Schüler dokumentieren Schicksal von Zeitzeugen

Quelle: Archiv Post Bellum

„Die Lebensgeschichten unserer Nachbarn“ – so heißt ein Bildungsprojekt der gemeinnützigen Organisation Post Bellum. In seinem Rahmen versuchen Schüler und Schülerinnen in die Rolle von Dokumentaristen zu schlüpfen. Sie führen Gespräche mit Zeitzeugen und zeichnen deren Erinnerungen auf. In den vergangenen Tagen wurden die besten Schülerteams in den einzelnen Städten Tschechiens geehrt – so unter anderem im ersten Prager Stadtbezirk.

Quelle: Archiv Post Bellum
„Die Zeit bis zu seinem sechsten Lebensjahr sei für ihn eigentlich wie ausgelöscht, nachdem sein Vater ermordet worden war“, das erzählt der Landesoberrabbiner Karol Sidon in einer sechsminütigen Doku. Der Film heißt „Der Traum von mir und meinem Vater“. Gedreht hat ihn eine Gruppe von sechs Schülern von der Schule Základní škola svaté Voršily in Prag. Das Siegerteam der jungen Dokumentaristen hat sich mit dem Film viel Mühe gemacht. Die Aufnahmen aus dem Büro des Oberrabbiners sind mit Musik untermalt. Die Schüler haben sich auf Sidons Kindheit konzentriert und auf dessen Vater, der 1944 von den Nationalsozialisten in Theresienstadt umgebracht wurde. Ein halbes Jahr lang hätten sie daran gearbeitet, erzählt der 15-jährige Prokop Karlík:

Foto: Archiv Post Bellum
„Zuerst haben wir uns die Fragen überlegt, dann haben wir den Zeitzeugen kontaktiert. Ungefähr 20 Unterrichtsstunden haben wir mit den Vorbereitungen auf die Präsentation, mit dem Schneiden der Aufnahme und weiteren Arbeiten verbracht.“

Das Projekt „Lebensgeschichte unserer Nachbarn“ war vor allem in den Geschichtsunterricht eingebunden, aber teilweise auch in die Tschechisch-Stunden. Durch die Gespräche mit dem Zeitzeugen hätten die Kinder mehr über die jüngere Geschichte gelernt, sagt Michaela Szkála von Post Bellum:

„Wir sind davon überzeugt, dass sie diesen Abschnitt aus der Geschichte nie vergessen werden. Dies kann nicht durch Lektüre und auch nicht durch den besten Geschichtslehrer ersetzt werden. Zudem lernen sie, im Team zu arbeiten und Verantwortung zu übernehmen.“

Karol Sidon  (Foto: Carlos Ferrer)
Die Mitglieder des Schülerteams können dies bestätigen. Sie hätten wirklich einiges über die Geschichte gelernt, und konkret über das Leben von Karol Sidon. Der heutige Oberrabbiner lebte neun Jahre lang in der Bundesrepublik. Vojtěch Bořek-Dohalský ist einer der Schüler.

„Karol Sidon wollte schon auf dem Gymnasium nach Westdeutschland flüchten. Nach der Wende kehrte er zurück nach Prag und ist Oberrabbiner geworden. Wir haben ihn in seinem Büro im jüdischen Rathaus besucht. Dort war ich zum ersten Mal.“

Die sechs Schüler hatten etwa drei Minuten Zeit für die Präsentation ihrer Doku. Nicht nur die Jury, sondern auch ihre Lehrer und einige Zeitzeugen waren dabei, einschließlich Karol Sidon.

Foto: Archiv Post Bellum
„Was mein Team betrifft, muss ich sagen, dass es hervorragend war. Sie haben sich wirklich stark auf den Film konzentriert und viel daran gearbeitet. Dank ihnen bin ich nun auf Rang eins.“

Auch die anderen Schülerteams haben interessante Zeitzeugen besucht. So haben sie beispielsweise die Holocaust-Überlebende Evelina Merová angesprochen oder den Theologen Jakub Schwarz Trojan, der Jan Palach auf dem Friedhof Olšany bestattet hat. Zu den Persönlichkeiten, die im Rahmen des Projektes vorgestellt wurden, gehörte des Weiteren Charlotta Kotíková, die Großenkelin von Tomáš Garrigue Masaryk, dem ersten tschechoslowakischen Staatspräsidenten.