Reise in die Vergangenheit – das Erbe der Chroniken im Kreis Tachov

Chronik aus der Hitlerzeit (Lom u Tachova) (Foto: Staatliches Bezirksarchiv Tachov)

In Tschechien hat die Ferienzeit begonnen. Der Kreis Tachov / Tachau im westböhmischen Grenzgebiet gehört zu den beliebten Urlaubszielen für all jene, die Interesse an Natur, Kultur und Geschichte haben. Wer Lust hat, sich auf eine besondere Entdeckungsreise zu begeben, sollte das Staatliche Bezirksarchiv in Tachov besuchen, um mehr über die Besonderheiten der Region zu erfahren. In den ehemals von Deutschen besiedelten Ortschaften des Kreises hat sich vor allem in Folge des Zweiten Weltkriegs und der kommunistischen Herrschaft ein großer Wandel vollzogen. Diesem Wandel nachzugehen, kann mit Hilfe eines Experten kann zu einer spannenden Reise in die Vergangenheit werden. Wertvolles Erbe der Geschichte sind dabei die zahlreich erhaltenen Chroniken, die von der bewegten Geschichte der Region erzählen.

Chronik aus der Hitlerzeit  (Lom u Tachova)  (Foto: Staatliches Bezirksarchiv Tachov)
Bei der Autofahrt durch die Ortschaften Planá / Plan, Boněnov / Punnau oder Michalovy Hory / Michelsberg wechseln sich reizvolle Landschaften und Feriendomizile mit halbzerfallenen Kirchen und verlassenen Häuserruinen ab. Einige Ortschaften – wie etwa der Ort Výškovice – sind bis auf wenige Bauten ganz verschwunden. Wer etwas über die Geschichte der Region erfahren möchte, ist auf Kenner der Region oder auf die wenigen verbliebenen Zeitzeugen angewiesen. Einer von ihnen, der über 80-jährige Friedrich Altmann, erinnert sich:

„Ich bin gebürtiger Deutscher aus Michalovy Hory. Ich bin hier geblieben, weil die Eltern Spezialisten waren. Ich war in der Armee und kam im Jahr 1945 nach Hause. In den 50er Jahren habe ich hier in der Papierfabrik gearbeitet, die aufgelöst wurde und aus der ein nationaler Betrieb wurde, und bin dann auf den staatlichen Hof nach Chodová Planá gegangen, der in den folgenden Jahren entstand. Anschließend war ich Verwalter für die Region Výškovice, Boněnov, Hostíčkov und Michalovy Hory.“

Es sei ihm, so Friedrich Altmann, der seit vielen Jahren nur noch tschechisch spricht, nicht bekannt, ob Dokumente, darunter etwa die Dorfchronik aus dem aufgelösten Dorf Výškovice erhalten geblieben seien:

Chronik der Gemeinde Krizenec  (Foto: Staatliches Bezirksarchiv Tachov)
„Damals im Jahr 1945 wurde alles, was den Deutschen gehörte, hinters Dorf gebracht und verbrannt. Die Leute, die nach dem Jahr 1945 hierher kamen, wussten nicht, welche Dinge von den Deutschen verbrannt wurden.“

Dass auch die Dorfchronik den Flammen zum Opfer fiel, lässt sich deswegen nicht mit Bestimmtheit sagen. Es ist durchaus möglich, dass in einigen Ortschaften eine solche auch gar nicht geführt wurde, wie der Direktor des Staatlichen Bezirksarchivs in Tachov, Jan Edl, erläutert:

„Das Gesetz Nummer 80 aus dem Jahr 1920 über Gedenkbücher, das aus nur vier Paragraphen besteht, sagt, dass jede Gemeinde verpflichtet ist, ein Gedenkbuch anzulegen und zu führen. Die Verpflichtung gab es, aber natürlich hat das keiner eingefordert. Das heißt, wenn eine Gemeinde keine Chronik führen wollte, hat sie eben keine Chronik geführt.“

Wie viele der 213 Gemeinden im Kreis Tachov eine Chronik geführt haben, lässt sich immerhin schätzen. Etwa die Hälfte, maximal zwei Drittel des Bestandes liegen heute in den gut gesicherten Räumen des Archivs und können auf Anfrage eingesehen werden. Die Reihe der Chroniken, die von den Ereignissen in den ehemals von Deutschen besiedelten Städten und Dörfern berichten, haben beim Weggang der Deutschen nach 1945 unterschiedliche Schicksale erfahren. Manche habe man nur in schwer beschädigtem Zustand und kaum leserlich wieder gefunden, andere Chroniken hatten für die ehemaligen deutschen Einwohner einen hohen Erinnerungswert und wurden nach Deutschland mitgenommen, so Jan Edl.

