Revolution in der Landwirtschaft: Der Ruchadlo-Pflug der Cousins Veverka
Kaum eine tschechische Erfindung dürfte im Ausland so in Vergessenheit geraten sein, wie der sogenannte Ruchadlo-Pflug der Cousins Veverka. Dabei hat das Gerät damals die Landwirtschaft revolutioniert. Auch in den benachbarten deutschen Ländern setzte sich diese Art von Pflug durch und blieb für gut ein halbes Jahrhundert eine wichtige Ausrüstung der Bauern. Mehr über den Ruchadlo und die Veverkas nun in unserer Serie „Czech Made – Erfindungen und Marken aus Böhmen und Mähren“.
Bis in die frühe Neuzeit wurde die Landwirtschaft in Mitteleuropa noch ziemlich primitiv betrieben. Es dominierte die sogenannte Dreifelderwirtschaft. Ein Drittel der Anbaufläche lag also jeweils brach und diente dem Vieh als Weideland. Doch im Zuge der landwirtschaftlichen Revolution ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ging man zur Fruchtwechselwirtschaft über. Das hieß, dass vermehrt auch Hackfrüchte auf den Äckern gepflanzt wurden – die neu eingeführte Kartoffel genauso wie etwa Rüben –, sowie Lein oder Hanf.
Der Historiker František Šebek ist Fachmann für die Geschichte Ostböhmens – also jene Gegend, in der die Cousins Veverka lebten. In den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks beschrieb er vor einiger Zeit, welche Anforderungen der Fruchtfolgewechsel an die Bauern stellte:
„All diese Futterpflanzen oder Pflanzen für technische Zwecke brauchen eine tiefe Bodenbearbeitung. Selbstverständlich wurde dies auch schon damals praktiziert. Doch im Raum Pardubice tat man das mit dem sogenannten Trautenauer Schwunghaken. Zu seiner Bedienung musste der Bauer mit aller Kraft auf den Pflug drücken und sich dann zur Seite neigen, um die Erde umzugraben. Das war eine fürchterliche Plackerei. Für große Flächen war dieser Haken nicht geeignet. Deswegen begann man überall in Europa darüber nachzudenken, wie sich die Arbeit erleichtern ließe. In Holland oder Amerika wurden unterschiedliche Arten von Pflügen ersonnen. Und der Ruchadlo der Cousins Veverka war eine der Erfindungen, die sich in der Folge stark verbreiteten.“
Zwei Funktionen in einem
František Veverka war in den 1820er Jahren ein Großbauer im Ort Rybitví / Rybitew nahe der Elbe bei Pardubice / Pardubitz. Allerdings hatte er finanzielle Probleme, da er seine Geschwister ausbezahlen musste und seine kranke Frau Geld für ihre Medikamente brauchte. Also konnte er keine Knechte anstellen für die Arbeit auf den Feldern. Deswegen wollte er die Bestellung seiner Äcker vereinfachen. Historiker Šebek:
„Er verband die Vorteile der beiden damals gebräuchlichen Pflüge: des Trautenauer Schwunghakens mit seiner Pflugschar, der den Boden aufbrach, sowie des Beetpflugs vom Prager Typ, der den Boden in eine Richtung wendete, aber nicht gerade tief ins Erdreich eindrang. Das war beim Getreideanbau auch nicht nötig, dafür ließ sich das Gerät leicht handhaben. František Veverka befestigte also eine Schar an einem Beetpflug. Der erste Versuch misslang. Erst als er mit der Form des Streichbretts experimentierte und dieses zylinderartig bog und schräg stellte, wurde aus dem Beetpflug ein Gerät, das den Erdstreifen um seine Achse umwarf, brach und krümelte.“
Das Besondere daran war, dass das Streichbrett eine nach oben steiler werdende Form erhielt. Auf diese Idee kam František Veverka, weil er auch als Wagner ausgebildet war…
„Einer der Hobel, den Wagner verwenden, hatte ein ähnlich gebogenes Messer wie das Streichblech des Ruchadlo-Pflugs. Dies brachte Veverka auf den richtigen Gedanken. Nun brauchte er nur noch seinen Cousin, der Schmied war. Václav Veverka, so sein Name, hatte also an der Konstruktion des ersten Ruchadlo wohl nur einen kleinen Anteil. Das heißt, er schmiedete das, was ihm sein Cousin František zeigte“, so der Geschichtswissenschaftler.
