Rückkehr nach 102 Jahren: Der ferne Klang von Franz Schreker in der Staatsoper
In der Prager Staatsoper wird demnächst eine Neuproduktion von Franz Schrekers Oper „Der ferne Klang“ Premiere haben. Mit dem Orchester und Chor der Staatsoper und Solistinnen und Solisten aus dem Ausland sowie aus Tschechien studiert der Musikdirektor der Staatsoper, Karl-Heinz Steffens, das Werk ein. Über Schrekers Oper hat Martina Schneibergová mit dem Musikdirektor gesprochen.
Herr Steffens, in der Staatsoper wird nach 102 Jahren wieder die Oper „Der ferne Klang“ von Franz Schreker aufgeführt. Wie war das damals, als die Oper vor 102 Jahren im Neuen Deutschen Theater gespielt wurde?
„Ich stelle mir das wahnsinnig abenteuerlich vor. Die Partitur ist unglaublich modern für die damalige Zeit. Sie ist divers und vielschichtig. Das war eine enorme Herausforderung. Aber es spricht auch dafür, dass das Neue Deutsche Theater damals eine der modernsten und innovativsten Opernbühnen in Europa gewesen ist. Die Stücke kamen immer direkt nach ihren Uraufführungen nach Prag.“
Weiß man, wie die Reaktionen damals waren?
„Ich müsste das nachlesen. Aber wie immer, wenn an so einem Haus etwas Neues entwickelt wurde, werden sicher auch viele ablehnende Reaktionen dabei gewesen sein. Das war damals modernstes Musiktheater. Selbst heute kämpfen wir noch mit der Materie. Auch wenn das Stück 102 Jahre alt ist, ist es heutzutage nicht weniger kompliziert.“
War „Der ferne Klang“ der erste Opernerfolg von Schreker?
„Ja. Später wurde er aber einer der meistgespielten Komponisten – bis die Nazis kamen. Während der erste Akt noch sozialen Realismus darstellt, ist der zweite ein reiner Jugendstilakt. Mit einer flamboyanten und expressiven Musik, in der die Kontraste verfließen. Das ist nicht mehr die konkrete Musik wie vorher.“
Schreker hatte damals selbst das Libretto geschrieben. Weiß man, woraus er seine Inspiration zog?
„Wir müssen uns zurückversetzen in die Zeit des Sigmund Freud, in die Zeit der Psychoanalyse. Um das Verstehen der eigenen Psyche geht es auch in dieser Oper. Der Protagonist Fritz sucht nach irgendeiner Inspiration, die er nicht finden kann. Dafür lässt er seine Liebe, das junge Mädchen, das in unserer Version auch eine tolle Komponistin ist, über die Klinge springen. Das Stück ist von Timofej Kuljabin ein bisschen umgeschrieben wurden. Es ist dadurch schärfer, realistischer und nicht mehr so hypothetisch. Kuljabin macht daraus eine Oper, die eigentlich nicht „Der ferne Klang“ heißen müsste, sondern „Grete“. Es geht um die Geschichte dieser Frau und ihre Zeitreise vom jungen Mädchen bis zur erwachsenen Frau. Und um die Schäbigkeit dieses Mannes, der sie mehrfach hängenlässt. Es geht um Gretes Phantasie und Selbstbestimmung. Nicht nur als Mensch, sondern auch als Frau und Komponistin. Das ist toll gemacht und sehr aktuell für unsere Zeit.“
Hierzulande ist Schreker fast unbekannt. Wie kommt das? Sind die Nationalsozialisten dafür verantwortlich?
