Rauf aufs „sinkende Schiff“? Tschechien streitet über den Euro

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Der Brexit hat die tschechische Politik aufgescheucht – auf einmal steht ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten zur Diskussion. Ohne Frage könnte dabei die Eurozone ein sogenanntes Kerneuropa bilden. Nun werden Stimmen lauter, die sagen, Tschechien sollte auch deswegen den Euro einführen. Doch wäre dies für Tschechien wirklich sinnvoll? Oder überwiegen doch die Nachteile des Euro?

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Den Anschluss an Europa nicht verlieren – das war wohl die größte Motivation von Premier Bohuslav Sobotka bei seiner Forderung, möglichst bald einen Termin für den Eurobeitritt Tschechiens festzulegen:

„Falls wir uns spätestens in der kommenden Legislaturperiode nicht für einen Beitritt zum Euro entscheiden, könnte uns die anstehende schnellere Integration der Eurozone an den Rand der Europäischen Union drücken. Und damit an den Rand eines Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten. Das mag in einigen Bereichen vielleicht gut sein für Tschechien, in den meisten Fällen wäre das aber ein Nachteil. Davon bin ich überzeugt.“

Damit definiert Sobotka an der Spitze der Sozialdemokraten eine ganz neue Position gegenüber dem Euro in Tschechien. Gemeinsam mit Christdemokraten und der konservativen Oppositionspartei Top09 traut man sich nun erstmals, laut Ja zu sagen zum gemeinsamen europäischen Geld. Ganz anders als die Koalitionspartner von der Partei Ano. Deren Chef und Ex-Finanzminister Andrej Babiš lehnt den Beitritt zum Euro weiter strikt ab.

Emmanuel Macron  (Foto: Copyleft,  CC BY 4.0)
Vor allem seit der Wahl von Emmanuel Macron zum französischen Präsidenten steht die Frage im Raum, wie ein mehrspuriges Europa aussehen könnte. Der Zentrist machte bewusst Wahlkampf mit Themen wie einem Euro-Finanzminister, Euro-Bonds und ähnlichem. Wie gut Macron mit seinen Vorstößen bei Deutschland als stärkstem Player der Eurozone ankommen wird, ist weiterhin fraglich. Aber immerhin – ein Zeichen in Richtung mehr Europa scheint gesetzt.

Am Katzentisch der EU

Wie das konkret aussehen könnte, damit hat der ehemalige Nationalbank-Gouverneur Zdeněk Tůma bereits seine Erfahrungen:

Zdeněk Tůma  (Foto: Archiv KPMG)
„Als wir 2004 in die EU eingetreten sind, habe ich mit der Gouverneurin der dänischen Nationalbank gesprochen. Sie war froh, dass wir dazu gestoßen sind, da dies die Diskussion etwas beleben sollte. Sie erzählte, wie sie mit den Chefs der Nationalbanken Schwedens und Großbritanniens, den damals einzigen weiteren Nicht-Euro-Mitgliedern, zum Essen in einem Gasthaus war. Das sei etwas einsam gewesen, da die wichtigen und relevanten Entscheidungen ganz wo anders gefällt worden seien. Das ist auch meiner Meinung nach der Knackpunkt: Entweder bleiben wir vor der Tür und bewahren uns ein bisschen Souveränität oder aber wir sitzen mit am Verhandlungstisch.“

Dass Tschechien jedoch am Katzentisch sitzen würde, selbst wenn es der Eurozone beitrete, davon ist Pavel Kohout überzeugt. Er ist Ökonom und will bei den anstehenden Wahlen mit der europakritischen Partei der Realisten des deutsch-tschechischen Politologen Petr Robejšek ins Abgeordnetenhaus:

„Die Debatte in Großbritannien um den Austritt aus der EU hat sich auch um folgenden Punkt gedreht: Man hat versucht, seine Standpunkte in der EU einzubringen, durchgesetzt hat man aber fast überhaupt nichts. Wenn man sich jetzt Tschechien anschaut mit seiner geringen Größe und der derzeitigen politischen Repräsentation, da sehe ich dann schwarz. Es ist viel besser, außen vor zu bleiben und sich ein Mindestmaß an Eigenständigkeit zu bewahren.“

Michal Pícl  (Foto: Jana Trpišovská,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Der Sozialdemokrat Michal Picl hält diese Argumentation für nicht stichfest. Gerade ein Fernbleiben vom Euro würde einen Verlust der Souveränität in Europa bedeuten, so der Ökonom. Es reiche dazu ein Blick auf die Slowakei, die bereits seit acht Jahren in der Eurozone ist:

„Für die Slowakei ist eine tiefere Integration der Eurozone kein Problem. Bratislava richtet sich nach Berlin und treibt eben diese tiefere Integration an. Wir werden dann mit Polen und Ungarn außen vorstehen und zuschauen, wie sich die Europäische Union entwickelt. Und in diesem Fall wird uns die Europäische Union auch vorschreiben, was wir durchsetzen sollen und wie wir unsere Politik ändern müssen. Wir werden dahingegen nicht fähig sein, in diese Entscheidungsprozesse einzugreifen. Denn ohne Euro werden wir nicht mehr mit am Verhandlungstisch sitzen und unsere Stimme verlieren.“

Plus für die Industrie, Minus fürs Volk?

