Sechs Monate Krieg in der Ukraine: Flucht nach Tschechien, Wunsch nach Rückkehr und weitere Hilfe
Am Mittwoch ist es genau sechs Monate her, dass die russischen Truppen in die Ukraine eingefallen sind. Seitdem hat auch Tschechien zahlreiche Geflüchtete aufgenommen, und immer noch melden sich täglich weitere Menschen aus dem Kriegsland bei den hiesigen Behörden. Bisher hat das tschechische Innenministerium mehr als 417.000 Schutzvisa ausgestellt. Ebenso hält die Hilfe an, die Menschen aus Tschechien direkt in der Ukraine leisten. Aus Anlass des traurigen Jubiläums berichten wir von vier Frauen, deren Leben der Krieg grundlegend verändert hat.
Von den etwa 417.000 Menschen, die seit dem 24. Februar aus der Ukraine nach Tschechien geflüchtet sind, bilden Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre einen Anteil von etwa 35 Prozent. Die Erwachsenen sind zu 72 Prozent Frauen. Es gibt allerdings keine Statistiken darüber, wie viele der Geflüchteten schon wieder in die Ukraine zurückgekehrt sind.
Wieder nach Hause zu kommen, das ist auch der große Wunsch von Anna. Mit ihrer Tochter und dem kleinen Enkel ist sie im März aus Mykolajiw geflohen. Immer noch sei sie dankbar, wie herzlich sie in Prag aufgenommen wurde, sagt die Ukrainerin. Dennoch will sie wieder zurück. Allerdings erst nach dem Krieg, denn ihre Heimatstadt werde fast täglich von den russischen Truppen beschossen:
„Warum sollte ich das jetzt riskieren? Es ist noch zu schrecklich. Trotzdem, ich will nach Hause. Aber so lange Krieg ist, kann ich das nicht riskieren, vor allem wegen der Kinder. Ich habe nicht das Recht, sie zu gefährden. Wenn ich alleine wäre, hätte ich die Ukraine gar nicht erst verlassen. Ich wollte nicht weggehen. Aber als bei einer Explosion die Trümmer des Nachbarhauses auf unseren Hof flogen, war ich sehr erschrocken. Dennoch will ich wieder nach Hause. Gerne würde ich in eine Stadt ziehen, die nicht so zerstört ist. Ich hoffe, dass mir das gelingt.“
Die ukrainische Arme verteidige in und den vielen anderen Städten und Dörfern nicht nur ihr Land, sondern ganz Europa. Das ist die Botschaft, die die Tschechin Monika Kluzová von ihren zahlreichen Fahrten in das Kriegsland mit nach Hause bringt. Vor Februar dieses Jahres war die ruhige, freundliche Frau noch nie in der Ukraine gewesen. Seit dort Krieg herrscht, fährt sie regelmäßig die 1600 Kilometer und versorgt die Bevölkerung vor Ort mit Hilfsgütern. Dafür nimmt sie auch tagelanges Warten an der Grenze in Kauf. Auf dem Rückweg nimmt Monika Flüchtlinge mit über die Grenze…
„Wenn ich Leute im Auto mitnehme, dann unterhalten wir uns. Sie erzählen mir ihre Geschichten. Mich überrascht immer wieder, dass ich die Menschen praktisch nie auf Russland oder die Russen schimpfen höre. Es herrscht nur Niedergeschlagenheit. Und immer wieder die Frage: Почему, also warum dies geschieht. Es gibt aber keinen Hass. Die Leute sagen meist, sie hätten ganz normal und in Ruhe gelebt und niemandem etwas getan. Dann kamen die Soldaten und die Bomben, also müssten sie nun fliehen.“
Gegenseitige Hilfe
Es sind vor allem Lebensmittel, die Monika in die Ukraine bringt. Wenn sie zu Hause, neben ihrer regulären Arbeit, wieder eine Sammlung durchgeführt hat, bricht sie mit dem Lieferwagen auf. Dies sei etwa alle zwei bis drei Wochen der Fall, berichtet die ehrenamtliche Helferin. Und erklärt weiter, dass ihre Motivation sehr naheliegend sei:
„Als Tschechen sind wir Slawen, und die Ukrainer sind auch Slawen. Ich finde, wir sind uns sehr ähnlich. Wir denken und handeln in gleicher Weise. Ich werde immer wieder positiv überrascht, wenn ich in die Ukraine komme und es zum Beispiel kein Problem ist, irgendwo zu übernachten. Sobald die Menschen erkennen, dass ich humanitäre Hilfe leiste, laden sie mich zu sich ein und lassen mich bei sich übernachten. Dafür wollen sie nichts haben, nicht einmal die Hilfsmittel, die ich transportiere. Vielmehr bekochen sie mich. Sie sind sehr gastfreundlich.“
