Rassenhass – salonfähig seit 1990?
Von Zigeunerpogromen zu Hass im Netz – Diskriminierung hat in den letzten Jahren ihr Gesicht verändert.
„In den 1990er Jahren gab es mehrere Dutzend Morde, die rassistisch motiviert waren oder aus Rassenhass geschehen sind. Wie viele genau es waren, das ist schwer zu sagen. Beispielsweise die Polizei hat darüber keine genauen Statistiken. Schätzungen gehen aber von rund 30 Morden in dieser Zeit aus.“
Wie kommt es aber gerade in den 1990er Jahren zu einer solchen Welle des Hasses, während die neue politische Führung Liebe, Wahrheit und Anstand predigt?
„Viele Historiker haben die Tendenz, die 1990er Jahre als Ära der Unschuld zu sehen. Ich bin da aber anderer Meinung. Denn viele negative Tendenzen in unserer Gesellschaft haben ihre Wurzeln in dieser Zeit und in der Transformation vom Sozialismus. Erst in den 1990er Jahren waren rassistische Exzesse möglich, und es kam häufig auch dazu. Zwar hatte die tschechische Gesellschaft nie einen großen Hang zu Gewalt, und viele Konflikte versuchte man auf friedlichem Weg zu lösen. Doch damals war die Hemmschwelle für Gewalt viel niedriger, und die 1990er Jahre waren einfach viel gewalttätiger.“Laut Daniel kam es in der westböhmischen Kleinstadt Klatovy / Klattau zum ersten folgenreichen Pogrom nach der Wende auf tschechischem Boden. Im Februar 1990 belagerte ein wütender Mob über drei Tage lang das Haus einer Roma-Familie. Am Ende stürmten die Angreifer das Gebäude. Ein 21-jähriger Mann starb, viele weitere Menschen wurden verletzt. Wie auch andere Fälle wurde dieser aber nicht unbedingt als Fall rassistischer Gewalt wahrgenommen, oft unterstellte man den Beteiligten eher kriminelle Hintergründe und Bandenkriminalität.
Im April desselben Jahres wurde man sich der Gefahr rassistischer Gewalt bewusster, vor allem da sie internationale Ausmaße annahm. Und zwar nach einem Konzert der Rechtsrock-Band Orlík in Prag:„Die Lage ist irgendwann außer Kontrolle geraten, und die Straßen Prags waren auf einmal voll von wütenden und testosterongeladenen jungen Männern. Die Hölle haben sie hier nicht veranstaltet, aber sie haben dunkelhäutigen Menschen klar gezeigt, dass sie in der Stadt nichts zu suchen hätten. Unter den vielen Opfern dieser Ausschreitungen war auch ein afro-amerikanischer Mitarbeiter der kanadischen Botschaft.“
Wiederkommen rechter Gewalt durch die Wirtschaftskrise
Laut Daniel ließen diese Spannungen in der tschechischen Gesellschaft besonders ab 1997 nach. Zuvor war in Prag ein sudanesischer Student aus fremdenfeindlichen Motiven ermordet worden, und das Problem wurde erstmals öffentlich diskutiert. Es kam auch zu ersten großen Demonstrationen gegen rechte Gewalt. Diese war danach jedoch noch lange nicht Geschichte, genauso wenig wie der Rechtsradikalismus an sich:„Der Rassismus lebte auch in der Folgezeit weiter, wenn auch irgendwo unter dem Deckel. Alles brach dann im Jahr 2008 wieder auf, als es zu Pogromen und Brandanschlägen auf Roma in Janov und Vítkov kam. Von da an kann man eigentlich von einem Wiedererstarken der rechtsradikalen Szene sprechen. Die Lage hat sich also nicht wirklich beruhigt. Vor allem zu Zeiten der Wirtschaftskrise ist es häufig zu Demonstrationen und Gewalttaten gegen Roma gekommen. Und daran beteiligten sich nicht nur Extremisten, sondern auch einfache Bürger der sozialen Brennpunkte in Tschechien.“
Von der Straße ins Netz
Heute hat sich der Rassenhass von der Straße ins Netz verlagert. Medienwirksam war der Fall um den Sänger Radek Banga, einen Rom, der unter anderem unter dem Namen Gypsy.cz auftritt. Ende 2016 bekam er Morddrohungen über Facebook. Der Autor der Hetzkommentare wurde nun zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, es war eine Premiere in Tschechien. Jiri Kwolek analysiert für das Dateninstitut GoodMentions den Hass in sozialen Netzwerken:„Als wir eine Analyse zu dem Thema durchgeführt haben, war ich am Ende selbst überrascht. Morddrohungen oder Hasskommentare gab es unerwartet viele im tschechischen Internet, und sie sind durchaus Normalität hierzulande.“
Bei der Auswertung der Daten sind die Analysten um Kwolek auf vor allem einen interessanten Zusammenhang gestoßen. Bei jedem Terroranschlag der vergangenen Jahre in Europa ist hierzulande die Zahl von Hasskommentaren gegen beispielsweise Muslime explodiert.