Pavel Kohout  (Foto: Jana Trpišovská,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Doch was würde Tschechien der Euro konkret bringen? Oder vielleicht ist die Frage besser: Was bringt der Euro Tschechien nicht?

Für den EU-Skeptiker Pavel Kohout ist eins klar: Ein sinkendes Schiff sollte man lieber nicht besteigen:

„Die Staaten, die derzeit vollwertige Mitglieder der Eurozone sind, erfüllen bei Weitem nicht die Kriterien, die eigentlich vor dem Beitritt zum Euro stehen. Frankreich, Italien Belgien und viele weitere Staaten brechen massiv die Regeln, deren Einhaltung von uns verlangt würde. So zum Beispiel bei den Staatsschulden. Italien könnte dabei leicht in die heutige Lage Griechenlands geraten. Und in diesem Fall wäre es sicher besser, nicht in der Eurozone zu sein.“

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Bereits jetzt kommt es in der Eurozone laut Kohout zu einem paradoxen Ungleichgewicht. Derzeit würde ein armer slowakischer Rentner einem relativ reichen griechischen Rentner die Altersbezüge und die Schulden zahlen, so der Wirtschaftsexperte.

Schwarzmalerei nennt eine solche Argumentation der sozialdemokratische Ökonom Picl:

„Es ist doch überhaupt nicht so, dass wir irgendjemandes Schulden bezahlen würden. Der Kern des sogenannten ESM-Systems beruht darin, dass die Staaten einen gewissen Beitrag in einen gemeinsamen Topf zahlen. Sollte es dann zu einer größeren Krise kommen, fängt das System bei Bedarf einen in die Schieflage geratenen Staat auf. Die Gelder aus diesem Topf sind aber nur geliehen, und es werden bestimmt keine Geschenke ausgeschüttet.“

Foto: Europäische Kommission
Bei den Summen, die Tschechien als derzeitiger Nettoempfänger aus Brüssel bekommt, wäre der Beitrag zum ESM-System für das Land wirklich Peanuts, fügt Michal Picl hinzu.

Und auch für den einfachen Bürger sind laut dem Sozialdemokraten keine Einschnitte zu erwarten. Mit einem Blick auf die Slowakei versichert Picl, dass die Preise und Löhne stabil bis gleich bleiben würden. Und auch für Tschechien als Exportnation mit seiner starken Autoindustrie könnte der Euro ein Segen sein, wie die Autobauer und Exporteure auch selbst bestätigen. Die faktische Bindung der Krone an den Euro durch die Deviseninterventionen der Nationalbank hätten für die Wirtschaft und auch die Löhne in den letzten Jahren Wunder gewirkt, meint Picl.

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Ganz so einfach ist das wohl aber nicht, wenn man dem selbsternannten Realisten Pavel Kohout glaubt. Denn gerade diese Bindung an den Euro bringe eben nur den Produzenten und Exporteuren etwas, die die Menschen so oder so am liebsten gratis arbeiten lassen würden. Mit einer freien Währung könnte man hingegen ein Umdenken vor allem in der Industrie erreichen in Richtung höherer Produktivität, so der Euro-Kritiker:

„Es ist wichtig, dass die tschechische Wirtschaft in die Zukunft schaut und nicht in der Gegenwart bleibt. Die steht nämlich bisher ausschließlich im Zeichen der Autoindustrie. Die Unternehmer hierzulande sollten sich überlegen, wie man die Wirtschaft zu höherem Wachstum bringen kann. Dann erreichen wir vielleicht auch irgendwann das Niveau der Schweiz. Sollten wir aber den Euro als Währung annehmen, bleiben wir für immer eine billige Werkbank.“

Keine Euro-Euphorie bei der Bevölkerung

Eurozone  (Foto: diema,  Pixabay / CC0 Public Domain)
Wie sieht es aber an der Basis aus, also bei den Unternehmen selbst und vor allem der tschechischen Bevölkerung?

Für die Firmenchefs in Tschechien scheint das derzeit kein brennendes Thema zu sein. Einer Umfrage der Handelskammer zufolge ist der Beitritt zur Eurozone für ganze 56 Prozent der Unternehmen derzeit keine aktuelle Frage. Insgesamt sei man in den Unternehmen aber gespaltener Meinung, heißt es aus der Handelskammer.

Was der Otto-Normal-Tschechen denkt, ist schwer zu sagen. Momentan liegen keine Umfragen zu dem Thema vor. Vor gut einem Jahr zeigte eine Erhebung des Meinungsforschungsinstituts CVVM aber ein vernichtendes Bild: fast 80 Prozent der Befragten sprachen sich eindeutig gegen die Gemeinschaftswährung aus.