Rechtliche Aspekte der Benes-Dekrete
Seit Wochen sind die s.g. Benes-Dekrete in Tschechien in aller Munde. Wenig ist jedoch bekannt, dass nicht nur die Angehörigen der deutschen Minderheit, sondern auch viele Tschechen von ihnen nach 1945 betroffen waren. Näheres erfahren Sie nun von Silja Schultheis und Robert Schuster in einer weiteren Folge unserer Sendereihe Schauplatz.
Wie haben damals die Richter in der Sache der Bene-Dekrete entschieden, fragte Radio Prag Anwalt Kolja Kubícek: Das Verfassungsgericht hat sich dann laut Kubícek für die dritte Möglichkeit entschieden und erklärt, die Dekrete des Präsidenten Benes seien geltendes Recht und blieben es auch. Die sich aus diesen Rechtsnormen ergebenden Folgen für die Mitglieder des deutschen Volkes oder für Personen, die dafür gehalten werden konnten, sei gemäss der Auffassung der Verfassungsrichter eine gerechte Kollektivstrafe für die Zugehörigkeit zu einem Volk, das in der Zeit zwischen 1938-1945 ein diktatorisches Regime unterstützt habe. Diese Ausführungen dienten als Grundlage der Urteilsbegründung, womit das Verfassungsgericht eindeutig die Aufhebung der Dekrete ablehnte.
Für Rudolf Dreithaler selbst, war jedoch der fast sieben Jahre dauernde Rechtsstreit nicht ganz umsonst gewesen. Obwohl die von ihm in Frage gestellten Bene-Dekrete vom Plenum des Verfassungsgerichts nicht aufgehoben wurden, kam ein Senat des Gerichts zum Schluss, dass bei der Enteignung des Hauses von Dreithalers Eltern im Widerspruch selbst zur damaligen Gesetzeslage vorgegangen wurde und der Enteignungsbeschluss somit von Beginn an ungültig war. Auf andere, von Dreithaler ebenfalls ins Spiel gebrachten, Rückgabeforderungen hatte somit die Feststellung im besagten Fall keinen Einfluss.
Doch zurück zur aktuellen Diskussion um die Dekrete. Radio Prag fragte Anwalt Kubícek, ob er im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Debatte eine Art Genugtuung empfinde, denn schließlich war er es, der mit seiner Klage vor dem tschechischen Verfassungsgericht die Sache in einer Zeit ins Rollen brachte, wo das Thema Benes-Dekrete als weitgehend tabu galt: Anwalt Kubícek meint, dass diese Frage noch vor dem Beitritt Tschechiens gelöst werden muss, denn er könne sich nicht vorstellen, dass Tschechien sonst Mitglied der Gemeinschaft werden könne. So zu tun, als ob der gegenwärtige Stand aufrechtgehalten werden könnte, d.h., dass die Dekrete geltendes Recht sind, hält der Anwalt im Gespräch mit Radio Prag für unmöglich. Entweder müssten diese Normen aufgehoben werden oder tatsächlich für ungültig erklärt werden, meinte Kubíèek. Zudem werde laut dem Anwalt bei der gegenwärtigen Diskussion ein wichtiger Aspekt aus den Augen verloren und wie er meint, fast verdrängt: Nach der Wende, als mit der Rückgabe des enteigneten Eigentums begonnen wurde, wurde mit dem 25. Februar 1948, also dem Tag der offiziellen kommunistischen Machtergreifung, eine Art Grenze für mögliche Rückgabeansprüche gezogen. Eigentum, welches also zuvor - auch auf Grund der Bene-Dekrete - konfisziert wurde, blieb somit vom Beginn an vom tschechischen Restitutionsprozess ausgeschlossen. Dieser Umstand wurde schon damals von vielen Juristen bemängelt und die besagte Grenzziehung als willkürlich bezeichnet. Zu den Kritikern dieser Regelung gehörte nicht erst seit seiner Vertretung der Forderungen Rudolf Dreithalers auch Rechtsanwalt Kubícek, wenn er abschließend meint: Liebe Hörerinnen und Hörer, damit sind wir wieder am Ende unserer heutigen Schauplatz-Sendung angelangt. Vom Mikrophon verabschieden sich von Ihnen recht herzlich Silja Schultheis und Robert Schuster.