Schwandas späte Rückkehr: Jaromír Weinbergers Oper im Prager Nationaltheater

Im Rahmen des Projekts „Musica non grata“ werden in Prag Werke von Komponisten aufgeführt, die in der Zwischenkriegszeit in der Tschechoslowakei eine wichtige Rolle im Musikleben spielten und die von den Nationalsozialisten verfolgt worden sind. Zu ihnen gehörte auch Jaromír Weinberger. Nach fast 90 Jahren wird im Prager Nationaltheater seine Oper „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“ wieder aufgeführt.

Die Oper „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“ von Jaromír Weinberger (1896–1967) ist heutzutage in Tschechien nur in Musikerkreisen bekannt. In den 1930er Jahren jedoch wurde das Stück in allen renommierten Opernhäusern der Welt aufgeführt – in der Wiener Staatsoper, der Bayerischen Staatsoper, in Covent Garden in London und 1931 auch in der Metropolitan Opera in New York. In den Jahren 1929–1930 war Weinbergers Stück die meistgespielte Oper auf den deutschen Bühnen. Das Märchenwerk wurde in 17 Sprachen übersetzt. Die erste tschechische Fassung der Oper erlebte 1927 im Prager Nationaltheater ihre Weltpremiere. Das Libretto stammte von Miloš Kareš. Der Librettist ging vom gleichnamigen Theaterstück des tschechischen Dramatikers Josef Kajetán Tyl aus. 1928 habe Max Brod das tschechische Libretto überarbeitet und nachfolgend ins Deutsche übersetzt, merkt der Dramaturg des Nationaltheaters, Ondřej Hučín, an:

Jaromír Weinberger  (1896-1967) | Foto: Wikimedia Commons,  public domain

„Er hat die patriotischen Symbole teilweise beseitigt und mehr Wirklichkeit mit Komödienelementen einbezogen. Wir führen die Oper in Max Brods Überarbeitung auf Tschechisch auf.“

Brod hatte dem Dramaturgen zufolge das Gefühl, dass die tschechische Oper sowie die Kultur allgemein zum Sentiment neigen. Die umgearbeitete Oper hatte 1933 Premiere im Prager Ständetheater. Nach 89 Jahren wird sie nun wieder in Prag gespielt. Wovon erzählt die Märchenoper? Regisseur Vladimír Morávek:

„Es ist ein amüsantes Nachdenken über tschechische Frauen und Männer, über die Liebe, über Opfer, Enttäuschung und Trost.“

Max Brod | Foto: Wikimedia Commons,  public domain

Der Regisseur hat die Oper wie einen Traum inszeniert. Schwanda, der seine Frau Dorotka verläßt und eine abenteuerliche Wanderung unternimmt, sinkt in die Hölle hinab. Der Regisseur:

„Dorotka sieht das Loch in der Erde, in dem ihr Mann verschwunden ist, und stellt sich die Frage, was sie nun allein machen soll. Sie kann Schwanda nicht vergessen. Jeden Tag macht sie Frühstück für zwei Personen. Im Libretto heißt es, sie verbringe auf diese Weise viele Jahre. In der Hölle läuft die Zeit langsamer, jeder Tag in der Hölle bedeutet ein Jahr auf der Erde. Dorotka wartet demzufolge 365 Jahre lang. In unserer Inszenierung ist sie auch visuell alt geworden. Dabei versucht sie, ihre Würde, Eleganz und Schönheit zu bewahren. Und vor allem singt sie wunderschön. Schwanda kehrt zurück, aber bevor es dazu kommt, erinnert sich Dorotka ständig an ihn. In unserer Inszenierung kommt am Anfang eine schöne ältere Frau vor den Vorhang, es erklingt die Musik, ihre Physiognomie ändert sich, sie wird wieder jung. Die Geschichte über Schwanda spielt nur in der Erinnerung der Frau. Die Zeit existiert nicht mehr. Aber im Traum kann es so sein.“

Vladimír Morávek | Foto: Tomáš Vodňanský,  Tschechischer Rundfunk

Weinberger erlebte großes Unrecht

Nachdem die Nationalsozialisten 1933 die Macht in Deutschland ergriffen hatten, wurde dort und anschließend auch in allen von Nazi-Deutschland besetzten Ländern Weinbergers Musik verboten. Jaromír Weinberger emigrierte 1938 über Frankreich in die USA. Er hat jedoch nie mehr wieder einen solchen Erfolg gefeiert wie mit der Oper über den Dudelsackpfeifer Schwanda. Regisseur Vladimír Morávek merkte während einer der Proben an:

Judenstern | Foto: Jacek Proszyk,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 4.0 DEED

„Der Komponist erlebte großes Unrecht. Er schrieb ein herrliches Opus, über das viel gesprochen wurde, weil er ein jüdischer Musiker war, wurde es aber aus dem Nachdenken über das Schöne ausgeschlossen. Wenn man die Bedeutung dieses Werks in der internationalen Operngeschichte kennenlernt, sieht man, dass der Oper im tschechischen Kulturkontext großes Unrecht zugefügt wurde. Denn heute kennt hierzulande kaum jemand die Oper. Der Komponist, der große Wehmut fühlte und zudem krank geworden ist, beging schließlich Selbstmord. Wir sind die Erben seiner Träume. Es ist, so meine ich, unsere Pflicht, zu sagen: ,Danke, Maestro, es war wunderschön. Hut ab vor Ihrer Liebe.‘ Das tschechische Kulturleben wartet auf Schwandas Rückkehr 90 Jahre. Auch die Seele von Jaromír Weinberger wartet 90 Jahre lang auf eine Inszenierung in Tschechien. Man kann für eine solche Aufgabe nur dankbar sein.“

