Prager Staatsarchiv präsentiert "Das Geheimnis des Paravents des Thronfolgers"

Foto: Autorin

Obwohl es auf den ersten Blick nicht so erscheint, kann die Arbeit eines Archivars manchmal auch höchst spannend sein, insbesondere dann, wenn es gelingt, bislang unbekannte Tatsachen über das Leben einer berühmten historischen Persönlichkeit zu entdecken. Dies gelang vor kurzem einigen Mitarbeitern des Staatlichen Regionalarchivs in Prag, als sie das Geheimnis der spanischen Wand des habsburgischen Thronfolgers Franz Ferdinand d´Este entschlüsselten. In das Staatsarchiv in Prag-Chodovec lädt Sie Martina Schneibergova im folgenden "Spaziergang durch Prag" ein.

Die Persönlichkeit des habsburgischen Thronfolgers Franz Ferdinand d´Este zieht immer noch die Aufmerksamkeit der Historiker sowie der Öffentlichkeit auf sich. Auch wenn es fast unmöglich scheint, heute noch etwas Neues über den ermordeten Erzherzog zu entdecken, ist dies einigen Mitarbeitern des Staatlichen Regionalarchivs in Prag gelungen. Diejenigen von Ihnen, verehrte Hörerinnen und Hörer, die das unweit von Prag gelegene Schloss Konopiste / Konopischt bereits einmal besucht haben, wissen, dass Franz Ferdinand d´Este ein leidenschaftlicher Sammler von Jagdtrophäen sowie von Kunstgegenständen verschiedener Art war. Es scheint jedoch, dass der Erzherzog auch ein großer Ansichtskartensammler war. Zu diesem Schluss kam Borivoj Indra mit seinen Mitarbeitern vom Staatsarchiv. Die Ergebnisse ihrer Forschungsarbeit präsentieren die Archivare zurzeit in einer Ausstellung, die unter dem Titel "Das Geheimnis des Paravents des Thronfolgers" in dem modernen Archivareal im vierten Prager Stadtbezirk zu sehen ist. Durch die Ausstellung begleitete mich Borivoj Indra. Am Anfang sei, so der Archivar, eine bunte spanische Wand - die auch Paravent genannt wird - gewesen. Sie war mit zahlreichen Ansichtskarten beklebt, die an den Thronfolger Franz Ferdinand d´Este adressiert waren. Dies hat man aber Jahre lang nicht geahnt, betont Borivoj Indra:

Borivoj Indra  (Foto: Autorin)
"Es geht um 337 Ansichtskarten aus den Jahren 1896 bis 1904. Sie stammen also aus einer der schwersten Lebensetappen des Thronsfolgers."

Dass Franz Ferdinand ein passionierter Sammler von Jagdtrophäen und Kunstwerken war, dass wissen die Leute, aber über diese Vorliebe für Ansichtskarten wusste man bislang nichts, oder?

"Ja, genau. Für uns war das eine große Überraschung, denn niemand wusste, dass eine solche Sammlung existiert. Es war verständlich, denn die Ansichtskarten wurden mit der Adressenseite auf die spanische Wand geklebt."

Wie kommt es, dass sich ein solches ein wenig kurioses Möbelstück - wie der bunte Paravent - im Staatsarchiv befand?

Foto: Autorin
"Daran erinnere ich mich ganz gut. Im Jare 1958 haben die Archivare im Archivmagazin in Konopiste eine spanische Wand - den so genannten ´Paravent´ - gefunden. Er lag hinter einem Archivregal, und wir wussten gar nicht, worum es sich handelte. Der Paravent lag dort weitere vierzig Jahre."

Die Schlossverwaltung interessierte sich für so ein Möbelstück nicht, weil es wahrscheinlich kein Kunststück war, nicht wahr?

"Genau. Denn es handelte sich um rot gefärbte Latten, amateurhaft zusammengebastelt, mit diesen Ansichtskarten. Vor einigen Jahren haben wir die Archivdokumente aus Konopiste nach Prag gebracht. Es stellte sich dabei die Frage, was soll mit dem Paravent geschehen. Wir ließen die Ansichtskarten in unserer Restaurierungswerkstatt von der Wand abnehmen."

Erst dann haben sie gesehen, dass die Karten einen einzigen Adressaten haben?

"Ich muss sagen, dass es gar nicht einfach war, die Ansichtskarten zu restaurieren. Man arbeitete daran in der Werkstatt ein Jahr lang. Aber sofort haben wir erkannt, dass es sich um eine Sammlung handelt, die dem Thronfolger gehörte. Die Adresse lautete meistens: An Seine k. u. k. Hoheit, Erzherzog Franz Ferdinand d´Este. Aber manchmal wurde die Karte dem Graf von Artstetten geschickt - das war ein Pseudonym des Thronfolgers."

Wurden die Karten alle nach Konopischt geschickt oder auch in andere Städte?

"Das ist auch ganz interessant: Im Prinzip wurde der Großteil nach Konopischt adressiert, aber oft geschah, dass der Erzherzog beispielsweise in Wien oder auf einer offiziellen Reise weilte, und dann hat die Post die Ansichtskarten an den bestimmten Ort geliefert."

Für Sie und ihre Mitarbeiter begann nun die Arbeit, das, was von den Texten noch übrig blieb, zu entziffern...

