„Radio Prag, das war mein Herz…“

Wolfgang Brodöhl (Foto: Lenka Žižková)

Wolfgang Brodöhl ist seit langem ein Hörer und Freund von Radio Prag. Seit 45 Jahren verfolgt er unsere Sendungen, früher aus Sachsen-Anhalt und seit kurzem aus München. Im Jahr 2006 nahm er an der Feier zum 70. Geburtstag von Radio Prag teil und hielt dort sogar im Namen der Hörerinnen und Hörer aus der ganzen Welt eine Rede. Ende Oktober war Wolfgang Brodöhl wieder einmal in Prag und besuchte bei dieser Gelegenheit auch unser Funkhaus. In einem Interview für unseren Sender erzählt er von seiner Beziehung zu Radio Prag, der tschechischen Sprache und zur Tschechoslowakei beziehungsweise zu Tschechien.

Wolfgang Brodöhl  (Foto: Lenka Žižková)
Ich darf Herrn Wolfgang Brodöhl bei uns in der Redaktion begrüßen. Herr Brodöhl, es ist nicht Ihr erster Besuch bei uns in Prag und im Radio. Sie waren auch bei der Geburtstagsfeier von Radio Prag im Jahr 2006 dabei…

„Das war mein letzter Besuch bei Ihnen und gleichzeitig der Höhepunkt. In Prag sind wir öfter, vielleicht jetzt das zehnte Mal, weil wir Prag lieben. Ich denke sehr gern an diese Feierlichkeit zurück, an das Zusammentreffen unten an der Moldau. Das war wunderschön - und wie gesagt, der Besuch bei Ihnen war ein Höhepunkt in meinem Leben.“

Das ist schön. Sie sind ein langjähriger Hörer von Radio Prag. Seit wann hören Sie uns eigentlich?

„Ich höre Ihren Sender seit 1968, als die Meldung von den Änderungen in der damaligen Tschechoslowakei kam. Ich habe Astronomie studiert. Wir hatten während unseres Studiums den Vortrag eines Herrn, des Leiters der Prager Sternwarte. Er sprach sehr kritisch über den Kommunismus, und das war für uns eine ganz neue Welt. Ich komme aus der DDR, und wir hatten so etwas noch nicht gehört. Allerdings musste derjenige, der diesen Leiter der Sternwarte eingeladen hatte, seinen Dienst quittieren, weil das ein Vergehen gegen die Gesetze der DDR war.“

Foto: Verlag Langenscheidt
Und danach haben Sie nach Möglichkeiten gesucht, wie Sie mehr über die Tschechoslowakei erfahren können?

„Damals war es noch möglich, Radio Prag sehr schön zu hören: über die Kurzwelle, in der Grenznähe auch über die Mittelwelle. Und seitdem war das Interesse für Prag groß, auch durch die persönlichen Beziehungen.“

Sie sprechen sogar Tschechisch…

„Ich spreche ganz schlecht Tschechisch und muss mich schämen, dass ich so viele Fehler mache. Ich habe eine tschechische Partnerin, sie spricht aber so gut Deutsch, dass ich mich schäme, Tschechisch zu sprechen. Ich habe ein Problem. Ich habe Tschechisch mit Hilfe des Wörterbuches gelernt. Die Aussprache ist nicht die Aussprache in der Praxis, ich habe mir die falsche Aussprache eingeprägt. Meine Partnerin hat mir das auch gesagt, daher habe ich Hemmungen, Tschechisch zu sprechen. Wenn ich daran denke, wie ich bei Ihnen an der Moldau meine Rede hielt und Interviews gab, da habe ich heute noch ein seltsames Gefühl in der Magengegend, wie mutig oder wie leichtsinnig ich war, vor so vielen Menschen Tschechisch zu sprechen.“

Sie haben also eine enge Beziehung zu Tschechien. Haben Sie dieses Verhältnis auch Ihren Schülern beigebracht? Sie waren ja Lehrer von Beruf...

