"Prazsky denik" - Leser machen Zeitung

Photo: archive of Radio Prague

Wie bringt man eine neue Tageszeitung in dem dicht gedrängten Medienmarkt an den Mann und die Frau? Die neue Regionalzeitung für Prag, der "Prazsky denik", hat sich ein besonderes Konzept überlegt und lässt seine Redakteure und Reporter in die einzelnen Stadtteile ausschwärmen. Dort suchen sie nicht nur neue Leser, sondern auch neue Themen und Autoren, so genannte "Leser-Reporter". Christian Rühmkorf ist ihnen in den Stadtteil Cerny Most gefolgt.

Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag
An der Prager Metro-Station "Rajska Zahrada" ist eine kleine Bühne aufgebaut. Mädchen in Schützenvereinsuniformen und Girls in Rapperklamotten tanzen. Eine Moderatorin führt durch das Programm. Drum herum mehrere Stände und Zelte. Weiß auf blauem Grund steht überall "Prazsky denik" - die Prager Tageszeitung. Der Prazsky denik ist die zentrale Redaktion für ein Netz von 73 tschechischen Regionalzeitungen, die dem deutschen Verlag "Passauer Neue Presse" gehören. Auf dem tschechischen Markt heißt der Verlag Vltava-labe-Press. Im Jahre 2006 hat sich der Eigentümer dieser Tageszeitungen für ein neues, ein einheitliches Konzept für alle regionalen Tageszeitungen entschieden, mit einer Zentralredaktion in Prag - dem "Prazsky denik". Auf dem Prager Zeitungsmarkt ein Neuling, der eine Lücke in der regionalen Berichterstattung für Prag füllen möchte. Die Aktion "Den s denikem" an der Metro-Station ist nicht nur Marketing, sondern auch ein journalistisches Konzept, wie Michal Hrbek, der stellvertretende Chefredakteur des "Prazsky denik" erklärt.

"´Den s denikem´ ist eine ziemlich komplexe Angelegenheit, die wochenlang vorbereitet wird. Jeder Aktion dieser Art geht eine genaue Untersuchung voraus. Das sieht so aus, dass ein Redakteur und ein Fotograf in den betreffenden Stadtteil gehen und die Menschen dort ansprechen, sie fragen, was sie in ihrem Umfeld bedrückt, was sie stört und was sich ändern sollte. Auf der Grundlage dieser Umfrage machen wir uns an die Recherche zu den wichtigsten Problemen. Und dann wenden wir uns an die Leute, die in den entsprechenden Funktionen sitzen, um solche Probleme zu lösen, also Bürgermeister, Polizeibeamte usw. Die werden dann zu unserer Aktion eingeladen, um von Angesicht zu Angesicht den Bürgern Rede und Antwort zu stehen."

Ich habe zu mir ins Studio die Ideengeberin dieses Konzeptes, die Chefreporterin des Prazsky denik, eingeladen: Bara Prochazkova, die vor einiger Zeit noch eine Redaktionskollegin bei Radio Prag war.

Bara Prochazkova  (Foto: Autor)
"Guten Tag."

Der Pazsky denik, die Prager Variante des Denik, hat sich eine neue Marketing-Aktion ausgedacht. Der "Prazsky denik" tritt an die Leute heran, geht unter die Menschen mit der Aktion "Den s denikem" - der Tag mit dem Denik. Was ist das? Was erwartet die Leute, wenn sie am Stand des "Prazsky denik" vorbeikommen?

"Wir sind an 410 Orten in der ganzen Republik. In Prag betrifft das 30 Stadtteile. Und wenn die Menschen vorbeikommen, erwartet sie viel Musik, viel Spaß, wir haben Kinderprogramme und Kinderwettbewerbe. Für Ältere haben wir Vorstellungen von verschiedenen Tanzgruppen, die den ganzen Nachmittag begleiten. Aber vor allem erwartet die Leute eine politische Diskussion - eine Diskussion zu dem Thema, das die Leute in ihrem Stadtteil am meisten betrifft."

Es sind im Grunde zwei Dinge, die der "Prazsky denik" als Novum im Zeitungswesen eingeführt hat: Das ist einmal diese Form von Marketing und zum anderen ist es ein so genannter Blog. Den kennen die Menschen bisher nur aus dem Internet. Was muss man sich unter einem Blog vorstellen, der tatsächlich in einer Zeitung gedruckt wird?

