Rückschläge und neue Möglichkeiten: Tschechisch-deutscher Jugendaustausch in Corona-Zeiten
Der internationale Jugendaustausch lebt von lebendigen und lebhaften Begegnungen. Das zu gewährleisten, war dem tschechisch-deutschen Koordinierungszentrum Tandem im vergangenen Jahr so gut wie nicht möglich. Auf beiden Seiten der gemeinsamen Grenze haben sich die Mitarbeiter so gut es ging auf Online-Arbeit und virtuelle Treffen eingestellt. Das Regensburger Tandem-Büro kann sich im neuen Jahr immerhin über eine Haushaltsaufstockung von einer halben Million Euro freuen. Damit sollen ein langjähriges Finanzloch gestopft sowie durch die Corona-Krise entstandene Defizite kompensiert werden.
„Ich erinnere mich, dass ich im Januar in Tschechien war, dann einen Tag Ende Juli und danach nicht mehr. Das gab es noch nie. Sonst halten wir regelmäßige Treffen ab. Jetzt mussten wir alles online abwickeln.“
Thomas Rudner kann aus eigener Erfahrung berichten, wie sehr sich die Arbeitsroutine bei Tandem durch die Corona-Krise im vergangenen Jahr gewandelt hat. Der Leiter des Koordinierungszentrums in Regensburg steht normalerweise in regem persönlichen Austausch mit dem zweiten Büro in Plzeň / Pilsen. Beide Einrichtungen bilden das organisatorische Herz des Deutsch-Tschechischen Jugendaustausches Tandem, der „die gegenseitige Annäherung und die Entwicklung freundschaftlicher Beziehungen zwischen jungen Menschen“ fördert, wie es in der Selbstdarstellung heißt.
Das gestaltete sich seit dem Frühjahr 2020 auf einmal schwierig, sagt Mirka Reifová. Sie ist die Pressesprecherin von Tandem Pilsen:
„Tandem war natürlich von den geschlossenen Grenzen betroffen, denn unsere Arbeit hat sich bisher durch persönliche Kontakte abgespielt. Dabei geht es nicht nur um den Jugendaustausch, sondern auch um Seminare für Lehrer und Fachkräfte oder thematische deutsch-tschechische Begegnungen in Gedenkstätten, die plötzlich nicht mehr möglich waren.“
Zeugnis davon legt der Terminkalender auf der Homepage von Tandem Regensburg ab, mit dem sich das Corona-Jahr resümieren lässt. Veranstaltungen wie Fachkräftefortbildungen oder Info- und Vernetzungstage wurden mit dem roten Vermerk „entfällt“ gekennzeichnet. Dafür gibt es nun Angebote wie „Deutsch-tschechischer Austausch digital – Tandem-Online-Seminar“. Reifová ergänzt für das tschechische Koordinierungsbüro:
„Außerdem waren wir mit unseren Kollegen in Regensburg in ständigem Kontakt und haben zusammen einige Veranstaltungen im virtuellen Raum vorbereitet. So hat zum Beispiel ein Kontaktseminar für vorschulische Fachkräfte stattgefunden oder ein Thementag für Partnerschulen. Es gab sogar eine virtuelle Stadtführung durch Pilsen mit dem Thema ‚Jüdische Vergangenheit‘.“
Umstellung auf Online-Arbeit
Das Team in Pilsen beobachtete bei seiner Klientel allerdings bald eine gewisse Computermüdigkeit. Dass potentielle Seminarteilnehmer zuweilen keine Lust auf noch mehr Bildschirmarbeit hatten, führt Reifová auf das häufige Homeoffice zurück. Thomas Rudner hingegen kann sich nicht über einen Teilnehmermangel bei den Online-Seminaren beschweren:
„Ganz im Gegenteil. Wir sind selbst überrascht gewesen im letzten Jahr von dem Zuspruch. Wir wollten im Juni eine Arbeitsgruppe abhalten, bei der in Präsenz maximal 30 Personen teilgenommen hätten, unsere eigenen Leute eingerechnet. Daraus wurde dann eine Online-Veranstaltung mit 55 Leuten, also Lehrern und Lehrerinnen sowie Verantwortlichen in der Jugendarbeit, und das von beiden Seiten. Das hat sehr gut geklappt. Ich glaube, dass es auf der Ebene der Fachkräfte, die verantwortlich sind für Jugendbegegnung und Schüleraustausch, nach wie vor ein großes Interesse gibt. Da ist die Sehnsucht groß, dass man wieder in die Arbeit einsteigen kann.“