Die ersten Versuche machten die Vettern Veverka schon 1824. Doch letztlich dauerte es drei Jahre, bis sie die richtige Form fanden und den neuen Pflug auch ihren Nachbarn erfolgreich vorführen konnten. Damit war der steilwendende Sturzpflug geboren. Ähnliche Erfindungen tauchten wenig später beispielsweise in England oder Flandern auf. Ebenso wurde im schwäbischen Hohenheim Vergleichbares gefertigt. Doch die Konkurrenzprodukte waren teils zu kompliziert in der Konstruktion oder nicht geeignet für leichtere Böden. Šebek:
„Der Witz am Ruchadlo war, dass er nicht von ausgebildeten Ingenieuren erfunden wurde und sich daher anders als die anderen Varianten schnell verbreitete. Denn die Menschen auf dem Land brauchten dafür nichts Anderes als ihren Beetpflug sowie einen Schmied aus dem Dorf und ein Stück Eisen beziehungsweise Blech. So konnte der Schmied ihnen das entsprechende Streichbrett formen. Im Gegensatz zu all den anderen Erfindungen war dies billig und einfach zu bewerkstelligen. Man konnte also so weiterpflügen, wie man es von seinen Vorfahren gelernt hatte.“
Einfache Handhabung und stabile Konstruktion
Die Pflüge dieser Art wurden zum Hit. Auch in den deutschen Ländern nutzte man den Begriff „Ruchadlo“. In einem Beitrag für die Zeitschrift für hessische Geschichte von 2002 hat dies beispielsweise Siegried Becker beschrieben und mit zahlreichen Zitaten belegt. So schrieb Friedrich Kirchhoff im Jahr 1847 in seinem landwirtschaftlichen Hand- und Lehrbuch „Der deutsche Landwirth“:
„Dieser Pflug gehört mit unter die besten Ackerwerkzeuge und kommt in Böhmen selbst, jetzt aber auch in andern deutschen Ländern immer mehr in Gebrauch. Er empfiehlt sich besonders durch seine außerordentliche Einfachheit und Festigkeit in der Bauart. Derselbe kann auf jedes gewöhnliche Vordergestell gelegt werden. Nur dadurch unterscheidet er sich von anderen Ackerpflügen, daß Schar und Streichbrett von einem einzigen Stück Eisen zusammengesetzt sind, und auf dessen Stellung und Form die Leistung des ganzen Pfluges beruht, wodurch sich nun auch derselbe vor allen anderen Pflügen besonders auszeichnet.“
Der Ökonomierat Heinrich Wilhelm Pabst leitete von 1831 bis 1839 den von ihm gegründeten landwirtschaftlichen Zentralverein im Großherzogtum Hessen. Bei einer der zahlreichen Pflugproben notierte er zum Ruchadlo:
„Die Führung war so leicht, daß ein Knabe von 10 Jahren, der noch niemals einen Pflug geführt, eine ganze Furch damit gut ackerte, und man den Pflug auch ohne an die Sterze zu greifen, mehrere Klafter Länge ganz stet im Boden fortgehen sah.“
Solche Lobeshymnen wurden also auch in Deutschland auf den Ruchadlo gesungen. Allein, die Cousins Veverka hatten davon nichts. Denn ihnen fehlte der Geschäftssinn, und sie meldeten auch kein Patent an.
„Die beiden Veverkas wurden eines Tags vom Händler Karel Podhajský aus Lázně Bohdaneč überredet und stellten ihm ein Modell zur Verfügung. Dieser ließ dann eine größere Zahl Schare fertigen und verkaufte sie. Aber auch Podhajský meldete kein Patent an. Der Ruchadlo verbreitete sich jedenfalls immer weiter. Und 1832 auf der Landwirtschaftsausstellung in Prag wurde dann das Gerät unter dem Namen Kainzpflug präsentiert. Der Wirtschaftsbeamte Jan Kainz hatte diesen fertigen lassen“, schildert Historiker Šebek.
Da sich Kainz zu den Deutschen in Böhmen zählte, entstand in der Folge eine nationalistische Auseinandersetzung um die Urheberschaft am Ruchadlo. Jene, die sich zum Tschechischsein bekannten, kämpften dafür, dass die Erfindung richtigerweise den Cousins Veverka zugeschrieben wurde. Bis dies 1882 endgültig bestätigt wurde, waren die beiden Erfinder aber schon längst in Armut gestorben. Dazu der Fachmann:
„Václav Veverka war Witwer geworden. Er heiratete erneut, verkaufte seine Schmiede und zog ins Dorf Bukovina. Seine Hütte dort brannte ab, er baute sie aber neu auf. Im Februar 1849 starb er im Alter von nicht ganz 55 Jahren. Seinen Kindern hinterließ er nur Schulden. Das Schicksal von František Veverka war beinahe noch härter. Die zweite Ehe nach dem Tod seiner ersten Frau war nicht glücklich. Er wurde apathisch und begann zu trinken. Man verkaufte ein Feld nach dem anderen und gab letztlich den Hof auf. Die Familie zog zunächst in den Ort Břeh bei Přelouč. Auch seine Hütte brannte ab, doch Veverka hatte keine Kraft mehr, sie neu aufzubauen. Und so kamen die Veverkas im ehemaligen Schlachthof am Rand von Přelouč unter, wo František dann wie sein Cousin im Februar 1849 starb.“
Erst mehr als 30 Jahre später erhielten die beiden Cousins die ihnen gebührende Anerkennung. Nachdem ihre Autorenschaft am Ruchadlo behördlich bestätigt wurde, baute man ihnen 1883 zwei Denkmäler: eines in ihrem Heimatort Rybitví und ein weiteres in Pardubice. Zur Enthüllung des Doppel-Standbildes in der damaligen 10.000-Einwohner-Stadt kamen zeitgenössischen Zeitungsberichten zufolge annähernd 30.000 Zuschauer. Es sprach unter anderem Ladislav Rieger, einer der Vorreiter der nationalen Wiedergeburt. Und der Ingenieur František Křižík ließ in Pardubice aus diesem Anlass elektrische Beleuchtungen in den Straßen installieren. Es war also ein außergewöhnlich großes Ereignis.
In Rybitví gibt es übrigens noch das Haus von Václav Veverka, vor dem auch das Denkmal für die beiden Cousins steht. Allerdings lassen sich die Innenräume, in denen ein kleines Museum eingerichtet ist, derzeit nicht besichtigen.