Radio Prag 1976: "Weg mit dem konterrevolutionären Ballast"
Ein Jubiläum feiert Radio Prag nicht zum ersten Mal - schon 1976 war das damalige 40-Jährige Jubiläum Anlass für eine Sondersendung. Und das mitten in der Zeit der so genannten "Normalisierung", die in der Geschichte von Radio Prag ein unrühmliches Kapitel darstellt. Als "Normalisierung" wird die Zeit nach dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in die Tschechoslowakei bis zur politischen Wende von 1989 bezeichnet. Gleich in den ersten Jahren nach 1968 mussten einige Hundert Mitarbeiter den Tschechoslowakischen Rundfunk verlassen. Auch Radio Prag war damals von diesen Entlassungen stark betroffen, denn als ein vorbildliches Mittel der kommunistischen Propaganda sollte es - wie es offiziell hieß: "von den unverlässlichen Elementen gesäubert werden". Martina Schneibergova hat sich im Rundfunkarchiv umgesehen und eine Aufnahme gefunden, die sich heute eher wie ein absurdes Hörspiel anhört.
Es handelt sich um eine Sendung, die vom Inlandsrundfunk anlässlich des 40. Gründungstags von Radio Prag vorbereitet wurde - mit dem Ziel, auch dem tschechoslowakischen Publikum die Rolle der Auslandssendungen zu erläutern. Ein fast vierzig Minuten dauerndes Gespräch mit dem damaligen Chef der Auslandssendungen wird durch einige Zitate von hoch verdienten Friedenskämpfern und geeignete, jedoch sehr kurze Auszüge aus angeblichen Hörerbriefen ergänzt - musikalisch untermalt mit Dvoraks Slawischen Tänzen. Die ganze Aufklärerstunde erinnert an ein misslungenes Hörspiel - sowohl die Redakteurin, die das vorgetäuschte Interview führt, als auch der damalige Chef der Auslandssendungen, Dozent Vladimir Vipler, lesen ihre Partien vom Blatt - manchmal recht mühevoll. Gleich am Anfang wird der Genosse Direktor gebeten, seine hoch interessante journalistische Laufbahn zu schildern. Er räumt ein, für ihn sei die Publizistik "ein Mittel des Kampfes für den Fortschritt":
"Nach der Bildungsabteilung der Partei war ich an den Lehrstühlen für Marxismus-Leninismus in Prag und in Kosice tätig. Jahre lang leitete ich in der Regionalzeitung die Rubrik über die Parteipropaganda. Ich schrieb sogar einige wissenschaftliche Bücher und Studien über die Geschichte der kommunistischen Partei."
In diesem Moment wurde der Wissenschaftler von der Redakteurin unterbrochen, die den Hörern verriet, dass der bescheidene Mann doch noch mit einer Lenin-Medaille geehrt wurde. Vielleicht auch dafür, dass es ihm gelungen ist, nach 1968 den Rundfunk richtig zu säubern:
"Es ging darum, sämtlichen konterrevolutionären Ballast zu beseitigen - im Programm, in der ideologischen Arbeit, in der Auswahl von Menschen."
Denn nur auf diese Weise konnte Radio Prag die folgenden Aufgaben erfüllen:
"Die Aufdeckung der Feinde des Weltfriedens und die Aufdeckung von feindlichen Ideologien in Theorie und Praxis."
Soweit das Zitat aus dem Jahr 1976. Am verkündeten Kampf für die helle Zukunft in der ganzen Welt soll sich Gerüchten zufolge bei Radio Prag übrigens auch ein Mitglied der italienischen Terrororganisation "Rote Brigaden" beteiligt haben. "Wahrheit siegt" - hat es schon damals geheißen, wenigstens damit haben die Kommunisten Recht behalten - wenn auch nicht in ihrem Sinne.