Rentenreform – ein Evergreen tschechischer Politik
Das Wort „Rentenreform“ aus dem Mund tschechischer Politiker hört sich wie ein Mantra an. Seit den 1990er Jahren wurde immer wieder die Notwendigkeit betont, das aus der kommunistischen Zeit vererbte Rentensystem umfassend zu reformieren. Bis heute ist das nicht gelungen. Ihre Ambition, die tschechische Altersvorsorge von Grund auf umzukrempeln, hat im letzten Sommer auch die neue Regierung von Petr Nečas in ihrer Programmerklärung verankert. Viele Tschechen stellen sich daher die Frage, wie hoch, oder vielleicht wie niedrig die gesetzliche Altersrente in Zukunft sein wird.
„Bei der Vorbereitung der großen Rentenreform befinden wir uns keineswegs am Nullpunkt. Es wurden diverse Veränderungen bei Grundparametern des Rentensystems vorgenommen, die für den geplanten Start einer großen Rentenreform sehr wichtig sind.“
2008 gelang es der damaligen Mitte-Rechts-Regierung mit ihrer knappen Stimmenmehrheit im Parlament einige rentenrechtliche Gesetzesänderungen durchzusetzen, die seit 1. Januar 2010 in Kraft sind. Das Kabinett Nečas bezeichnet sie als „erste Etappe der Rentenreform“. Angehoben wurde zum Beispiel die beitragspflichtige Zeit von 25 auf 35 Jahre. Nicht mehr angerechnet für die Rentenbemessung wird hingegen die Zeit des Hochschulstudiums. Doch von einer besonders einschneidenden Neuregelung kann man vor allem in Bezug auf das Renteneintrittsalter sprechen.Dieses wird sich im Laufe der nächsten 20 Jahre schrittweise, und zwar je nach Geburtsjahrgang bis auf 65 Jahre erhöhen. Bei Frauen wird nach wie vor differenziert nach der Zahl der Kinder. 2030 soll das Rentenalter für Männer und jene Frauen, die kein oder ein Kind großgezogen haben, zum ersten Mal gleichermaßen bei 65 Jahren liegen. Für die Mütter von zwei, drei und vier oder mehr Kindern bewegt sich das Rentenalter jetzt zwischen 64 und 62 Jahren. Noch vor wenigen Jahren dagegen konnten die Mütter von zwei Kindern schon mit 55 Jahren in den Ruhestand gehen. Drei und vier beziehungsweise fünf großgezogene Kinder begründeten wiederum den Rentenanspruch mit 54 und 53 Jahren.
Anfang Oktober fand in Prag die traditionelle internationale Konferenz „Finanzforum Zlatá koruna“ statt. Diesmal unter dem Leitmotiv „Werden wir arme Rentner sein?“ Als Antwort auf die suggestive Frage gab es vom Rednerpult eine Hiobsbotschaft von Regierungschef Nečas zu hören:„Wenn sich die Generation der heute 40-Jährigen und der Jüngeren lediglich auf das vom Staat finanzierte Umlagesystem verlassen will, muss sie nach dem Renteneintritt mit dem Leben in Armut beziehungsweie an der Armutsgrenze rechnen.“
Das Umlageverfahren stellt in Tschechien den alleinigen Grundpfeiler der Rentengarantie dar. In Zeiten rückläufiger Geburtenraten, höherer Lebenserwartungen, nachlassender Beschäftigungschancen und stagnierender Wirtschaftsleistung gerät er jedoch ins Wanken. Die Rentenzahlungen sind nicht mehr nur mit den eingezahlten Versicherungsbeiträgen zu finanzieren. Noch vor zwei Jahren glaubte die politische Repräsentanz Tschechiens, dass mit der Anhebung des Renteneintrittsalters eine ausreichende Entlastung der Umlagefinanzierung mindestens bis 2030 geschaffen wurde. Petr Nečas:„Die getroffenen Maßnahmen sollten einen eindeutig stabilisierenden Effekt für unser Rentensystem haben - unter der Voraussetzung, dass das Wirtschaftswachstum bis etwa 2030 anhalten würde. Ist aber so eine Voraussetzung nicht erfüllt und tritt stattdessen ein Wachstumsrückgang ein, macht sich das sofort überall am Schmelzen der Rücklagen bemerkbar.