Am bekanntesten aus Weinbergers Oper sind die Polka und die Fuge. Diese werden oft selbständig bei Konzerten gespielt. Dirigent Zbyněk Müller studierte die Oper mit dem Ensemble des Prager Nationaltheaters musikalisch ein. Es sei nicht seine erste Begegnung mit der Musik von Weinberger gewesen, merkt er an:

„Das erste Werk von Weinberger, mit dem ich mich näher bekannt gemacht habe, war seine bedeutende Orgelkomposition Passacaglia für Orgel und großes Orchester. Ich habe die Komposition, die mich tief beeindruckt hat, mit der Staatsphilharmonie Košice aufgeführt. Als mir angeboten wurde, die Oper ‚Schwanda, der Dudelsackpfeifer‘ einzustudieren, habe ich nicht gezögert. Die Arbeit war sehr bereichernd. Ich habe die unglaubliche Innovationskraft immer mehr bewundert, mit der Weinberger alle seine Ideen zusammenfügen konnte.“

Weinberger hat einmal über sich gesagt, er sei ein Komponist der Vergangenheit. Wo suchte er nach Inspiration?

„Vor allem in der tschechischen Musik. Es finden sich dort Einflüsse von Bedřich Smetana, Antonín Dvořák und auch Vítězslav Novák, der Weinbergers Lehrer war. Nicht zuletzt ist in der Oper der Einfluss von Max Reger zu erkennen, bei dem der Komponist eine kurze Zeit in Leipzig studierte. Es ist sehr interessant, wie Weinberger in der Polka, die in der Oper oft erklingt,  chromatische Stimmenführung nutzte. Dies wirkt ein wenig unerwartet. Neben der Polka gibt es in der Oper auch weitere böhmische Tänze wie den Furiant. Da der Komponist auch etwas Gehobenes in seinem Werk brauchte, schrieb er auch eine großartige Polonaise.“

Inspiration aus Tschechien und von Max Reger

Weinbergers Originalität besteht dem Dirigenten zufolge darin, dass er imstande war, die verschiedenen Einflüsse meisterhaft miteinander zu verbinden. Wie kam es dazu, dass die Oper kurz nach ihrer Entstehung so beliebt wurde und sie alle renommierten Opernhäuser im Repertoire hatten? Der Dirigent:

„Ich sehe dafür die folgenden Gründe: Erstens ist die tschechische Musik phantastisch – Antonín Dvořák wird beispielsweise überall auf der Welt gespielt. Als damals Weinbergers Oper entstand, haben die böhmischen Tänze in Weinbergers sinfonischem Gewand vermutlich Aufmerksamkeit geweckt. Die Energie, die darin enthalten ist, spielte zweifelsohne eine große Rolle.“

Die Polka und die Fuge aus der Oper werden immer noch bei Konzerten gespielt. Bei welchem Anlass erklingen sie in dem Opus?

Foto: Ilona Sochorová,  Nationaltheater Prag

„Die Polka erklingt zum ersten Mal, als Schwanda auf den Hof der Königin kommt, deren Herz von einem Magier zu Eis verzaubert wurde. Ihm gelingt es mit seinem Dudelsackspiel, das Herz der Königin wieder zu erwärmen. Auf dem Hof jubeln alle bei dieser Polka. Das Stück ist noch einmal zum Abschluss zu hören. Weinberger, der auch Orgelkomponist war, lässt am Ende der Oper eine Fuge erklingen. In der Fuge ist auch die Polka miteinbezogen. Daraus schuf der Komponist ein großes Opernfinale.“

Die Gesangspartien in der Oper sind anspruchsvoll. Zbyněk Müller erklärt warum:

„Weinberger war kein reiner Opernkomponist. Für ihn war die instrumentale Logik der Stimmenführung wichtig. Zweitens haben die Sänger keine leichte Position gegenüber dem Orchester. Wir müssen sehr sensibel vorgehen, um ein Gleichgewicht zwischen den Stimmen und dem Orchester zu finden. Dies erfordert viel Zeit für die Proben, aber es lohnt sich.“

Regisseur Morávek bezeichnet die Oper als eine Vorstellung für Familien, die sowohl Kinder als auch Erwachsene faszinieren kann. Dirigent Müller dazu:

„Ich bin davon überzeugt, dass Weinbergers Musik alle ansprechen kann. Denn sie ist sehr bunt. Es gibt dort sehr fröhliche aber auch eiskalte Momente. In der Partitur empfahl der Komponist beispielsweise, dass die Musik bei der Episode in der Hölle wütend klingen soll. Ich denke, dass sich bei der Vorstelllung niemand langweilen wird.“

Die Premiere von Weinbergers Oper „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“ findet im Nationaltheater an diesem Donnerstag um 19 Uhr statt. Es gibt noch Restkarten. Bis zum Jahresende gibt es noch fünf Reprisen, weitere zwei Reprisen sind im Juni nächsten Jahres auf dem Programm.