Romantisch-düstere Stadt ehrt den Dirigenten: Bruno-Walter-Musiktage in Prag

Die "seltsam großartige, charaktervolle Stadt" - so hat der große deutsche Dirigent und Schriftsteller Bruno Walter einst in seiner Biographie die tschechische Hauptstadt beschrieben. Er bekannte sich dabei zu seiner Zuneigung zu Prag. In diesen Tagen wird in Prag an den namhaften Musiker bei einem Musikfestival erinnert, das seinen Namen trägt.

Bruno Walter  (Foto: CTK)
Sechzig Jahre lang hat er das Musikleben in den Hauptstädten Europas und in den USA geprägt. Er war einer der bedeutendsten Dirigenten des 20. Jahrhunderts. Bruno Walter war aber auch Schriftsteller und Komponist und vor allem ein großer Humanist, wie in der Ausstellung betont wird, die seit dem vergangenen Mittwoch im Prager Rudolfinum zu sehen ist. Mit der Ausstellung über Bruno Walter und seine Zeit wurden die Europäischen Bruno-Walter-Musiktage eröffnet.

Das internationale Festival wird nach Bratislava, Wien und Hamburg dieses Jahr in der tschechischen Hauptstadt veranstaltet. Prag ist aus mehreren Gründen Gastgeber der Festspiele geworden, sagt der künstlerische Leiter und Begründer des Festivals, Dirigent Jack Martin Händler:

"Bruno Walter war sehr oft in Prag. Die Tschechische Philharmonie allein hat unter seiner Leitung in der Zwischenkriegszeit neunzehn Mal gespielt. In seinen Memoiren ´Thema und Variationen´, die phantastisch geschrieben sind, schreibt er über Prag. Sie sind für mich die Welt von gestern, die Welt von Bruno Walter und Stefan Zweig. Ich zitiere aus seinem Buch: ´Und im Wandern durch die interessanten alten Straßen, vorbei an den Barockfassaden, durch den Pulverturm, hinaus auf den Hradschin, über die Moldaubrücken, begann ich eine innige Zuneigung zu der seltsam großartigen, romantisch-düsteren, charaktervollen Stadt zu fühlen, eine Zuneigung, die sich an meinen zahlreichen Besuchen Prags, meinen häufigen Konzerten dort immer gesteigert und bis heut erhalten hat.´ Dieses ´heute´ bedeutet 1946, denn damals hat er die Memoiren in Los Angeles geschrieben. Über Prag schrieb er als Stadt, die für uns eine Drehscheibe ist. Hier trifft sich alles, Westen mit Osten, Norden mit Süden. Die ganze Zeitetappe zwischen den beiden Weltkriegen war eine phantastische Zeit - bis in die dreißiger Jahre. Damals war hier Zemlinsky. Franz Werfel war in Wien. Es war die Zeit von George Szell und Erich Kleiber und natürlich auch Vaclav Talich. Prag liebe ich sehr, und ich habe hier geforscht und gefunden, was Bruno Walter hier erlebt hat. Es war nach den traurigen Ereignissen im März 1938 in Österreich - Walters Tochter Lotte wurde dort verhaftet. Es gelang ihr aber dank Freunden, das Gefängnis zu verlassen. Wenn jemand nachweisen konnte, dass er einen Auftrag irgendwo im Ausland hat, dann durfte er ausreisen. Sie hatte im Pass eingetragen, dass sie angeblich Sängerin ist, und ein Prager Agent hat sie engagiert, was natürlich nur fiktiv war. Sie ist dann direkt in die Schweiz gereist."

Jack Martin Händler  (Foto: Autorin)
Bruno Walter war häufig zu Gast in Prag, wo er sowohl als Dirigent als auch als Pianist mit dem Arnold-Rose-Quartett große Erfolge feierte. Jack Martin Händler ließ sich bei der Zusammenstellung des Festivalprogramms von Walters Konzerten inspirieren:

"Die Konzerte der Tschechischen Philharmonie Unter Walters Leitung waren phantastisch, was man da so liest. Wir haben das Konzertprogramm für das Abschlusskonzert für den 22. Oktober entsprechend zusammengestellt: Es wird Wagners Tristan gespielt - das Vorspiel und Liebestod. Am 24. Februar 1938 führte Walter dieses Werk bei seinem damals letzten Konzert in Prag auf. Im zweiten Teil des Konzerts wird Mozarts Klavierkonzert d-Moll erklingen, das Walter 1936 beim Konzert zu seinem 60.Geburtstag gespielt hat. Das Konzert wird der junge tschechische Pianist Martin Kasik spielen. Für mich hat noch eine Tatsache eine große Bedeutung: Bruno Walter hat ein Konzert im Jahre 1931 in Prag der Jedlicka-Anstalt für Behinderte gewidmet. Und dies werden wir bei den jetzigen Musiktagen auch machen: Der Erlös vom Abschlusskonzert im Rudolfinum, das am 22. November stattfindet, wird dieser Anstalt zugute kommen."