Im europäischen Vergleich schneidet Tschechien nicht gut ab, was Drohungen und rassistische Beschimpfungen im Internet angeht:
„Zwar haben wir keinen internationalen Vergleich gemacht, aber ich gehe davon aus, dass es in anderen Ländern nicht anders ist. Hasskommentare im Internet sind keine Spezialität eines bestimmten Landes. Wenn wir beispielsweise Tschechien mit Deutschland vergleichen, dann liegt die Zahl der Drohungen in Relation gesehen trotzdem etwas höher.“
In Deutschland ist am 1. Januar ein umstrittenes Gesetz in Kraft getreten, dass Hasskommentare in sozialen Netzwerken unterbinden soll. Facebook, Twitter und andere müssen die Texte löschen, sonst drohen saftige Geldstrafen. Auch in Tschechien regulieren Anbieter die Hasskommentare mittlerweile auf ihren Seiten. Laut Jiri Kwolek ist das eine positive Entwicklung:„Es ist deutlich zu sehen, dass es weniger Hasskommentare im Internet gibt, die Kurve zeigt langfristig nach unten. Das muss aber nicht daran liegen, dass solche Meinungen in der Gesellschaft abgenommen haben. Vielmehr sind die Betreiber von Diskussionsplattformen im Netz schneller geworden beim Löschen.“
Wie sieht aber ein Netz-Nazi aus, und ist er überhaupt noch mit einem rechtsradikalen Skinhead aus 1990er Jahren vergleichbar? Zumindest das Vokabular hat sich deutlich geändert. Dazu Historiker Ondrej Daniel:
„Wahr ist, dass viele Leute, die im Netz beispielsweise gegen Roma hetzen, nie im Leben einen Mord begehen würden. Das bleibt eine Schwelle, die nicht überschritten wird. Zwar sind verbale und latente Gewalt weit verbreitet, physische Gewalt geht jedoch weiterhin nur von verschiedenen Subkulturen und kriminellen Organisationen aus.“Altes Problem in neuem Mantel
Für Ondrej Daniel besteht heutzutage vor allem ein großes Problem – Rassismus ist nicht mehr als solcher zu erkennen und versteckt sich hinter ganz anderen Begriffen:
„Man kann sich jetzt hinter den Schlagwörtern verstecken, wie beispielsweise die Verteidigung sogenannter tschechischer Werte. Gerade das führt aber zu absurden Situationen, denn kein Mensch kann definieren, was diese tschechischen Werte eigentlich sind. Darin kann sich schließlich jeder wiederfinden, ob er nun eher religiös oder säkular eingestellt ist.“
Deutlich wurde dies vor allem vor den Parlamentswahlen im Oktober vergangenen Jahres. Klar hinter sogenannte tschechische Werte stellten sich die Parteien des rechten Randes, am erfolgreichsten war damit die Partei „Freiheit und direkte Demokratie“ von Tomio Okamura. Aber auch die Parteien der Mitte greifen auf ähnliche rhetorische Bausteine zurück. Unter anderem Premier Andrej Babis sprach in Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise von der Unvereinbarkeit verschiedener Kulturen. Der Sozialdemokrat Karel Novotný machte wiederum vor den Wahlen durch Roma-feindliche Sprüche auf sich aufmerksam. Gleichzeitig plakatierte er in seinem Wahlkreis Reklametafeln mit der Aufschrift: „Warum sollte ich mich schämen, zur Mehrheit zu gehören.“Aber, kann die tschechische Gesellschaft den Rassismus irgendwann überwinden? Der Historiker Daniel ist da eher skeptisch:
„Starke Stimmungen gegen Migranten und Moslems, sowie in einigen Teilen der Gesellschaft gegen Russen, sind vorhanden. Es scheint also durchaus so, als könnten sich die gewalttätigen 1990er Jahre wiederholen. Gottseidank ist es bisher aber noch nicht dazu gekommen, dass die verbale Gewalt in physische umschlägt und vielleicht sogar zum Mord führt.“