Roma in Tschechien

Logo des Festivals Khamoro

Im April dieses Jahres meldete die tschechische Presseagentur CTK: "An die 20 Roma-Familien aus dem Landkreis Ostrava/ Ostrau sind in den letzten sechs Wochen nach Großbritannien ausgewandert." Gleiche Nachrichtenagentur, zwei Monate später - also im Juni: "Rund 15 Familien aus der Region Most bereiten sich auf ihre Übersiedlung nach England und Irland vor." Dies sind nur zwei der Meldungen, die in schöner Regelmäßigkeit, alle paar Wochen, über die Ticker in den Nachrichtenredaktionen eintreffen. Gelegentlich abgewechselt von der Information, dass wieder einmal irgendein oder irgendeine Roma irgendwo in Tschechien von irgendeinem Skinhead oder auch von einem politisch völlig unmotivierten Bürger dieses Landes zusammengeschlagen, genötigt oder vergewaltigt wurde. Auch solche Ereignisse können eine Ursache für den zunehmend verstärkten Exodus der Roma sein - obwohl das die Mehrheit der tschechischen Politiker gerne wegargumentiert. Mehr zu diesem Thema erfahren Sie im heutigen Schauplatz von und mit Olaf Barth.

Was tut sich also in der Tschechischen Republik - ist die Situation für die Roma hierzulande tatsächlich so unerträglich, sind sie gar massiv bedroht oder ist es vielmehr so, wie die einheimischen Politiker beinahe unisono behaupten, dass die Roma nämlich nur aus wirtschaftlichen Gründen flüchten würden?

Vordergründig hat sich in Tschechien während der letzten 2-3 Jahre in der Roma-Frage einiges getan. Nicht zuletzt durch die kritischen Stellungnahmen von "Amnesty international" und das außergewöhnliche Interesse ausländischer Medien an dem berüchtigten Mauerbau von Usti/ Aussig ist man auch in Tschechien vielerorts auf die Problematik aufmerksam geworden.

Und: Die Roma selbst beginnen sich zu organisieren. Ende März versammelten sich in Beroun bei Prag Vertreter verschiedener Roma-Regionalorganisationen und bildeten einen sogenannten Krisenausschuss. Ziel dieses Ausschusses ist es z.B. überregional koordiniert gegen die sich verschlechternde Situation der Romagemeinden vorzugehen und zu einer Verbesserung der Kommunikation mit den lokalen Behörden zu gelangen, betont der Ausschusssprecher Ondrej Gina.

Kulturveranstltungen der Roma häufen sich und man gelangt so vermehrt ins Bewusstsein der Bevölkerung und kann gezielter auf Missstände aufmerksam machen. Zum ersten Mal begang man in diesem Jahr auch in Tschechien den 8. April, den Internationalen Tag der Roma. Die aus diesem Anlass abgehaltene Kultur- und Informationskampagne sollte zum einen die Roma an ihre eigenen Traditionen erinnern, zum anderen aber auch die Akzeptanz und Toleranz ihrer tschechischen Mitbürger stärken helfen, so der Veranstalter, der Kulturverein "Athinganoi".

Logo des Festivals Khamoro
Ende Mai fand dann in der tschechischen Hauptstadt bereits zum dritten Mal das internationale Festival der Roma-Kultur "Khamoro" statt. Auf dem Programm standen auch Fachkonferenzen zu den aktuellen Problemen, mit Titeln wie z.B. "Die Migration der Roma als ein Gegenwartsphänomen" oder "Die Roma und die Europäische Union". Der Präsident der Internationalen Roma-Union (IRU), Emil Scuka, stellte in seinem Referat u.a. fest, dass die Vereinbarungen, die das Flüchtlingsstatut betreffen, mehr als 50 Jahre alt seien und dass die Bedingungen für die Erteilung eines Flüchtlingsstatuts geändert werden müssten. Und zur Bedeutung solcher Festivals meinte er:

"Jedes Volk braucht und hat seine Kultur. Und Kultur zwischen den Völkern ist so etwas wie eine Sprache. Wir erwarten, dass wir uns einander annähern. Aber auch dass wir uns anderen mehr öffnen. Das Festival kann eine gute Sprache sein, in der wir uns gegenseitig verstehen. Es ist etwas Positives, das die Türen dort öffnen kann, wo sie verschlossen sind. Dazu ist Kultur da."