Foto: Autorin
Die Bruno-Walter- Musiktage hat Jack Martin Händler vor vier Jahren in Bratislava gegründet.

"Ich habe das Festival in Bratislava ins Leben gerufen, weil Bruno Walter ein Jahr lang Chef der dortigen Oper war. Er war dort für die deutsche Saison zuständig. Das Festival fand danach in Wien und dann in Hamburg statt, und heute sind wir in Prag. Dies sind alles Städte, wo er intensiv gewirkt hat."

Ich habe gelesen, dass Sie über Bruno Walter bereits in ihrer Kindheit gehört haben, und dass dies ein bedeutender Impuls für Sie gewesen war.

"Ja, das war in Bratislava. Mein Vater ist in Wien aufgewachsen. 1937 ist er als Jude aus Österreich in die damalige Tschechoslowakei - nach Bratislava - geflüchtet. Er hat das KZ Sachsenhausen überlebt, meine Mutter verbrachte drei Jahre in Auschwitz. Nach dem Krieg sind sie in Bratislava zusammengetroffen. Ich bin 1947 geboren. Als ich etwa zweieinhalb Jahre alt war, hat mein Vater einen Plattenspieler mit Platten nach Hause gebracht, und das waren Beethovens Sinfonien mit Bruno Walter. Das waren meine Kinderlieder. Ich bin froh, dass ich heute Beethovens Sinfonien mit meinem Orchester - den Europäischen Solisten Luxemburg - aufführen kann."

Foto: Autorin
Ein Konzertabend wurde im Rahmen der Musiktage in Prag zum 50. Todestag des Komponisten Erich Wolfgang Korngold veranstaltet, der 1934 in die USA emigrierte, und dort als Komponist von Filmmusik bekannt wurde. In Theresienstadt organisiert Jack Martin Händler am 20. Oktober ein "Konzert gegen das Vergessen":

"Für dieses Konzert haben wir Werke von drei Komponisten ausgesucht, die in Theresienstadt inhaftiert waren, und die alle drei umgekommen sind: Gideon Klein, Rudolf Karel und Zikmund Schul. Das Konzert in den Magdeburger Kasernen in Theresienstadt ist für uns sehr wichtig. Ich bin dagegen, dass solche Orte heute nur Museen sind. Wie paradox das auch klingen mag, es sind Orte, die wir heute erleben müssen. Wie soll man es machen? Durch Taten. Wir müssen die Kraft haben, dort ein Konzert für uns - nicht für das Publikum - zu verwirklichen. Ich sage absichtlich nicht ´spielen´, sondern verwirklichen. Wir dürfen nicht vergessen. Denn das hat Elie Wiesel einmal gesagt, wenn man die Shoah vergisst, dann tötet man zum zweiten Mal."

Die Musiker, die bei den Festivalkonzerten auftreten, sind junge Virtuosen aus verschiedenen Ländern Europas, die erst am Anfang der Laufbahn stehen, betont Dirigent Händler:

"Die Bruno-Walter-Musiktage sind Musiktage für die Jugend. Die Solisten, die Orchestermitglieder sowie die Mitglieder der Kammerensembles sind alles junge talentierte Musiker. Ich würde in diesem Zusammenhang gern die Worte des österreichischen Bundespräsidenten zitieren: ´Kunst als geistliches Lebensmittel wird nicht geschenkt. Künstler bedürfen der Reifung, der Führung und der Selbsterkenntnis. Ich begrüße es daher ganz besonders, dass sich die Organisatoren der Bruno-Walter-Musiktage auch die Förderung des Nachwuchses durch mehrtägige Meisterkurse zum Ziel gesetzt haben. Diese jungen Musikerinnen und Musiker werden schließlich auch im Rahmen des Programms mit bemerkenswerten Interpretationen zu hören sein. So verbinden sich die Rückerinnerung an das Leben und die grandiosen Werke Bruno Walters mit der Hinwendung zu Künstlerpersönlichkeiten der Zukunft. ´ "

Zu den Künstlerpersönlichkeiten der Zukunft gehören zweifelsohne auch der Violinvirtuose Miroslav Ambros und Pianist Marek Sedivy, die für in dieser Ausgabe des "Spaziergangs durch Prag" einige Ausschnitte aus Bruno Walters Sonate für Violine und Klavier A-dur spielen.