Die Ähnlichkeiten zwischen den Lebenswelten und den Sprachen haben wahrscheinlich auch dazu beigetragen, dass Anja und ihre Familie aus Kiew sich schnell in Tschechien, genauer in Český Krumlov / Krumau, einleben konnten. Die Biologin hat Arbeit im Botanischen Garten gefunden, ihr Vertrag läuft auf anderthalb Jahre. Ihr Mann hat ebenfalls eine Anstellung, und die Kinder sind bereits in der Schule angemeldet. Die Familie hat die besten Voraussetzungen, dauerhaft in Tschechien zu bleiben. Vor allem den Kindern gefalle es hier, berichtet Anja. Sie selbst hadert aber:
„Für mich spielen trotzdem die kulturellen Unterschiede eine Rolle. Mit meinen 48 Jahren werde ich mich in der tschechischen Umgebung kaum so sehr zu Hause fühlen wie in der Ukraine. Aber letztlich ist es eine Frage der Sicherheit für die Kinder. Wenn sie eigenständig wären und allein leben könnten, würde ich sie wohl hier lassen, nach Kiew zurückkehren und mich dort für die Ukraine einsetzen.“
Eine starke Verbundenheit mit ihrem Land ist für viele Menschen wahrscheinlich ein Grund, die Ukraine trotz der Gefahr durch die kriegerischen Auseinandersetzungen nicht zu verlassen. Oder sie haben schlicht nicht die Möglichkeit, die Reise in ein anderes Land anzutreten. Was die Leute vor Ort in dieser Lage bewege, sei vor allem Eines, erläutert die tschechische Helferin Monika:
„Hier ist immer wieder die Frage nach dem Warum zu hören. Wieso geschieht dies alles? Aus welchem Grund muss die Ukraine derart leiden? Was haben wir wem angetan, um dies zu erleben? Was will Putin, wo er doch alles hat – das größte Land der Erde mit allen Ressourcen?“
Wohnung und Arbeit in Tschechien, aber Sehnsucht nach dem Zuhause
Eine zufriedenstellende Antwort kann wohl auch die engagierte Tschechin den Menschen kaum geben. Ihre Motivation, weiterhin praktische Hilfe zu leisten, leidet jedoch nicht unter den bisher unbeantworteten Fragen – zu der wohl vor allem auch jene gehört, wie lange der Krieg noch dauern wird. Ungeachtet dessen wolle sie die humanitäre Hilfe fortsetzen, betont Monika:
„Alles hängt aber von der Finanzierung ab. Meine eigenen Ersparnisse habe ich schon alle aufgebraucht. Jetzt liegt es immer daran, was mir Freunde und Bekannte geben und ob ich Geld zusammenbekomme, um vollzutanken und wieder loszufahren. So lange mir dies gelingt, werde ich auch weiter fahren und so oft es nur geht Hilfsmittel dorthinbringen, wo sie gebraucht werden.“
Die Lebensmittel und Drogerieartikel würden zumeist ihre Freunde und Bekannten spenden, so Monika zur aktuellen Lage. Außerdem werde sie von der slowakischen Organisation „Pomoc za čiarou“ (zu Deutsche etwa: Hilfe hinter der Grenze) unterstützt. Diese stelle mitunter Geld für das Benzin bereit und organisiere ebenfalls Sammlungen.
„Ohne diese Hilfe hätte ich schon nach drei Fahrten aufhören müssen, denn so reich bin ich nicht. Zum Glück bin ich aber von Menschen umgeben, die helfen. Aber auch sie haben immer weniger Mittel. Ich bete also zu Gott, dass unsere Hilfe fortgesetzt werden kann“,
so Monikas Wunsch für die nächsten Wochen und Monate.
Dass der Krieg in der Ukraine bald endet, wünscht sich zweifelsohne auch Julia. Eine wirkliche Rückkehr in das heimatliche Odessa plant sie jedoch auch nach Beendigung des Konfliktes nicht. Als sie die Stadt gemeinsam mit ihrem Sohn verlassen musste, hat sie schnell eine Anstellung in Teplice / Teplitz gefunden. Damit ist Julia eine von etwa 107.000 ukrainischen Geflüchteten, die seit Februar in Tschechien mit einem Arbeitsplatz versorgt werden konnten. Marian Jurečka (Christdemokraten), Minister für Arbeit und Soziales, hat dies erst am Dienstag als großen Erfolg bezeichnet.
Dies empfindet auch Julia für sich persönlich so. Bisher verteilt sie im Assistenzzentrum Starterkits von Mobilfunkanbietern an andere ankommende Ukrainer*innen. Für ihre berufliche Zukunft in Tschechien hat sie aber schon andere Pläne:
„Mein Traum ist es, ein Medienunternehmen zu gründen, das den anderen Ukrainern hierzulande nützlich sein kann. Dies könnte eine Produktionsfirma sein, die Videos herstellt und das Internet sowie moderne Plattformen nutzt. Mein Mann ist in der Ukraine geblieben. Wenn alles gut ausgeht und mein Traum sich erfüllt, dann werde ich in beiden Ländern arbeiten können.“