Jan Horvath, Romaaktivist und beim Bezirksamt im nordmährischen Novy Jicin für die Roma- Kommunität zuständige Sozialarbeiter, schilderte seine Erfahrungen:

"Wir haben Informationen darüber, dass 15 Roma-Familien aus Novy Jicin in der letzten Zeit nach Großbritannien emigriert sind. Glauben Sie mir, ich bin selbst darüber traurig, dass Roma, die hier ihre Wurzeln haben, manchmal gezwungen sind, vor dem Rassismus zu flüchten. Damit meine ich nicht einen staatlichen Rassismus, den gibt es bei uns nicht, sondern die Übergriffe der Skinheads."

Wie Jan Horvath weiter betonte, lieben die Roma die Freiheit über alles, aber in Tschechien vermissen sie diese Freiheit und er führt weiter aus:

"In den Regionen herrscht auf den Ämtern noch Totalität. Es gibt dort Beamte, die gegen die Roma stark voreingenommen sind, und die Roma fühlen diese Diskriminierung. Überall, wo ich in Westeuropa war - in England, in Schweden, Italien - nirgendwo habe ich gespürt, dass ich ein Roma bin, sondern ich wurde als ein normaler Bürger dieses Landes empfangen. Dies fehlt uns Roma hierzulande, dass man nicht mehr mit dem Finger auf uns zeigt und sagt: ´Guck mal, ein Zigeuner.´"

Diese Einschätzungen des Sozialarbeiters können auch betroffene Roma nur bestätigen, einige Beispiele:

Herr Stefan, Vater von 6 Kindern aus der bekannten Siedlung Chanov in Most, deren Bewohner, zumeist Roma, ohne Arbeit und hoch verschuldet und aus der - wie eingangs erwähnt - etliche Familien in diesen Tagen ihrer Heimat für immer den Rücken kehren wollen:

"Seit 1976 lebe ich in dieser Siedlung. Mit meiner großen Familie bewohne ich nur eine 1+1Wohnung. Täglich gehe ich auf das Wohnungsamt und täglich bekomme ich dort die gleiche Antwort: Sie müssen eben noch ein wenig Geduld haben...

Eine Arbeit habe ich nicht. Meine Familie lebt von meiner Teil-Invaliden-Rente. Dazu kommt noch das Kindergeld und der Elternbeitrag, den meine Frau bezieht. Das Geld reicht uns auf keinen Fall. Vier der sechs Kinder besuchen eine Schule, sie brauchen auch Geld. Wenn ich die Miete und die Nebenkosten bezahle, bleiben uns nur noch 4 000 Kronen übrig. Davon kann man nur schlecht leben.

Oft muss ich mir Geld beim Wucherer leihen. Meist leihe ich mir 2 bis 3 000 Kronen. Zurückzahlen muss ich dann 6 000. Wenn ich nicht rechtzeitig bezahle, verlangt der Wucherer dann das Doppelte. "

Vereinzelt trifft man in der Siedlung aber auch solche Roma, die eine Beschäftigung haben. Wie z.B. Frau Marta, die hier tagaus, tagein die Straßen der Siedlung kehrt. Sie berichtet Folgendes:

"Ich verdiene damit 5000 Kronen, das ist viel zu wenig. Strom kostet mich 800, Miete 1800, was bleibt denn da noch übrig ? Aber ich würde nirgendwo anderes hingehen. Zuhause ist eben zuhause. Und außerdem denke ich, wenn ich hier zuhause keine Arbeit finde, werde ich sie auch nicht woanders finden..."

Most
Der Bürgermeister der Stadt Most, Vladimir Bartl, betont jedoch gerne, dass die Stadt Most durchaus Chancen auf eine Beschäftigung biete - zumindest für Einige der zahlreichen Roma:

"Die Situation hier in der Region ist sehr schwer und es wird noch lange dauern, bis sie sich bessert. Es ist war, dass viele der Probleme, die aus der Restruktualisierung der Industrie resultierten, insbesondere die Roma betrafen. Deshalb bemühen wir uns, ihnen einige Möglichkeiten anzubieten. Wir treffen uns regelmäßig mit den Vertretern der Roma-Initiative, arbeiten gemeinsame Projekte aus und versuchen, in der Zusammenarbeit mit dem Arbeitsamt, Arbeitsplätze für die Roma - vor allem im gemeinnützigen Bereich - zu schaffen. Z. B. beschäftigen wir einige der Roma an der Renovierung und Rekonstruktion unserer Burg Hnevin, oder wir organisieren sog. Straßenposten usw. Selbstverständlich geht es dabei nur um einige Dutzend Arbeitsplätze, die nicht für die gesamte zahlreiche Roma-Bevölkerung ausreichen... "

