Rechtliche Aspekte der Benes-Dekrete

Edvard Benes unterschreibt ein Dekret

Seit Wochen sind die s.g. Benes-Dekrete in Tschechien in aller Munde. Wenig ist jedoch bekannt, dass nicht nur die Angehörigen der deutschen Minderheit, sondern auch viele Tschechen von ihnen nach 1945 betroffen waren. Näheres erfahren Sie nun von Silja Schultheis und Robert Schuster in einer weiteren Folge unserer Sendereihe Schauplatz.

Edvard Benes unterschreibt ein Dekret
Bereits seit Wochen wird in Tschechien über die s.g. Benes-Dekrete heftig diskutiert, welche nach 1945 die Enteignung der deutschen Minderheit in der damaligen Tschechoslowakei zu Folge hatten. Obwohl natürlich der überwiegende Teil der damals Enteigneten das Land verlassen musste und heute in Deutschland oder Österreich lebt, wurden in diese Konfiskationen ebenfalls Angehörige der deutschen Minderheit miteinbezogen, die nach dem Krieg in der Tschechoslowakei bleiben durften. Nach der Wende von 1989, als der s.g. Restitutionsprozess - d.h. die Rückgabe dieses Eigentums - eingeleitet wurde, waren jedoch die Angehörigen der deutschen Minderheit in der Tschechischen Republik ausgenommen. Nur wenige von ihnen stritten jedoch um ihr Eigentum von einst. Prominentestes Beispiel dafür ist wohl der Unternehmer Rudolf Dreithaler aus Liberec, dem früheren Reichenberg. Bei seinem Ziel jene Häuser zurückbekommen, welche seinen Eltern nach dem zweiten Weltkrieg enteignet wurden, ging Dreithaler von der Bezirks- über die Kreisebene durch alle Gerichtsinstanzen und sein Fall landete schließlich 1994 vor dem tschechischen Verfassungsgericht. Vertreten wurde damals Dreithaler durch den Rechtsanwalt Kolja Kubíèek, der sich im Gespräch mit Radio Prag an die Ausgangslage seines Mandanten und des ganzen Falles zurückerinnert. Das zuerst erwähnte Dekret, welches im August 1945 erlassen wurde, hatte zur Folge, dass alle tschechoslowakischen Staatsbürgern deutscher Nationalität die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft verloren hatten. Das zweite Dekret vom September gleichen Jahres führte wiederum zur Enteignung sämtlichen Eigentums von ehemaligen Bürgern deutscher Nationalität, denen dafür keine Entschädigung zustand. Der Vorstoß Dreithalers in der Sache der Aufhebung der Bene-Dekrete schlug damals in Tschechien hohe Wellen. Würden diese Rechtsnormen aufgehoben werden, meinten viele Juristen, wäre damit nicht nur der ganze Restitutionsprozess ins Wanken geraten. Gefährdet wäre nämlich vor allem die s.g. kleine Privatisierung, die gegen Ende des Jahres 1994 zu mehr als zwei Dritteln abgeschlossen war und in deren Rahmen vom Staat z.B. Immobillien verkauft wurden, in denen sich Geschäfte und andere kleine Unternehmen befanden. Vor allem im Grenzgebiet mit Deutschland und Österreich, also im früheren Siedlungsgebiet der deutschen Minderheit handelte es sich somit fast ausschließlich um den Verkauf enteigneten Eigentums.

Wie haben damals die Richter in der Sache der Bene-Dekrete entschieden, fragte Radio Prag Anwalt Kolja Kubícek: Das Verfassungsgericht hat sich dann laut Kubícek für die dritte Möglichkeit entschieden und erklärt, die Dekrete des Präsidenten Benes seien geltendes Recht und blieben es auch. Die sich aus diesen Rechtsnormen ergebenden Folgen für die Mitglieder des deutschen Volkes oder für Personen, die dafür gehalten werden konnten, sei gemäss der Auffassung der Verfassungsrichter eine gerechte Kollektivstrafe für die Zugehörigkeit zu einem Volk, das in der Zeit zwischen 1938-1945 ein diktatorisches Regime unterstützt habe. Diese Ausführungen dienten als Grundlage der Urteilsbegründung, womit das Verfassungsgericht eindeutig die Aufhebung der Dekrete ablehnte.

Für Rudolf Dreithaler selbst, war jedoch der fast sieben Jahre dauernde Rechtsstreit nicht ganz umsonst gewesen. Obwohl die von ihm in Frage gestellten Bene-Dekrete vom Plenum des Verfassungsgerichts nicht aufgehoben wurden, kam ein Senat des Gerichts zum Schluss, dass bei der Enteignung des Hauses von Dreithalers Eltern im Widerspruch selbst zur damaligen Gesetzeslage vorgegangen wurde und der Enteignungsbeschluss somit von Beginn an ungültig war. Auf andere, von Dreithaler ebenfalls ins Spiel gebrachten, Rückgabeforderungen hatte somit die Feststellung im besagten Fall keinen Einfluss.

Doch zurück zur aktuellen Diskussion um die Dekrete. Radio Prag fragte Anwalt Kubícek, ob er im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Debatte eine Art Genugtuung empfinde, denn schließlich war er es, der mit seiner Klage vor dem tschechischen Verfassungsgericht die Sache in einer Zeit ins Rollen brachte, wo das Thema Benes-Dekrete als weitgehend tabu galt: Anwalt Kubícek meint, dass diese Frage noch vor dem Beitritt Tschechiens gelöst werden muss, denn er könne sich nicht vorstellen, dass Tschechien sonst Mitglied der Gemeinschaft werden könne. So zu tun, als ob der gegenwärtige Stand aufrechtgehalten werden könnte, d.h., dass die Dekrete geltendes Recht sind, hält der Anwalt im Gespräch mit Radio Prag für unmöglich. Entweder müssten diese Normen aufgehoben werden oder tatsächlich für ungültig erklärt werden, meinte Kubíèek. Zudem werde laut dem Anwalt bei der gegenwärtigen Diskussion ein wichtiger Aspekt aus den Augen verloren und wie er meint, fast verdrängt: Nach der Wende, als mit der Rückgabe des enteigneten Eigentums begonnen wurde, wurde mit dem 25. Februar 1948, also dem Tag der offiziellen kommunistischen Machtergreifung, eine Art Grenze für mögliche Rückgabeansprüche gezogen. Eigentum, welches also zuvor - auch auf Grund der Bene-Dekrete - konfisziert wurde, blieb somit vom Beginn an vom tschechischen Restitutionsprozess ausgeschlossen. Dieser Umstand wurde schon damals von vielen Juristen bemängelt und die besagte Grenzziehung als willkürlich bezeichnet. Zu den Kritikern dieser Regelung gehörte nicht erst seit seiner Vertretung der Forderungen Rudolf Dreithalers auch Rechtsanwalt Kubícek, wenn er abschließend meint: Liebe Hörerinnen und Hörer, damit sind wir wieder am Ende unserer heutigen Schauplatz-Sendung angelangt. Vom Mikrophon verabschieden sich von Ihnen recht herzlich Silja Schultheis und Robert Schuster.