Denn die Hauptaufgabe von Tandem ist eben die Förderung außerschulischer tschechisch-deutscher Jugendbegegnungen. Diese ließen und lassen sich nur sehr bedingt in den virtuellen Raum verlegen. Laut Rudner konnte 2020 nur ein Viertel aller geplanten Maßnahmen realisiert werden. Mit der Rückkehr zur Normalität wird es wohl noch eine Weile dauern. Tandem hat für das erste Quartal 2021 alle Veranstaltungen als Online-Versionen geplant. Erste Präsenzveranstaltungen hofft man im Frühsommer stattfinden lassen zu können. Bis dahin soll die Kontinuität der einzelnen Begegnungsprogramme und thematischen Projekte aber so gut es geht gewährleistet werden. Mirka Reifová:
„Leider sieht es danach aus, dass wir auch in den nächsten Monaten noch virtuell arbeiten werden. Das bezieht sich zum Beispiel auf unser Schwerpunktthema ‚Jugend gestaltet Zukunft‘. Wir bereiten gerade eine Kick-off-Veranstaltung vor, die wie geplant aber im Online-Modus stattfinden wird.“
Vor allem ihre junge Zielgruppe hätte kaum Probleme, ihre Treffen und Aktivitäten in den virtuellen Raum zu verlegen, so Reifová weiter. Auch die Tandem-Mitarbeiter haben sich laut Rudner dank ihrer Fantasie und den vorhandenen Technologien gut auf die Online-Arbeit eingestellt. Eine wirkliche Herausforderung sei durch die Corona-Krise in anderer Hinsicht entstanden:
„Ein Problem sehe ich eher auf der Ebene der Teilnehmer und Teilnehmerinnen von Begegnungen. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir diejenigen zurückgewinnen können, die jetzt über ein Jahr lang nicht mit einem internationalen Austausch konfrontiert worden sind. Man muss sich vorstellen, dass es einen ganzen Jahrgang von jungen Leuten gibt, die jetzt keine Austauscherfahrungen machen konnten. Das heißt, da fehlt ein ganzer Jahrgang, um Erfahrungen weiterzugeben. Das betrifft nicht nur die Schulen, sondern genauso den außerschulischen Jugendaustausch. Es wird schwierig sein, an Vorangegangenes anzuknüpfen. Da fehlt einfach was dazwischen.“
Ein besonderes Weihnachtsgeschenk
Um diese entstandenen Defizite aufzuholen, will Rudner in diesem Jahr zusätzliche Aktivitäten anbieten. Dafür werden erwartungsgemäß höhere Kosten anfallen. Um diese muss sich das Regensburger Tandem-Team nun keine allzu großen Sorgen mehr machen, denn der Bundestag hat der Einrichtung noch Ende 2020 einen Zuschuss von 500.000 Euro bewilligt. Dieses „besondere Weihnachtsgeschenk“, wie es in einer Pressemitteilung bezeichnet wurde, hat Tandem zwei Unterstützern zu verdanken: der SPD-Abgeordneten Marianne Schieder und dem CSU-Abgeordneten Peter Aumer. Ihre Initiative hat den Haushalt des deutschen Tandem-Büros von einem lange bestehenden Defizit befreit, so Thomas Rudner:
„Wenn wir unsere Haushaltsplanung machen, stellen wir fest, dass diese Lücke, die es jetzt seit vielen Jahren gibt, immer größer wird. Das wäre jetzt ein Minus von etwa 300.000 Euro gewesen. Wir sprechen immer auch mit Politikern und Politikern über die Unterstützung dafür, dass wir mehr Mittel vom Bund benötigen. Das war jetzt erfolgreich. Wir haben außerdem argumentiert, dass es nicht reicht, die Lücke zu schließen. Sondern wenn wir Schwerpunkte fördern sollen, brauchen wir dafür auch zusätzliche Mittel.“
