Presseeinblicke – und: Wie in den Medien an 1968 erinnert wird

Foto: ČTK

Im Medienspiegel präsentieren wir Ihnen heute wieder die Schwerpunktthemen der tschechischen Tageszeitungen in dieser Woche. Außerdem gibt Ihnen Julia Nesswetha einen Überblick über die Sonderberichterstattung der tschechischen Medien über die Niederschlagung des Prager Frühlings, der sich am 21. August zum 40. Mal jährt.

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Zwei Themen haben vor allem die Medien in Tschechien in dieser Woche beherrscht. Zum einen war es das wohl größte internationale Ereignis der vergangenen Tage, die Festnahme des ehemaligen Serbenführers und Kriegsverbrechers Radovan Karadžič. Hintergründe zur Festnahme, Porträts, historische Rückblicke, Gespräche mit Opfern der Massaker füllten am Dienstag und Mittwoch die Seiten der tschechischen Zeitungen. Das zweite Thema war jedoch ein rein tschechisches: Was geschieht mit der Nationalbibliothek? Nachdem Kulturminister Václav Jehlička dem Neubau in der Form einer so genannten Blob-Architektur auf der Prager Letná-Fläche eine Absage erteilt hat, rauschte die Frage „Was nun?“ durch den Blätterwald.

Am Donnerstag titelt die Zeitung „Lidové noviny“ dazu auf ihrer Themenseite: In drei Jahren wird die Krise kommen. Im Text heißt es: „Jedes Jahr erhält die Nationalbibliothek 100.000 neue Bücher, sie verwaltet den größten Bücherfonds im Land.“ Statt des „blobbigen“ Neubaus von Stararchitekt Jan Kaplický den bisherigen Sitz der Nationalbibliothek, das Klementinum, umzubauen, dürfte nicht ausreichen, lässt die Autorin des Beitrags durchblicken.

Die „Hospodařské noviny“ ist jedoch anderer Meinung. In einem Kommentar am Donnerstag hält sie die Absage an den „Blob“ für richtig: „Der Versuch, das Klementinum umzubauen und es zur altneuen Nationalbibliothek zu machen, ist so schlecht nicht. Zumindest würde dadurch das Stadtzentrum wieder belebt, aus dem sich nach dem Weggang von großen Bankhäusern und Firmen so langsam das Leben verliert. Sollen doch die Architekten in einer transparenten Ausschreibung um den Bau mit ihren Vorschlägen kommen, wie das Gebäude zu einer komfortablen Bibliothek des 21. Jahrhunderts umgestaltet werden kann. Überzeugen die Vorschläge nicht, kann man immer noch einen Neubau ausschreiben.“

In ihrer frischesten Ausgabe, also der vom Freitag, frischt die „Mladá Fronta Dnes“ ein nicht mehr ganz so frisches Thema auf: Achtung Eltern, eine Ohrfeige ist Kinderquälerei!, heißt es auf der Titelseite. Hintergrund ist, dass die tschechische Regierung körperliche Züchtigung von Kindern strafbar machen will und dazu eine Informationskampagne plant. Doch fast zwei Drittel der Tschechen sind gegen das Verbot. „Die Neigung der Tschechen zu körperlicher Bestrafung ist einfach zu erklären“, schreibt das Blatt weiter. „Die heutigen Eltern haben noch in Erinnerung, dass ihre Erziehung auch Ohrfeigen und Schläge auf den Hinterkopf beinhaltet hat.“

Soweit die Presseeinblicke für diesmal. Im zweiten Teil unserer Sendung hören sie einen Beitrag von Julia Nesswetha zur Sonderberichterstattung der tschechischen Medien über die Niederschlagung des Prager Frühlings.


Am 21. August 1968 marschierten die Warschauer-Pakt-Truppen in die damalige Tschechoslowakei ein – der „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“, den der damalige Erste Sekretär der Kommunistischen Partei, Alexander Dubček, durchsetzen wollte, wurde niedergeschlagen. Es war das Ende für die Reformbewegung des Prager Frühlings.

Im August jährt sich dieses Ereignis zum 40. Mal. Dem Jahrestag werden sich natürlich auch die tschechischen Medien in besonderem Maße widmen – die Zeitungen planen Sonderbeilagen mit Interviews, Fotos und anderen zeitgeschichtlichen Dokumenten.

