„Schlimmer als ein Gefängnis“ – Wie die Grenzschließung Familien trennt

Foto: ČTK / Ondřej Hájek

Mitte März hat Tschechien fast ohne Ankündigung seine Grenzen dichtgemacht. Mittlerweile wird intensiv über eine Wiederöffnung verhandelt. Das ist auch dringend notwendig, wie die Erfahrungen der Menschen an den Grenzen aus den zurückliegenden zwei Monaten zeigen. Gegenüber Radio Prag International schildert ein Mann, der in einer deutsch-tschechischen Beziehung lebt, welche Auswirkungen die Grenzschließung für ihn und seine Familie hat.

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Es war der 14. März. Da hat sich für Thomas sein bisheriges Leben grundlegend geändert. Tschechien schloss wegen der Corona-Pandemie seine Grenzen. Und er war plötzlich von seiner tschechischen Partnerin getrennt:

„Ich arbeite in Deutschland und musste ja auch weiter dort hin. Aber bei der Arbeit ist dies eine Belastung, man bekommt den Kopf nicht mehr richtig frei, weil man immer daran denken muss. Denn bei uns hängt auch noch die Tochter dran.“

Seine Partnerin blieb mit der gemeinsamen Tochter in Tschechien, weil sie sich um ihre kranken Eltern kümmern wollte. Und dies, obwohl sie eigentlich in Deutschland arbeitet. Zu Beginn des Corona-Shutdowns mussten sich tschechische Pendler nämlich entscheiden, ob sie für die nächsten Wochen dies- oder jenseits der Grenze bleiben wollten. Sie wären sonst bei einer Wiedereinreise für 14 Tage in Quarantäne geschickt worden.

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„Zwei Monate waren wir jetzt getrennt. Das ist nicht normal. So geht es vielleicht Leuten, die ins Gefängnis müssen. Aber selbst diese können Besuch empfangen. Ich empfinde das als eine sehr starke Belastung.“

Dabei besteht ja ein Unterschied: Ein Gefängnisaufenthalt ist meist selbstverschuldet, die Lage an der Grenze aber nicht.

Thomas und seine Partnerin wohnen Luftlinie weniger als zehn Kilometer voneinander entfernt. Und so sahen sie sich inklusive der Tochter wenigstens ab und zu am Grenzübergang:

„Es war am Anfang so, dass wir uns dort am Zaun getroffen haben. Wir konnten dann miteinander sprechen, hatten aber alle drei natürlich diesen Mundschutz auf. Und meine Partnerin war durch die Medien in Tschechien auch sehr darauf geeicht, die zwei Meter Abstand zu wahren.“

Grenzübergang Sohland-Rožany  (Foto: Hoover5555,  Wikimedia Commons,  CC BY 4.0)
Zwischen ihnen stand ein provisorischer Bauzaun. Diese Begegnungen waren jedoch abhängig von der Kulanz der Grenzsoldaten, wie Thomas weiter schildert…

„Manche sind da sehr human und erlauben das im Prinzip. Und dann war es einmal plötzlich nicht mehr möglich, sich überhaupt dort zu treffen. Wir haben uns immer in Sohland an der Spree am Übergang für Pkw gesehen.“

Ansonsten seien nur Telefon und Video-Anrufe über Whatsapp geblieben. Für beide eine große Belastung:

„Es ist immer so eine Sache. Für die Beziehung ist es sehr schlecht, wenn man sich nicht mehr ohne Weiteres sehen kann. Ich würde sagen, es ist ein Stück weit auch eine Bewährungsprobe für die Partner.“

Eine Grenze, die es nicht mehr gab

Grenzstein  (Foto: Corradox,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 3.0)
In den vergangenen Tagen haben sich auch die tschechischen Politiker wieder auf die Reisefreiheit in der EU besonnen. Sie planen nun, zum 15. Juni eine Art Mini-Schengenraum entstehen zu lassen. Die Grenzschließungen wegen der Corona-Pandemie hält Thomas jedoch für absurd:

„Im Prinzip war bis zu diesem 14. März die Grenze kein Thema mehr. Sie existierte nur noch auf der Landkarte, und es standen dort eben Grenzsteine. Und jetzt fühlt man sich in tiefste kommunistische Zeiten zurückversetzt – so stelle ich mir das zumindest vor, was noch meine Eltern erleben mussten.“

Der junge Mann sagt sogar, ihn würden nicht einmal Grenzkontrollen stören. Problemlos zeige er auch seinen Personalausweis, wenn er nur einfach nach Tschechien durchgelassen würde.