"Manchmal war es sehr problematisch. Denn der Großteil der Texte war nur schwer zu lesen. Wir benutzten auch spezielle optische Methoden, um die Mitteilungen zu lesen. Nicht immer war es einfach, den Absender zu identifizieren."

Foto: Autorin
Gab es unter den Absendern auch bekannte Namen der damaligen Gesellschaft?

"Nach einer gründlichen und schwierigen Bearbeitung der Texte kamen wir zum Schluss, dass unter den Verfassern die Spitzen der damaligen hohen Gesellschaft waren: Kaiser Wilhelm II., die beiden Brüder des Erzherzogs Franz Ferdinand - Erzherzog Otto und Ferdinand Karl, alle drei Schwestern, Stiefmutter Erzherzogin Maria Theresia, Herzog Albrecht von Württemberg, Kaisers Tochter Maria Valeria sowie eine Gesellschaft von jungen, schönen Adeligendamen:"

Wie konnten Sie erkennen, dass es junge schöne Damen waren?

"Wir verfügen auch über einige Fotografien, nach denen wir einige dieser Absenderinnen identifiziert haben. In der Ausstellung können die Besucher einige der Damen auf den Bildern sehen."

Diese Korrespondenz stammt aber aus der Zeit, bevor Franz Ferdinand geheiratet hat, oder?

"Ja. Diese Korrespondenz mit jungen Frauen endet im Jahr 1899."

Foto: Autorin
Findet man in diesen Texten auch eventuelle bestimmte Anspielungen an die hohe Politik?

"Der hohen Politik wurde auf den Ansichtskarten wenig Raum gewährt. Dennoch kann man auch da bestimmte Reaktionen auf politische Ereignisse entdecken. Beispielsweise gibt es da eine Karikatur der englischen Königin Viktoria mit einer Notiz von Erzherzog Otto: ´Die Geliebte von Golu...´ Das bedeutete ´die Geliebte von Agenor Goluchowski´, der damals österreichischer Außenminister war. Erzherzog Franz Ferdinand konnte ihn nicht leiden."

Konnten Sie in den Texten auch etwas über das Leben des Thronfolgers erfahren, was man bislang nicht geahnt hatte?

Foto: Autorin
"Meinen Sie diese Korrespondenz mit Frauen? Man kann sagen, dass unter diesen Frauen mindestens drei Damen waren, die den Vornamen Sophia hatten. Dieser Name spielte zweifelsohne eine große Rolle im Schicksal des Thronfolgers. Die erste war Sophia, Gräfin von Chotek - von der späteren Gattin des Erzherzogs haben wir nur zwei Ansichtskarten in der Sammlung. Die zweite Dame war Sophia, Gräfin von Pückler-Limburg, die mit elf Ansichtskarten vertreten ist. Und drittens gibt es in der Sammlung 25 Ansichtskarten von Sophia - der so genannten ´Zosia´- der Gräfin von Zamoyska. Man kann sagen, dass die zuletzt genannte Dame eine bislang nicht bekannte, aber wichtige Rolle als eine nahe Freundin des Erzherzogs bis 1899 spielte."

Haben sie auch Pseudonyme benutzt oder war diese Korrespondenz offen?

"Nein, die Korrespondenz war ein wenig chiffriert. Gräfin Pückler schrieb eine Ansichtskarte beispielsweise in der Spiegelschrift. Das ist auch nicht ganz leicht zu lesen. Noch weniger verständlich waren unter anderem bestimmte Ausdrücke - wie z. B. ´das grüne Buch´. Das waren Schlüsselwörter, die Sophia Zamoyska benutzte. Nach längeren Versuchen, diese Begriffe zu verstehen, entdeckten wir, dass mit dem grünen Buch der Erzherzog persönlich gemeint wurde."

Foto: Autorin
Die Ausstellung zeigt jedoch nicht nur die Ansichtskarten, sondern präsentiert auch andere Gegenstände und Dokumente...

"Wir wollten die Ausstellung nicht nur auf die Ansichtskartensammlung beschränken. Wir bemühten uns, ein bunteres Bild der Jahrhundertwende zu vermitteln. Im Ausstellungsraum hört man Wiener Walzer, alte Polkas sowie österreichische Militärmärsche."

Kommt es oft vor, dass ein Archivar eine derartige Entdeckung macht oder ist es ein Ausnahmefall?

"Ich kann sagen, dass es für uns die Freude des Entdeckens darstellte. So eine Freude erlebt man einmal, zweimal und wenn man Glück hat, vielleicht dreimal im Leben."

Die Ausstellung der unbekannten Ansichtskartensammlung des Erzherzogs aus den Jahren 1896-1904 ist im Gebäude des Nationalarchivs in Prag 4 bis zum 10. März zu sehen.

Foto: Milos Klimes

Der Erzherzog und seine Frau, Gräfin Sophia Chotek, wurden in Sarajevo ermordet. Wenn Sie wissen, wann das Attentat auf den Thronfolger verübt wurde, können Sie es uns schreiben. Denn so lautet die heutige Quizfrage zur Sendung. Ihre Zuschriften richten Sie, bitte an Radio Prag, Vinohradska 12, 120 99 Prag 2, Tschechien. Aus den richtigen Antworten werden wir in vier Wochen einen CD-Gewinner oder Gewinnerin auslosen.