist im allgemeinen Bewusstsein der Bewohner der tschechischen Metropole mit der Persönlichkeit von Josef Jungmann, dem namhaften tschechischen Linguisten und führenden Vertreter der so genannten nationalen Wiedergeburt des 19. Jahrhunderts verbunden. Der Platz, auf dem das Haus steht, trägt übrigens den Namen dieses herausragenden Wissenschaftlers. Für Kenner der tschechischen Literatur ist das Haus jedoch noch mit einer beachtenswerten Frauenpersönlichkeit eng verbunden, die wir Ihnen in der heutigen Folge unserer Sendereihe über berühmte Frauenpersönlichkeiten der tschechischen Metropole vorstellen möchten.
Anna Lauermannova, geb. Mikschova ist in vielerlei Hinsicht eine interessante Persönlichkeit. Sie stammte aus einer Prager Patrizierfamilie. Ihr Vater war mit vielen bedeutenden Persönlichkeiten seiner Zeit in Kontakt, vor allem mit dem Politiker Frantisek Ladislav Rieger. Dank dem Vater lernte Anna Marie Cervinkova-Riegrova kennen, die zu ihrer lebenslangen Freundin wurde, auch wenn die beiden Frauen eigentlich sehr unterschiedlich waren. Anna war für die damalige Zeit allzu freimütig und temperamentvoll. Sie erlaubte sich auch etwas, was damals gar nicht üblich war, als sie sich verhältnismäßig bald nach ihrer Heirat scheiden ließ. Da ihr Mann Enkelsohn des hochgeehrten Josef Jungmann war, hatte Annas Tat schon einen Beigeschmack von Skandal. Anna wusste sich in dieser Situation Rat. Die Historikerin Pavla Vosahlikova bemerkte:
"Anna Lauermannova entschied sich, nach der Scheidung mit ihrer Tochter für einige Jahre nach Italien zu reisen, damit sich die tschechische Gesellschaft von dem Schock erholen konnte, dass sich eine junge Frau aus den besten Kreisen erlaubte, ihre Ehe zu beenden. In ihren Memoiren erinnert sich Anna daran, wie unvorbereitet damals die Mädchen heirateten. Sie wurden in einem romantischen Geist ohne reale Informationen erzogen. Dies führte ihrer Meinung nach oft dazu, dass die Ehen kaputt gingen, auch wenn die Partner offiziell nicht geschieden waren. Dies zeugt von Annas Temperament."
Als Anna Lauermannova aus Italien zurück nach Prag kam, war sie etwa 30 Jahre alt und suchte nach einer neuen Verankerung in der Prager Gesellschaft. Die Familie des führenden tschechischen Politikers Frantisek Ladislav Rieger regte sie dazu an, einen literarischen Salon zu errichten, der ihr eine Art gesellschaftliche Genugtuung bieten würde. Dazu die Historikerin:
"Sie setzte diese Idee in die Tat um. Der Salon stand dann ihr ganzes Leben lang im Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit. Ihre Freunde trafen entweder in dem berühmten Haus der Familie Jungmann zusammen, wo sie wohnte, da sie trotz ihrer Scheidung gute Beziehungen zu der Familie hatte. Oder in der Sommersaison fanden diese literarische Treffen in Annas Villa im heutigen Stadtteil Liboc statt. Über das Haus der Jungmann-Familie kann man in den Erinnerungen vieler Literaten lesen. Die um eine Generation jüngere Marie Strettiova erinnert sich an das Haus, wo bedeutende Persönlichkeiten des tschechischen Kulturlebens entweder bei der "oberen Tante" oder der "unteren Tante" zusammenkamen. Die oben wohnende Tante war eben Anna Lauermannova, unten wohnte eine ihrer Verwandten. Die Begegnungen fanden abwechselnd bei den beiden Damen statt."
Die Idee, einen literarischen Salon zu gründen, stammte - wie gesagt von F.L. Rieger. Nach seinen Vorstellungen sollte es sich jedoch aus dem Aspekt der politischen Orientierung der tschechischen Gesellschaft um einen Salon der sogenannten "Alttschechen" handeln. Annas Temperament entsprach aber nicht so sehr den Vorstellungen der Alttschechen. Der Salon war nicht politisch, sondern literarisch. Worin besteht dessen Einzigartigkeit? Pavla Vosahlikova meint:
"Das Außerordentliche an dem Salon war die Tatsache, dass er eine unglaublich lange Zeit überlebte. Die erste Etappe stellen die Jahre der Errichtung und Entwicklung des Salons dar - das war in den 80er und 90er Jahren des 19. Jahrhunderts. Damals trafen dort Schriftsteller und Dichter - wie Julius Zeyer, Jaroslav Vrchlicky, Josef Vaclav Sladek - zusammen. Mit dem Salon konkurrierte ca. zehn Jahre später der von der Autorin Ruzena Svobodova errichtete literarische Salon. Die beiden Damen haben einander nicht gerade geliebt, so dass diejenigen, die den Salon von Anna Lauermannova besuchten, den Salon von Svobodova nicht betraten. Svobodova und ihre Freunde hielten die Unterhaltung in dem anderen literarischen Salon für wenig seriös und kritisierten z. B. die Tatsache, dass dort - ihrer Meinung nach - bedeutende Vertreter des tschechischen Kulturlebens karikiert wurden. Eine Spezialität des Salons waren nämlich verschiedene kleine improvisierte Theaterstücke, wo z. B. tschechische Vertreter wegen mangelnden Tschechisch-Kenntnissen verspottet wurden."
Der literarische Salon von Anna Lauermannova überlebte auch den Ersten Weltkrieg und war auch nach dem Ersten Weltkrieg für interessierte kreative junge Menschen offen. Auch wenn Anna Lauermannova damals schon als "Oma" bezeichnet wurde, fühlte sie sich geistig immer noch jung. In dieser Zeit wurde ihr Salon von den jungen Brüdern Karel und Josef Capek besucht. Die jungen Menschen schätzten an ihrer Gastgeberin insbesondere ihren Sinn für Humor. In wie weit er in ihren literarischen Werken enthalten ist - dazu noch einmal Pavla Vosahlikova:
"Leider gelang es ihr nicht, den Humor, den Zauber, den sie während der Kommunikation ausstrahlte, in ihren Büchern einzufangen. Ihre Werke veröffentlichte sie unter dem Pseudonym Felix Tever - also unter einem Männernamen. Dies zeugt von der Zeit, in der sie sich bemühte, sich auf dem literarischen Markt durchzusetzen. Auch wenn gerade tschechische Schriftstellerinnen zu denjenigen gehörten, die sich ihren Platz in der Sonne zu verteidigen wussten, hatte Lauermannova Recht, wenn sie meinte, dass sie als Autor mehr Chancen als eine Autorin hatte. Sie schrieb auch Theaterstücke, die damals in Prag aufgeführt wurden. Ihr literarisches Schaffen hat sie selbst nicht überschätzt. Aus ihren Erinnerungen geht hervor, dass sie sich nur für "eine begeisterte Amateurin" hielt. Eigene Bücher stellten für sie eine Genugtuung dar und verliehen ihr das Gefühl der Nützlichkeit. Anna Lauermannovas Hauptrolle besteht darin, dass sie das Gesellschaftsleben in Prag im letzten Viertel des 19. und im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts organisierte. Wer kann schon so etwas von sich behaupten?"