Auch das Tschechische Fernsehen erinnert an das Jahr 1968 - im Rahmen seiner Sendereihe „Schicksalhafte Achten unserer Geschichte“. Diese Sendereihe greift all jene schicksalhaften Achterdaten in der tschechischen Geschichte auf, von denen etwa 40 gezählt werden: angefangen mit dem Jahr 1108, in dem das alte Adelsgeschlecht der Přemysliden ausgerottet wurde, über die Ausrufung der Tschechoslowakischen Republik 1918 bis hin zum Gewinn von Olympiagold durch die tschechische Eishockeymannschaft 1998 in Nagano. Zu 1968 plant das Fernsehen allerdings noch weitere Sondersendungen.

Für den Tschechischen Rundfunk ist der 21. August 1968 im Besonderen ein schicksalsträchtiges Datum. Warum das so ist und was der Rundfunk zum 40. Jahrestag plant, darüber habe ich den Chefredakteur von Radio Prag, Gerald Schubert, befragt.

Gerald, für den Tschechischen Rundfunk ist der August 1968 auch ein ganz besonderes Datum. Warum?

„Weil das Gebäude des Tschechischen Rundfunks selbst im August 1968 eine wichtige Rolle gespielt hat. Bei Invasionen in ein anderes Land, bei Putschversuchen oder bei Umstürzen spielen ja häufig die Gebäude der Medien eine entscheidende Rolle. So war es auch hier. Unglücklicherweise sind im und vor dem Gebäude des Tschechischen Rundfunks mehrere Menschen bei den Kämpfen um den Rundfunk ums Leben gekommen. Daher findet jedes Jahr am 21. August – und das nicht nur bei einem runden Jahrestag - vor dem Rundfunk-Gebäude eine Kranzniederlegung statt, um der Opfer des Jahres 1968 zu gedenken.“

1968
Wie begeht der Tschechische Rundfunk dieses Jahr den runden Jahrestag?

„Es laufen schon lange Vorbereitungen, es gibt regelmäßige Konferenzen, auf denen sich die Chefredakteure und Direktoren der einzelnen Sender gegenseitig beraten. Ich spreche jetzt nur von den Inlandssendungen – da gibt es natürlich die Möglichkeit, jede Menge Archivmaterial zu verwenden. Das „Radiožurnál“ hat zum Beispiel geplant, einmal pro Stunde, kurz nach den eigentlichen Nachrichten, jene Nachrichten noch einmal zu bringen, die genau zu dieser Stunde am 21. August 1968 aktuell waren. Es gibt auch sehr persönliche Fundstücke aus den Archiven, ein Sender plant, einen Anruf noch einmal zu senden, der von einem Tschechen kam, der unter den russischen Besatzungssoldaten zwei seiner Brüder erkannte. Er rief dann im Rundfunk an und warnte, dass sich selbst Brüder gegenseitig umbringen könnten. Dieser Anruf, in dem er seine Brüder zudem bat, wieder nach Hause zu fahren, wurde live gesendet. Es gibt also ein großes Spektrum an Archivmaterial und Zeitzeugenberichten, aber die Analyse aus heutiger Sicht darf auch nicht zu kurz kommen. Wir von Radio Prag werden natürlich gemäß den Interessen unseres ausländischen Publikums jede Menge vorbereiten.“

Wie wird denn das Programm von Radio Prag genau aussehen?

„Wir müssen immer damit rechnen, dass viele unserer Hörer mit den Ereignissen von damals vielleicht nicht so vertraut sind, da unsere Hörer in der Regel keine Tschechen sind. Wir werden also versuchen, die historischen Zusammenhänge genauer zu erklären und auch wir haben jede Menge Archivmaterial. Ich möchte noch konkret für die Hörer unserer deutschen Redaktion darauf hinweisen, dass der österreichische Rundfunk in den Augusttagen des Jahres 1968 zur Hauptnachrichtenquelle für die tschechischen Emigranten wurde. Der ORF begann nämlich auf Tschechisch zu senden, um eine Informationsquelle für die Emigranten zu sein. 160.000 Tschechen und Slowaken sind damals nach Österreich gekommen, 10.000 sind für immer geblieben, viele andere sind dann wieder zurückgegangen oder in andere Länder emigriert. Dieses Archivmaterial konnten wir teilweise ausfindig machen und werden davon ein paar Kostproben gaben. Die Hörer unserer spanischen Redaktion können sich beispielsweise auf etwas besonders Schönes freuen: Wir bekommen hoffentlich einen spanischen Originalton von Fidel Castro, der damals schon an der Macht war und auf die Okkupation der Tschechoslowakei durch die Warschauer-Pakt-Staaten reagiert hat. Unsere Hörer erwarten also viele Analysen, viel Archivmaterial und ich hoffe, es wird spannend.“