So kam es, dass nicht nur das Haushaltsminus getilgt, sondern die Mittel noch um 200.000 Euro aufgestockt wurden. Das Geld wird jetzt speziell für das Programm „Jugend gestaltet Zukunft“ bei Tandem eingesetzt. Damit werden zusätzliche Personalkosten gedeckt, aber auch das Veranstaltungsangebot ausgeweitet. Obwohl diese zusätzlichen Finanzmittel nur dem Büro in Regensburg direkt zukommen, profitiert auch das Team in Pilsen. Mirka Reifová:
„Dieser außerordentliche Zuschuss, den wir dem deutschen Bundestag zu verdanken haben, wird sich natürlich auch auf die Jugendarbeit des tschechischen Koordinierungszentrums positiv auswirken. Denn wir veranstalten das Programmangebot gemeinsam. Die Finanzmittel sind für die demokratische und gesellschaftliche Bildung von Kindern und Jugendlichen bestimmt. Dabei handelt es sich in unserem Fall hauptsächlich um die Zusammenarbeit unter dem aktuellen Schwerpunktthema ‚Jugend gestaltet Zukunft‘. Auf der tschechischen Seite werden wir nach Partnerorganisationen suchen, mit denen wir dann die thematischen Säulen Demokratie, Partizipation und Diversität erarbeiten wollen.“
Jugend gestaltet Zukunft
Diese drei Stichworte umfassen die Inhalte, zu denen sich junge Menschen aus Deutschland und Tschechien im Rahmen des Programms verständigen sollen. Ursprünglich war das Projekt für die Jahre 2020 bis 2022 geplant. Durch die Absagen im vergangenen Jahr wird es aber wahrscheinlich um ein Jahr verlängert. Schon für dieses Jahr wurde das entsprechende Programm aufgestockt und um ein dreitägiges bilaterales Mediencamp ergänzt. Dabei soll es um Fake News gehen, um die Nutzung von Online- und sozialen Medien sowie um die Bewältigung der Informationsfülle, die nicht nur auf die junge Zielgruppe tagtäglich einströmt. Oft sei schwer zu erkennen, mit welcher Zielrichtung Nachrichten verbreitet würden, so Rudner:
„Das beste Beispiel ist das, was Anfang des Jahres in den USA passiert ist. Als also versucht wurde, das Kapitol in Washington zu stürmen, weil der Präsident eindeutige Geschichten erzählt hat. Da wurde behauptet, die Wahl sei gefälscht worden. Es gibt jede Menge Menschen, die so etwas glauben und dem nachlaufen. Unsere Beobachtung ist, dass dies keine exklusive Angelegenheit in den USA mehr ist, sondern dass es das bei uns genauso gibt. Auch in Mitteleuropa muss man jungen Leuten Möglichkeiten an die Hand geben, damit sie lernen zu beurteilen, ob es sich um Informationen handelt, denen man trauen kann, oder um eine Geschichte, die hinten und vorne nicht zusammenpasst. Das ist der Zugang zu Fake News. In den Seminaren und Workshops, die wir dazu schon gemacht haben, war dies immer der Teil, der am meisten nachgefragt wurde. Das ist erstaunlich, aber da gibt es einen großen Bedarf.“
Mit dieser zentralen Veranstaltung wolle Tandem die Teilnehmer zudem motivieren, Medien aktiv mitzugestalten und idealerweise ihre eigenen tschechisch-deutschen Projekte zu präsentieren. Rudner hofft, dass die Pläne für eine Präsenzveranstaltung aufgehen und die Jugendlichen wie auch die Organisatoren tatsächlich zusammenkommen können:
„Es gibt keinen größeren Wunsch der Tandem-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, als dass die Corona-Krise endlich vorbeigeht, damit wir uns wieder treffen können. Und damit wir wieder vernünftige Veranstaltungen anbieten können und Begegnungen fördern, die dann auch stattfinden.“