"Die Idee dahinter ist, die Menschen an die Zeitung zu binden, ihnen tatsächlich die Möglichkeit zu geben, dass sie selber die Zeitung schreiben. Und wir wollten die Leute fragen, was sie in der Zeitung haben wollen. Das heißt sie schreiben eigene Beiträge, wie zum Beispiel Kommentare zum aktuellen Geschehen oder Rezensionen zu Kulturveranstaltungen, wenn sie zum Beispiel ins Theater gehen. Sie haben einen anderen Blick auf die Dinge als zum Beipiel ein Kulturredakteur. Die Leute haben auch tagtägliche Probleme. Zum Beispiel mit einem Beamten. Sie gehen jeden Tag auf die Behörde und kommen in der Sache nicht weiter. Es gibt im Fernsehen viele Programme, die sich damit beschäftigen große Probleme der Menschen zu lösen. Es gibt aber auch kleine Probleme, die für das Fernsehen zu unbedeutend sind."

´Tag mit dem Denik´  (Foto: Autor)
Können Sie ein Beipiel schildern?

"Eine Leserin hatte das Problem, dass in der Nähe ihrer Wohnung ein Zebrastreifen ist, der in einer Kurve liegt - das heißt nicht sehbar für die Autofahrer - und direkt dahinter ist eine Schule. Das heißt, die Kinder, die zur Schule gehen, gehen über einen Zebrastreifen, der als solcher nicht gekennzeichnet ist, und die Autos sehen diese Stelle auch nicht. Die Eltern der Kinder haben sich bei der Schule beschwert, bei dem zuständigen Amt und sind nicht weitergekommen. Die Frau hat an uns geschrieben, für unseren Blog, wir haben ihr Problem aufgenommen, in der Zeitung gedruckt und dann in ihrem Namen die zuständigen Personen angesprochen. Und das Ende der Geschichte ist, dass am nächsten Tag drei Straßenverkehrszeichen an der Straße standen, die nun darauf hinweisen, dass da ein Zebrastreifen ist, dass die Geschwindigkeit maximal 30 Kilometer pro Stunde ist und dass da eine Schule ist. Das sind kleine Probleme, mit denen sich keiner beschäftigt. Es sind aber Probleme, die die Leute im Alltag beschäftigen. Und wir können sie mit dem Blog lösen, denn ein Leser ist tatsächlich schwächer als eine ganze Tageszeitung, wenn sie hinter dem Problem steht."

Kann man das so zusammenfassen, dass der "Prazsky denik" ein Förderer von Demokratie ist?

"Das wäre vielleicht ein bisschen zu hoch gegriffen. So groß wollen wir das auch nicht machen. Wir wollen einfach ein bisschen das Bürgerengagement unterstützen, dass die Leute wirklich eine Möglichkeit sehen Probleme zu lösen, wenn sie nicht alleine durchkommen. Sie können uns anschreiben und wir, mit Hilfe von Redakteuren, versuchen auf jeden Fall die Probleme zu lösen."

´Tag mit dem Denik´  (Foto: Autor)
Wie sieht das aus mit dem Niveau der Artikel, die die Leser verfassen? Was muss die Redaktion tun, damit ein Beitrag eines Lesers wirklich druckreif ist?

"Das Niveau ist tatsächlich sehr unterschiedlich. Angefangen bei grammatikalischen Fehlern, die wir korrigieren müssen, bis hin zu Texten, die man gar nicht drucken kann, weil sie einfach keine vollständigen Sätze beinhalten. Man sieht, dass die Leser keine Vorstellung haben, was eine Zeitung ist und wie viel man in einer Zeitung schreiben kann. Wenn uns ein Leser zwei Norm-Seiten schickt und sich dann wundert, dass davon tatsächlich nur zehn Zeilen veröffentlicht wurden in einem wirklich guten Artikel, dann ruft er an und beschwert sich, wieso sein Artikel gekürzt wurde. Wenn ich ihm erzähle, dass die Menge, die er uns geschrieben hat für zwei Zeitungsseiten reichen würde, kann er das gar nicht glauben."

Können Sie Ihre Leser erziehen?

"Wir versuchen das. Wir versuchen mit ihnen zu arbeiten. Wenn mir jemand einen langen Text schickt, schicke ich ihm eine E-Mail und erkläre wie lang die Texte sein sollen, was sie schreiben sollen, was wichtig ist. Ich versuche also mit ihnen zu arbeiten. Und ich merke, dass sich tatsächlich eine Gruppe von ein paar Dutzend Lesern entwickelt hat, die regelmäßig schreiben und immer besser werden. Und in der Datenbank haben wir im Moment fast 200 Leser, die uns regelmäßig Texte schicken."

Der Blog erscheint wie oft?

"Jeden Tag in der Zeitung."

Das war Bara Prochazkova bei mir im Studio, Chefreporterin des "Prazsky denik", der neuen Prager Tageszeitung. Vielen Dank.

"Auf Wiederhören!"