“Die optimistische Prognose ging also nicht auf. Nach den fetten Jahren der Wirtschaftskonjunktur zwischen 2006 und 2008, als die Wachstumsrate die Marke von sechs Prozent erreichte, hat die globale Wirtschaftskrise incsob vielerlei Hinsicht auch in Tschechien zugeschlagen. Als logische Konsequenz gilt das sprunghaft angestiegene Defizit der Rentenkasse, die sich im letzten September auf umgerechnet 1,2 Milliarden Euro belief. Diese Entwicklung mache einen umfassenden Umbau des Rentensystems dringend nötig, behaupten schon wieder Politiker und Ökonomen. Das Ziel ist jetzt eine Diversifikation der Rentenfinanzierung. Arbeitsminister Drábek sputet sich:
„Mein Wunsch ist, dass bis zum Jahresende eine breit angelegte Debatte zwischen den Parteien zustande kommt. Aufgrund einer womöglich allgemeinen politischen Übereinkunft könnten wir im ersten Quartal kommenden Jahres konkrete legislative Maßnahmen zur Erweiterung des Umlageverfahrens um eine kapitalgedeckte Finanzierungssäule vorbereiten.“Die kapitalgedeckte private Vorsorge, die Drábek so schnell wie möglich unter das Dach der Altersversorgung stellen will, soll vor allem Menschen unter 40 Jahren zum Privatsparen motivieren, um dadurch ihre künftigencsob Renten aufzustocken. Auf den Arbeitsminister wartet allerdings eine harte Kraftprobe. Der viel diskutierte Vorschlag, einen Teil der Gelder aus dem staatlichen Umlagesystem auf individuelle Konten der Beitragszahler zu überführen und diese von privaten Pensionsfonds verwalten zu lassen, ist nämlich für die Opposition unannehmbar. Eine Privatisierung dergesetzlichen Rentenversicherung werde man nie zulassen, verlautete kürzlich aus ihrem Lager. Eine derart „radikale“ Rentenreform halten weder die Kommunisten (KSČM) noch die Sozialdemokraten (ČSSD) überhaupt für nötig. Der Finanzexperte der Sozialdemokraten, Jan Mládek:
„Die Rentenfinanzierung ist ein Problem vieler Industrieländer, zum Beispiel Deutschlands und Frankreichs, aber auch Polens. Wenn es hierzulande nicht mit der Geburtenrate aufwärts geht und auch keine relevante beziehungsweise sinnvoll gesteuerte Imigrationswelle herbeizuführen ist, taucht dasselbe Problem mit einer wesentlichen Verspätung auch bei uns auf. Doch jetzt handelt es sich keineswegs um eine akute Situation, wie man uns ständig einzureden versucht.“
Ähnlich gelassen sieht das auch der Chefökonom der Raiffeisenbank Tschechien und ehemalige sozialdemokratische Finanzminister, Pavel Mertlík:
„Es geht in der Tat nicht um ein fatales Problem. Als eine Lösung bieten sich weitere Änderungen der rentenrechtlichen Parameter an. Selbstverständlich sind aber auch Systemänderungen möglich - zum Beispiel durch die Einrichtung einer zweiten Finanzierungssäule.“Je später desto schlimmer. So schlägt wiederum der makroökonomische Wirtschaftsexperte im Bankhaus ČSOB, Tomáš Sedláček Alarm:
„Wenn wir jetzt die Gelegenheit für die Rentenreform verpassen, läuft das System noch 20 oder 30 Jahre weiter, aber dann wartet schon das griechische Szenario.“
Ob die Rentenreform mit dem 1. Januar 2012 in Kraft treten wird, wie es sich Arbeitsminister Drábek wünscht, bleibt angesichts der kontroversen Debatte fraglich. Alles deutet darauf hin, dass die Rentenreform auch für die Regierung Nečas eine harte Nuss sein wird. Diese befindet sich allerdings im Vergleich zu der Vorgängerregierung in einer besseren Position. Mit einer bequemen Stimmenmehrheit im Abgeordnetenhaus könnte sie ihr Reformkonzept reibungslos auch gegen den Willen der Opposition durchsetzen.