Alte Papiermühle in Michalovy Hory  (Foto www.chodovaplana.cz)
Auch an den Chroniken, die im Archiv von Tachoverhalten sind, ist die Zeit des Zweiten Weltkrieges nicht spurlos vorübergegangen. Erhalten sind die von den Nationalsozialisten herausgegebenen, vorgedruckten Chroniken mit dem Titel „Unser Dorfbuch“, die mit der Eintragung der im Ersten Weltkrieg gefallenen Soldaten begannen und ab 1940 die ursprünglichen Chroniken ersetzen sollten. Nur dort, wo die alten Chroniken fortgeführt wurden, wird die politische Lage jener Zeit deutlich – beispielsweise, wie die deutsche Bevölkerung die Ankunft der deutschen Besatzer begrüßt. Jan Edl:

Gedenkbuch der Gemeinde Obora,  1925  (Foto Staatliches Bezirksarchiv Tachov)
„In den Chroniken, in denen der Zeitraum erhalten ist, ist meistens die erste Begeisterung zu erkennen. Doch bereits um das Jahr 1942 herum - und nach Stalingrad dann definitiv - sind die Ernüchterung und die Ängste vor dem, was kommen wird, heraus zu erkennen, weil es auf der Hand lag, dass der Krieg verloren geht.“

Das Ende des Zweiten Weltkrieges brachte auch das Ende der in deutscher Sprache geschriebenen Chroniken mit sich. Die Gesetzestexte und Bekanntmachungen zum Erstellen der Chroniken aus den Jahren 1920 und 1932 waren noch zweisprachig verfasst – deutsch und tschechisch. Nach dem Weggang der deutschen Bevölkerung, die über 90 Prozent im Kreis Tachov ausgemacht hatte, wurde nur noch die tschechische Sprache als alleinige Amtssprache anerkannt. In den kleineren Ortschaften waren es meistens Lehrer, die die zeitlich aufwendige Arbeit des Chronisten übernahmen und handschriftlich mit Tinte die Geschichte des Ortes und ihrer Ereignisse festhielten. Dass es bereits in den 50er Jahren der kommunistischen Herrschaft zu Unstimmigkeiten in den neu besiedelten Gemeinden kam, hat der Chronist der Ortschaft Obora festgehalten. Dort haben sich die Einwohner gegen die Einführung des russischen Weihnachtsbrauchs gewehrt:

„In diesem Jahr ist erstmals in unserer Gemeinde ein Weihnachtsbaum aufgestellt worden. Der Baum wurde von der Vereinigung der tschechischen Jugend aufgestellt, aber zur geplanten Aktion „Väterchen Frost“ kam es nicht, aufgrund des Widerstandes der angesiedelten Bewohner. Wahrscheinlich sahen sie darin einen Eingriff in ihre orthodoxe Religionszugehörigkeit und sie waren nicht bereit ihr Christkind gegen einen „frierenden Opa“ einzutauschen, wie sie das Väterchen Frost benannten.“

Erlass zur Führung von Memorabilienbücher,  1835  (Foto: Staatliches Bezirksarchiv Tachov)
Die Vielzahl der Begebenheiten und Informationen, die festgehalten wurden, ist vor allem den unterschiedlichen Arten der Chroniken zu verdanken. So erfahren wir aus den Schulchroniken etwas über das Bildungswesen und die Pfarrchroniken berichten über das Leben im Pfarrbezirk. Zudem führte fast jeder Verein eine eigene Chronik wie zum Beispiel die freiwillige Feuerwehr, die Sportvereine, ehemalige sozialistische Arbeitsgemeinschaften oder Pionierverbände. Eine der eindruckvollsten Chroniken aus dem Kreis Tachov ist die der kleinen Ortschaft Kříženec / Kiesenreuth aus dem Jahre 1925, die sich, so Jan Edl, durch ihre besondere Gestaltung auszeichnet:

„In ihr ist mit Farben, die auf Papier halten und es nicht zerstören, festgehalten, wo die Herrschaft gesiedelt hat und wer dem Geschlecht Kříženec angehörte. Dazu kommt ein Verzeichnis von Karten der Herrschaft Kříženec aus dem Jahre 1839 und von verschiedenen Siedlungen und Mühlen sowie die Wappen von Schlick und Žeberk, denen die Herrschaft in Planá gehörte.“

Dorfchroniken werden aber auch heute geführt. 2006 wurde ein neues Gesetz verabschiedet, das dies den Gemeinden erneut zur Pflicht gemacht hat. Im Gesetzestext heißt es, dass Chroniken vor allem einen Zweck erfüllen sollen: Nachrichten über erinnerungswürdige Ereignisse der Gemeinde festzuhalten, um zukünftige Generationen zu informieren und zu belehren. Mit der Fortschreibung der Chroniken dürften diese erneut zu einem wertvollen Erbe der Geschichte werden.