Seit 27. April könnte Thomas tatsächlich wieder hinüber, um Familienangehörige zu besuchen. Die Bedingung ist jedoch, dass er entweder 14 Tage in Quarantäne geht. Das ist aber nicht mit seiner Arbeit vereinbar. Oder als Zweites wäre ein negativer Corona-Test möglich. Das ist allerdings in Deutschland sehr teuer, wenn es nicht der Hausarzt anordnet. Für Thomas hat sich dennoch seit vergangener Woche eine Erleichterung ergeben.

Sohland an der Spree  (Foto: Dummkopf,  Wikimedia Commons,  CC BY 3.0)
„Meine Partnerin hat letzte Woche bei sich und unserer Tochter jeweils einen Test machen lassen. Sie kann jetzt über die Grenze fahren, aber immer noch – wegen des Umwegs – mit über 50 Kilometern Strecke, was sonst zwölf Kilometer mit dem Auto sind.“

Dem liegt zugrunde, dass Thomas‘ Partnerin in Sohland an der Spree beschäftigt ist. Sie sei am Samstag erstmals wieder arbeiten gewesen, wie er sagt. Es greift also die Pendlerregelung. Und die Tochter kann seit Montag wieder in den Kindergarten auf der sächsischen Seite gehen. Im Hinblick auf seine Partnerin meint er:

„Es hat sich insofern verbessert, dass sie im Prinzip jetzt wieder nach Deutschland kommen kann. Und ich sag es jetzt mal so: Wir können uns auch wieder anfassen.“

Die Freude sei riesig gewesen, als sie sich erstmals nach zwei Monaten wieder umarmt hätten, sagt Thomas. Und auch die Tochter sei überglücklich gewesen.

Andere Lösungsmöglichkeiten?

Die Grenzschließungen haben nicht nur in Sachsen und Böhmen die Menschen voneinander getrennt. Bekannt geworden ist zum Beispiel der Fall von Konstanz in Baden und Kreuzlingen in der Schweiz. Am dortigen einfachen Grenzzaun trafen sich zunächst weiter die Liebespaare und konnten sich zum Beispiel auch küssen. Dann wurde ein zweiter Zaun hochgezogen. Und ähnlich war es überall in Europa.

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Von der schmerzhaften Zwangstrennung betroffen sind viele. Auch Thomas fallen auf Anhieb zwei weitere Bekannte ein:

„Ich weiß, dass ein guter Kumpel von mir seit Oktober oder November letzten Jahres eine tschechische Partnerin hat. Und sie haben sich bis jetzt bloß dort am Zaun gesehen. Sie kann nicht herkommen und er nicht rüber.“

Die Corona-Pandemie ist noch längst nicht vorbei. Außerdem sagen die Mediziner, dass auch eine zweite oder dritte Welle drohen könnte. Werden dann wieder die Grenzen dicht gemacht? Thomas hofft das nicht…

„Für mich ist das eine große Enttäuschung, wie Europa überhaupt mit der Situation umgeht. Sicher geht es um eine schwere Krankheit, und es ist wichtig und richtig, dass der Staat die Menschen schützt. Aber ich denke, dass es da auch andere Lösungsmöglichkeiten geben müsste. Ich vermisse, dass man in der EU an einem Strang zieht.“

In den vergangenen Wochen sind bei der deutschen Redaktion von Radio Prag International mehrere Zuschriften eingegangen, in denen sich Menschen darüber beschweren, wie sie durch die Grenzschließungen von ihren Partnern getrennt sind. Einer der Hörer meinte in seiner E-Mail, er hoffe, „dass nie wieder ein Politiker auf die Schnapsidee kommt, die Menschen in Europa voneinander zu trennen“.


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