Presseschau – und außerdem: Chefredakteure fürchten um „freie Berichterstattung“

Herzlich Willkommen zum Medienspiegel. Was steht heute im medialen Fokus? „Ein neues Strafgesetz schränkt die Medien ein“, lautete die Schlagzeile in der Tageszeitung „Lidové noviny“ vom vergangenen Freitag. Wir berichten über Reaktionen aus den Medien und der Politik. Zunächst aber zu unserer kleinen Presseschau:

Am 17. November 1989 fiel der Startschuss für die Samtene Revolution, mit der die Bürger in der Tschechoslowakei das kommunistische Regime aus den Ämtern gefegt haben. Am 17. November 2008 machten nicht demonstrierende Studenten die Schlagzeilen, sondern Steine werfende Rechtsradikale: „Als der Mob zum Angriff blies“, titelt am Dienstag die„Mladá fronta Dnes“. Und weiter: „Der Kampf um die Siedlung – Mitglieder der rechtsextremen Arbeiterpartei liefern sich Straßenschlacht mit mehreren hundert Polizisten bei der Siedlung Janov in Litvínov. Ihr Ziel war die dort lebende Roma-Bevölkerung.“ Es waren bürgerkriegsähnliche Zustände mit vielen Verletzten. Premier Topolánek sprach sich in dieser Woche übrigens für ein Verbot der Arbeiterpartei aus.

Innenminister Ivan Langer  (Foto: ČTK)
Der 17. November war übrigens auch der erste Tag, an dem die Tschechen ohne Visum in die USA reisen konnten. Die „Lidové noviny“ veröffentlicht ein großes Bild von Innenminister Ivan Langer mit Reisetasche und Pass in der Hand. Das Blatt fragt: „Wo war Langer?“ Die Antwort lautet: in den USA. Die Zeitung wertet es als Fehltritt des Ministers. Anstatt privat nach Amerika zu fliegen, hätte der oberste Dienstherr der Polizei sich um die Ausschreitungen in Livínov kümmern müssen. Langer sei der Mister Marketing der Regierung, schreibt die „Lidové noviny“.

Die aktuelle „Právo“ bringt eine Zwischenbilanz nach den schwierigen Regierungsverhandlungen zur Gesundheitsreform am letzten Mittwoch: „Ärzte bekommen für bessere Behandlungen besseres Geld“, heißt es da. In den unteren Chargen sieht es dagegen weniger gut aus. Die „Právo“ hat ein Gespräch mit der Leiterin eines Krankenhaus geführt und zitiert: „Krankenschwestern von den Philippinen retten die tschechischen Krankenhäuser nicht“.

Soweit für heute unsere Presseschau.


Seit einer Woche macht ein Aufruf der Chefredakteure fast aller wichtigen Tageszeitungen und Zeitschriften von sich Reden. Es ist ein offener Brief, gerichtet an die obere Parlamentskammer, den Senat. Alles dreht sich um ein neues Strafgesetz. Das Abgeordnetenhaus hat es vor einigen Wochen verabschiedet. Jetzt ist der Senat an der Reihe. Das neue Strafgesetz verbietet unter anderem die Veröffentlichung jedweder Angaben aus Abhörprotokollen der Polizei. Bei Zuwiderhandlung, wenn also ein Journalist dennoch etwas veröffentlicht, droht ihm im schlimmsten Falle eine mehrfährige Gefängnisstrafe. Diese Regelung wurde kurz vor der Absegnung der Gesetzesnovelle noch im Änderungsverfahren in das Gesetz aufgenommen. Eine Debatte über die Folgen dieser Regelung fand im Parlament nicht mehr statt. Im offenen Brief der Chefredakteure an den Senat heißt es unter anderem:

„Erlauben Sie, dass wir unserer tiefen Beunruhigung Ausdruck verleihen, sowohl über den Inhalt dieses Gesetzes als auch über die Art, wie es im Abgeordnetenhaus angenommen wurde. Es handelt sich um einen grundlegenden Eingriff in die Tätigkeit der Medien. Das ruft bei uns die Vermutung hervor, dass es sich hierbei um den Versuch handelt, den Medien die Aufdeckung von Korruption und anderem gesellschaftsschädigenden Verhalten öffentlicher Personen inklusive der Politiker unmöglich zu machen.“