„In dem Fall haben die Nazis ganze Arbeit geleistet. Schreker hat nicht das Schicksal vieler anderer Komponisten geteilt, die ins Exil gehen mussten oder sogar ermordet wurden. Schreker wurde 1933 aller seiner Ämter beraubt. 1934 starb er dann als gebrochener Mann. Zuvor war er eine berühmte Persönlichkeit! Die Nazis haben ihm alles weggenommen. Später hat man sich dann an die ermordeten Komponisten und an die emigrierten erinnert, aber nicht an Schreker, weil er eben einfach gestorben ist. Seine Musik wurde lange Zeit nicht gespielt, in Deutschland wurde sie aber in den 70er, 80er und 90er Jahren wiederentdeckt. Gerade in der letzten Zeit hat es von ,Der ferne Klang‘ einige beachtliche Inszenierungen gegeben. Warum es hier in Prag nicht aufgeführt wurde? Die Musikrezeption hier in Tschechien ist zum Teil auch ein Opfer der Geschichte und der verschiedenen Belagerungen – der deutschen, der habsburgischen, der russischen... Es wurde nur gespielt, was man gebraucht hat. Was man nicht mehr wollte, hat man unter den Teppich gekehrt. Und wie vieles vom Repertoire des Neuen Deutschen Theaters ist so auch Schreker verloren gegangen. Die Stücke kommen jetzt wieder hoch, weil wir eine Welt geworden sind. Wir merken das gerade ganz stark: Es ist vorbei mit diesem ganzen Nationalismus. Wir sind eine Welt. Wenn diese Welt angegriffen wird, dann müssen wir alle zusammenstehen – egal ob Deutsche oder Tschechen.“
Die Oper wird von einem russischen Team inszeniert. Wie arbeiten sie mit den ausländischen Solisten und Künstlern zusammen?
„Wie jedes Opernhaus in Europa ist auch die Prager Staatsoper ein Symbol für Internationalität geworden. Wir kommen aus verschiedensten Nationen und haben eine gemeinsame Sprache, das ist Englisch. Das Team um Timofej ist jung und ambitioniert. Auch die tschechischen Sänger sind phantastisch. Wir haben ein Super-Cast und die Arbeit macht Spaß.
Haben Sie vorher schon einmal etwas von Franz Schreker dirigiert?
„Ich habe von Schreker nur Orchesterwerke dirigiert. Und als Klarinettist habe ich seine Kammermusik gespielt. An der Frankfurter Oper habe ich an der Klarinette in den frühen 80er Jahren unter Michael Gielen den Fernen Klang gespielt. Als ich vor 20 Jahren Dirigent wurde, kam Schreker in Form von Orchesterwerken und seiner wunderbaren Kammersymphonie wieder. Aber nun komme ich zum ersten Mal als Operndirigent mit Schreker in Berührung.“
Wird es zu dieser Oper eine Einführung geben?
„Ich glaube ja. Interessierten soll gezeigt werden, wie Timofej Kuljabin mit dem Stück umgegangen ist. Er hat die Geschichte umgeschrieben, sie ist aber immer noch spannungsreich und erzählt sich gut. Eigentlich müsste man beide Libretti miteinander vergleichen. Aber natürlich kann man auch einfach in das Stück gehen und sich nur die Kuljabin-Inszenierung anschauen.“
Das Stück wird im Rahmen der Reihe Musica non grata aufgeführt. Haben Sie sich an der Auswahl der Werke beteiligt?
„Ja, Per Boye Hansen und ich haben lange überlegt: Wie wollen wir diese Zeit in Prag angehen? Wir haben ein Haus und das ist international als Neues Deutsches Theater berühmt geworden und hat Operngeschichte geschrieben. Also wäre es gut, wenn man jetzt, über 100 Jahre später, daran anknüpft und versucht, Teile dieses Schatzes zu heben und die Bedeutung dieses Opernhauses international wieder nach oben heben. Und da kamen wir auf den Fernen Klang. Der hat perfekt zu Musica non grata gepasst. Und er passt jetzt im Moment ganz besonders. Wir haben ein russisches Team. Dessen Mitglieder haben sich ganz offiziell gegen den Krieg in der Ukraine ausgesprochen. Im Gegenzug dafür dürfen sie nicht mehr in ihr Land zurück, weil sie dann für 15 Jahre ins Gefängnis gehen. Das muss man sich mal vorstellen! Im Jahre 2022 haben wir dieselbe Situation wie 1939, als Komponisten von den Nazis verboten wurden und sich nicht äußern durften. Wir haben hier also eine bestürzende Aktualität. Da passt es natürlich eigentlich sehr gut, ein Stück eines verfemten Komponisten, den man versucht hat als „entartete Kunst“ zu deklarieren und mundtot zu machen, zu zeigen. Unsere Teammitglieder waren bis vor zwei Wochen ganz normale Künstler. Seit dem Dekret eines verrücktgewordenen Präsidenten sind sie Dissidenten. Das ist schon etwas ganz Bedrückendes und es hat uns bei der Arbeit in den letzten Wochen auch sehr belastet. Wir unterstützen unsere Kollegen in dieser Situation so gut wir können.“
Die Premiere der Neuproduktion der Oper „Der ferne Klang“ findet am 20. März um 19 Uhr statt. Es gibt noch Restkarten.