Dass Arbeitsplätze und wirtschaftliche Aspekte aber nicht alles sind, was man zu einer annehmbaren Lebensqualität benötigt, machen zwei junge Roma-Frauen deutlich:

"Wir wollen nach England ausreisen, denn die Kinder haben hierzulande keinen Vorteil. Meine Tochter ist jetzt neun Jahre alt und sie weiß nicht, was ein Kino oder ein Theater ist. Sogar auf den Markt möchte ich meine Kinder nicht mitnehmen. Und wenn, dann fahren wir mit dem Auto hin, kaufen schnell ein und fahren dann gleich wieder zurück. Es ist nämlich schon mal vorgekommen, dass ich mit meinem Sohn ins Mc Donald's gehen wollte und wir wurden so heftig beschimpft, dass wir es lieber gelassen haben. Deshalb möchte ich nicht mit den Kindern in die Stadt gehen. Im Bus oder im Kino setzten sich die Leute immer von uns weg.

Es stimmt nicht, dass die Roma nur wegen des Geldes aus Tschechien weg wollen. Es ist wegen des Rassismus hier. Sie sehen, ich habe eine Beschäftigung und eine gut eingerichtete Wohnung. Trotzdem verkaufe ich im Moment alles, damit ich mit meinen Kindern so schnell, wie es nur möglich ist, weg kann. Es ist nicht wegen der Arbeit. Die Roma gehen auch nicht wegen der mangelnden Arbeit weg, sondern weil sie hier sonst nichts haben. Roma-Tanzabende gibt es nur ein Mal in drei Monaten. In die Kneipe können die Roma nicht gehen - sie werden dort nicht bedient. Und wenn, dann müssen sie sofort bezahlen. Eine Rechnung, wie bei den anderen Gästen, gibt es für die Roma nicht ... Wo sollen sich die Leute denn überhaupt noch amüsieren können.

Ende Juli oder Anfang August möchte ich also auswandern.

Ich habe auch daran gedacht, dass sie mich aus England ausweisen werden. Dann werde ich eben die Einreise in ein anderes Land beantragen, aber nach Tschechien werde ich auf keinen Fall zurückkehren..."

Und ihre Schwester, die schon einmal für einige Zeit emigriert war, erzählt:

"Ich bin schon mal in England gewesen, ich bin nur deshalb zurückgekehrt, weil ich mich dort einsam gefühlt habe. Sie haben uns von den anderen Geschwistern getrennt. Aber ich muss sagen, dass ich es mittlerweile sehr bereue, dass ich doch wieder hierher zurückgekehrt bin ... Es ist nicht wegen der Arbeit oder wegen des Geldes - uns geht es eigentlich gut hier. Es ist wegen der Unfreundlichkeit der Leute. Wir werden also sehen, wie sich das noch entwickelt und werden dann entscheiden, ob wir bleiben oder nicht."

Aus all diesen Aussagen geht also eindeutig hervor, dass die wirtschaftliche Problematik der Roma nicht die einzige, nicht einmal die Hauptursache für die Flüchtlingswelle ist, vielmehr ist es der zum Teil offene, zum Teil versteckte alltägliche Rassismus unter dem sie leiden.

Eingangs hatten wir darauf verwiesen, dass auch die hiesigen Politoberen begonnen haben, zu verstehen und sich anschicken, die Lage verbessern zu helfen. Die Regierung hat schon einige Punkte aus der Konzeption ihres Menschenrechtsbesauftragten Jan Jarab in die Tat umgesetzt. Dies betrifft vor allem die Bereiche Schul- und Arbeitswesen. Und so zieht der Vorsitzende der internationalen Roma-Union, Emil Scuka, das folgende, vorläufige Fazit:

"Die Situation hat sich wohl in dem Sinne gebessert, dass es gelungen ist, die tschechische Legislative in Einklang mit der internationalen Legislative zu bringen. Und das war sicher wichtig. Aber die Lebensbedingungen für Roma haben sich verschlechtert, einmal im wirtschaftlichen und sozialen Bereich - also die Lebensbedingungen, die Wohnungen usw. - aber auch die gesellschaftliche Isolation hat sich verschlimmert. Und was außerdem nicht gut ist, ist die Zunahme extremistischer Kräfte."

Autor: Olaf Barth
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