In der Vergangenheit war es immer wieder geschehen, dass Auszüge aus polizeilichen Abhörprotokolle in den Zeitungen auftauchten. Da ging es zum Beispiel um einen korrupten Schiedrichter, der seine Absprachen per Telefon erledigt hatte. Die Zeitungen druckten das Gespräch und Theatermacher machten sich an die Arbeit und brachten den Skandal auf die Bühne. In einem anderen Fall sind Unterlagen über einen Fall von Kindesmisshandlung in die Medien geraten, die nur die Polizei und die jeweiligen Anwälte haben dürften. Und nicht zuletzt tauchen immer wieder Namen von Politikern – zuletzt vom Innenminister – in abgehörten Gesprächen der Unterwelt auf. Das in der Zeitung zu lesen, ist keinem der Beteiligten angenehm. Die Journalisten sprechen aber von einem öffentlichen Interesse, das durch das Verfassungsgericht geregelt sei. Jaroslav Spurný von der renommierten Zeitschrift Respekt:

„Im öffentlichen Interesse steht das Handeln staatlicher Institutionen, von Politikern, Richtern, Anwälten und anderen. Und genau darüber haben die Medien das Recht zu informieren. Wird ihnen das Recht verwehrt, dann ist das eine Verletzung der Menschenrechtskonvention und der Verfassung. Wenn ein Politiker mit einem Mafioso gemeinsame Sache macht oder ein Richter bestochen wird, dann steht die Information darüber im öffentlichen Interesse. Wenn ich als Journalist beim Gerichtsprozess darüber Abhörprotokolle höre, dann steht die Information darüber höher als der Schutz der Privatsphäre der betreffenden Person. Ich habe den Eindruck, dass die Politiker mit diesem Gesetz ihre eigenen Interessen verfolgen.“

Jaroslav Kubera ist Senator für die Bürgerdemokraten. Er hält das Gesetz für sinnvoll:

„Man muss sich auch klar werden, dass die veröffentlichten Informationen sehr oft die Ehre von Menschen verletzen. Sie werden damit skandalisiert. Auch wenn die Person schließlich vom Gericht freigesprochen wird, dann glaubt bei uns niemand an seine Unschuld, weil das Vertrauen in die Gerichte gering ist. Die Frage ist auch, wann es sich dabei um öffentliches Interesse handelt. Die Medien haben selbstverständlich ein Interessse daran, dass sie sich gut verkaufen, dass sie Gewinn machen. Die Chefredakteure, die sich jetzt beschweren, stehen somit eindeutig in einem Interessenkonflikt. Sie wollen die Informationen nicht nur aus öffentlichem Interesse haben, sondern auch Kapital daraus schlagen.“

Für den Journalisten Jaroslav Spurný räumt die Politik mit dem neuen Gesetz an der falschen Stelle auf. Wenn Abhörprotokolle aus den Panzerschränken der Polizei verwänden, dann sei das kein Problem der Medien, sondern der öffentlichen Organe:

„Das Problem liegt in vorderster Front bei der Polizei. Dieses Problem ist die Politik bisher nicht angegangen. Auch die Polizei hat auf die Zustände nicht reagiert. Jetzt allerdings, mit der neuen Gesetzgebung, wird die Axt genommen und der Schwanz abgeschlagen. Die Journalisten werden bestraft, wenn sie über solche Dinge berichten. Die Politik versucht damit nur den Deckel auf alle möglichen Schweinereien zu halten, damit – egal was passiert – bloß niemand etwas davon erfährt. Und niemand erfährt etwas davon, wenn das Gesetz verbietet darüber zu schreiben.“

Senator Kubera denkt jedoch an weniger an die Skandale, als an diejenigen, die am Rande einer solchen Affäre auftauchen:

„Die Abhörprotokolle, die ich gelesen habe, die sind bei Abhöraktionen erstellt worden, bei denen zwei Leute über einen Dritten gesprochen haben. Zwei, die einen Dritten in ein schlechtes Licht stellen und dabei abgehört werden. Der Dritte ahnt nichts davon und liest dann etwas über sich in der Zeitung. Das dürfte wohl keinem gefallen.“

Die Medien jedenfalls demonstrieren Schulterschluss gegen die Politik. Am Mittwoch wurden die Chefredakteure und Autoren des offenen Briefes von Senatspräsident Premysl Sobotka empfangen. Ein erster Schritt Richtung Verständigung. Sobotka versprach den besorgten Journalisten eine rechtliche Expertise anfertigen zu lassen. Auf dieser Grundlage soll dann eine breitere Diskussion im Senat stattfinden, bevor das Gesetz verabschiedet wird. In den Medien hat diese Diskussion bereits begonnen.