„Ja. Ich habe sehr viel mit meinen Schülern über Tschechien beziehungsweise damals noch die Tschechoslowakei gesprochen. Wir haben beispielsweise einen Nachmittag über Lidice gestaltet, weil ich das ungeheuer wichtig fand. Leider ist diese Dokumentation bei diesen Schülern geblieben – ich bin ja nicht mehr im Schuldienst. Ich hatte die Dokumentation mit eigenen Zeichnungen ausgestattet, das hat die Schüler sehr bewegt. Zu einem Geburtstag bekam ich eine tschechische Osterkarte geschenkt. Meine Schüler hatten sie besorgt, und darauf standen die Namen aller Schüler der Klasse. Eine andere Klasse schenkte mir eine Schallplatte mit Karel Gott, und jeder Schüler hatte unterschrieben. Ich war der Radio-Prag-Fan, inwiefern meine Schüler auch Radio Prag gehört haben, weiß ich nicht. Aber auf alle Fälle habe ich das Gefühl, dass ich etwas übertragen habe, weil es aus dem Herzen kam. Und das merken die Schüler auch.“

Jaroslav Krček  (Foto: Tereza Kopecká,  Wikimedia CC BY-SA 2.5)
Mit Ihren Tschechisch-Kenntnissen haben Sie auch andere Möglichkeiten, über Tschechien etwas zu erfahren. Haben Sie trotzdem die Radio-Prag-Sendungen bevorzugt?

„Ich hatte Kontakt zu vielen Sendern, aber Radio Prag, das war mein Herz. Mir gefällt, dass Radio Prag im Nachrichtenteil sehr objektiv berichtet, nicht parteimäßig gebunden, auch kritisch. Das Programm ist vielseitig, die kulturelle Seite ist vorhanden, die geschichtliche Seite, die aktuelle Seite, also ich bin wunschlos glücklich. Bis auf einen Wunsch: Mir fehlt die Beachtung des folkloristischen Elementes. Ich meine nicht die Blasmusik. Beispielsweise bin ich ein Liebhaber von Jaroslav Krček. Das ist echte Folklore, und die kommt jetzt zu kurz. Wenn wir im Urlaub sind, in Bad Brambach an der Grenze zu Franzensbad, da haben wir jeden Sonntag von halb neun bis neun über den Sender Vltava eine Folklore-Sendung gehört. Die gibt es aber nicht mehr. Ich weiß nicht, mittlerweile steht eher der internationale Misch-Masch der Kulturlosigkeit im Vordergrund. Meine Partnerin und ich, wir leben beide in beiden Kulturen, in der tschechischen und in der deutschen. Und die tschechische Kultur ist für mich eine Bereicherung, ein Geschenk. Wir lieben die klassische tschechische Musik, klassische tschechische nationale Dichtung.“

Vertreibung der Sudetendeutschen  (Foto: Bundesarchiv)
Und was unsere Sendungen betrifft, was interessiert Sie da am meisten: Sind das die aktuellen Berichte oder eher die Geschichte?

„Beides. Die aktuellen Nachrichten verfolge ich täglich. Ich bin nicht immer erfreut über das, was in Ihrem Land geschieht, bei Manchem würde ich ein Fragezeichen setzen: Ist das so gut, diese Entwicklung? Von den geschichtlichen Beiträgen ist vor allem die Geschichte des Protektorates für mich wichtig. Wir haben jetzt in München einen Vortrag über die Heydrichiade gehört, interessanterweise im Sudetendeutschen Haus, aber objektiv. Denn für die Sudetendeutschen beginnt die Geschichte erst 1945 mit der Vertreibung. Aber die Geschichte begann ja 1938, als man die Tschechen beispielsweise aus dem Sudetenland vertrieben hat. Ich habe im Internet nachgeforscht, dass beispielsweise in der Stadt Aš nach der Okkupation innerhalb weniger Wochen alle Tschechen vertrieben wurden. Und die Sudetendeutschen, wahrscheinlich auch die Reichsdeutschen, haben sich den Besitz der Tschechen angeeignet. Als dann 1945 die Tschechen Hass empfunden haben, ist ja das nur verständlich. Aber das sehen die Sudetendeutschen nicht. Sie sehen sich nur als Opfer, nicht auch als Täter.“

Hören Sie bis heute Radio Prag?

„Heute habe ich keine Möglichkeit mehr, Radio Prag im Äther zu hören. Aber ich bekomme täglich die Nachrichten von Radio Prag. Und ich verfolge Radio Prag täglich über Internet - in Schrift und Ton.“

Also sind Sie uns treu geblieben, auch nachdem die Kurzwelle abgeschaltet wurde?

„Ja, ja. Sonst wäre ich auch heute nicht hier. Wenn wir in Prag sind, müssen wir unbedingt auch Sie aufsuchen.“

Das ist sehr nett, Herr Brodöhl, vielen Dank für Ihren Besuch und für dieses Gespräch.